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Alltagsrassismus: Wer hat Angst vorm...

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Adoptionsrassismus Jedes Kind, nur kein schwarzes

In den USA gelten 140.000 afroamerikanische Kinder, die in Pflege oder Heimen leben, als schwer vermittelbar. Adoptionswillige US-Paare möchten lieber Kinder aus dem Ausland - aber nicht aus Afrika.

Wenn es um Fragen der ethnischen Identität und den verdeckten Rassismus im Alltag geht, ist Nikki Khanna, Professorin der Soziologie an der Universität Vermont, eine der meistzitierten Expertinnen Nordamerikas. Ihr besonderes Interesse gilt dem Selbstverständnis "bi-rassischer" Amerikaner.

Sie hat zahllose Artikel und ein weit beachtetes Buch über solche Fragen geschrieben. Ein Fazit ihrer Studien und Aufsätze: Selbst in Kreisen, die sich selbst als "liberal und farbenblind" bezeichneten, sei die westliche Gesellschaft zutiefst geprägt von ethnischen Definitionen. Und das gehe mit einer hierarchischen Sicht auf Menschen einher, bei der äußerliche Merkmale zum Kennzeichen, wenn nicht zum Stigma werden.

Beispiel Barack Obama: Der noch amtierende US-Präsident ist Sohn einer Weißen und eines Afrikaners. Gesehen wird er ganz selbstverständlich als Afroamerikaner, er selbst definiert sich auch so: Mehr halbschwarz als halbweiß. Hand aufs Herz, wie würden Sie ihn beschreiben? Als Weißen mit etwas dunklerem Teint? Oder als recht hellhäutigen Schwarzen?

Barack Obama

Barack Obama

Foto: Kevin Dietsch/ dpa

So irrelevant solche Klassifizierungen für aufgeklärte Menschen sein sollten, so relevant sind sie im Alltag. Und Nikki Khanna hat eine feine Nase dafür, Themen und Perspektiven zu finden, die das immer wieder deutlich machen.

Adoption nach rassischen Kriterien?

Die kommende Ausgabe der Fachzeitschrift "Sociological Perspectives" enthält eine von ihr mit Koautoren verfasste Studie, die für Schlagzeilen sorgen dürfte . Es ist eine stichprobenartige, absolut nicht repräsentative Studie, basierend auf nur 41 Tiefeninterviews mit amerikanischen Adoptiveltern.

Die Frage, der Khanna nachging: Gibt es rassische Kriterien, nach denen potenzielle Adoptiveltern Kinder aussuchen? Und warum suchen sie im Ausland, obwohl in den USA 400.000 Kinder auf Adoption warten?

Die meisten der von ihr Befragten waren weiße Amerikaner. Die meisten Kinder, die von ihnen in den USA adoptiert wurden, ebenfalls. Rund 40 Prozent der Adoptiveltern äußerten explizit, dass sie ganz spezifisch kein schwarzes Kind wollten, weil diese sowohl vom Aussehen als auch "kulturell zu verschieden" seien. Aber: Sie adoptierten Kinder aus zehn Ländern der Welt, ohne ethnische oder rassische Vorbehalte - so lange es nur nicht um schwarze Kinder ging.

Die Hauptmotive, die Khanna für Auslands-Adoptionen fand, hatten mit ethnischen Erwägungen sogar wenig zu tun: Es gehe selten darum, im Ausland nach weißen Kindern zu suchen. Manche Adoptiveltern glaubten, bei Auslandsadoptionen sicherer vor Rückforderungen und Rechtstreitigkeiten zu sein. Manche äußerten Angst vor gesundheitlichen Schäden durch Drogenmissbrauch oder vor psychosozialen Störungen bei US-Kindern, die man adoptieren könne - oder Angst davor, dass leiblichen Eltern aus möglicherweise problematischen Verhältnissen Besuchsrechte zugestanden würden, die die Entwicklung des Kindes stören könnten.

Doch auch die Hautfarbe ist ein mächtiges Kriterium.

Nicht generell rassistisch, aber "Anti-schwarz"

Khanna schreibt: "Selbst für Eltern, die offen für die Adoption eines Kindes mit anderer Hautfarbe waren oder sich sogar aktiv darum bemühten, gab es Grenzen; sie waren Kindern verschiedensten rassischen Hintergrunds gegenüber offen, außer gegenüber Schwarzen - und ganz besonders nicht gegenüber Afroamerikanern."

Nikki Khanna

Nikki Khanna

Foto: Sally McCay

Man könnte das als extremes Ergebnis einer viel zu kleinen Studie abtun - wenn es nicht so plausibel wäre. Denn natürlich finden sich die Einstellungen, die Khanna per Interview erfasste, auch in den ganz offiziellen Adoptionsstatistiken wieder. 240.000 der 400.000 zurzeit in Pflege oder Heimen untergebrachten, zur Adoption freigegeben Kinder in den USA sind nicht weiß - das ist klar überproportional.

Und das liegt nicht unbedingt daran, dass vermehrt Kinder aus nichweißen Ethnien zur Adoption freigegeben würden. Besonders die 140.000 Afroamerikaner unter ihnen gelten auch als besonders schwer in die Adoption vermittelbar.

Angst vor dem Rassismus der Anderen

Schwarz hängt offensichtlich das soziale Stigma von Armut und Kriminalität an - aber für die Adoptionswilligen verbindet sich auch die Angst vor Vorurteilen damit. Nur in Einzelfällen verrieten Antworten verinnerlichte rassistische Prägungen: Etwa, dass man sich vor der "Zügellosigkeit" schwarzer Heranwachsender fürchte oder die "Gehorsamkeit" und "Sanftheit" kleiner Asiatinnen bevorzugt habe.

Befürchtet wurden vielmehr Diskriminierungen durch das eigene Umfeld, die eigene Gesellschaft. So gaben die Mehrzahl der Befragten an, sie würden kein schwarzes Kind adoptieren, weil dies "nicht im Interesse des Kindes" sei. Angst hatten die Befragten unter anderem davor, dieses Kind überhaupt darauf vorbereiten zu müssen, mit Diskriminierungen fertig zu werden: Da sei die Frage "Kann ich das?" entscheidend gewesen.

Natürlich ist das Alltagsrassismus - zum Teil aber schlicht auch ein Spiegel der Verhältnisse. Die Befragten waren sich darüber bewusst, dass schwarze Kinder in besonderem Maße wahrnehmbar "anders als die anderen" wären. Und dass ihre Hautfarbe in der Gesellschaft, so wie sie ist, mit dem erhöhten Risiko von Diskriminierung verbunden ist.

Im Klartext: Weil man weiß, dass es schwarze Kinder einmal schwerer haben werden, macht man es ihnen schwerer, adoptiert zu werden.

Dass auch die Angst vor Diskriminierung also zur Diskriminierung beiträgt, erlebten manche der Befragten selbst als überraschend: "Es ist echt seltsam", gab eine der befragten Frauen Khanna zu Protokoll, "dass für uns asiatisch kein Problem war. Wir hatten auch kein Problem mit einem südamerikanischen Kind. Aber ein afroamerikanisches Kind hätten wir nicht gewollt."

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