US-Militär Mikrofone orten Heckenschützen
Es ist ein ruhiger Nachmittag im Lagezentrum der Polizei von Redwood City, einem der vielen Orte, die im Industriekorridor des Silicon Valley zwischen San Francisco und San Jose aufgereiht sind. Auf dem Bildschirm des Einsatzleiters erscheint plötzlich eine Warnung: "Waffengebrauch entdeckt!", begleitet von einem Sirenenton.
Wenn Ward Hayter auf das Fenster klickt, baut sich eine Luftaufnahme seiner Heimatstadt auf, unterlegt mit dem Straßennetz, auf dem ein roter Punkt ins Auge sticht: 2950 Fair Oaks Avenue. Hier haben die Sensoren der Firma ShotSpotter ein verdächtiges Geräusch geortet und automatisch an die Notrufzentrale weitergeleitet.
"Sehen wir uns das Ganze einmal genauer an", sagt Verwaltungschef Hayter, der seit 1996 mit dem Schusswaffen-Ortungssystem arbeitet. Rechts neben dem Stadtplan kann er den Frequenzverlauf des Schusses vergrößern und die dazugehörigen Tondateien anklicken. Von Sensor Nummer 1, knapp 300 Meter entfernt, klingt es in der Tat wie das trockene "Plopp" einer Pistole, gefolgt von Hundegebell. Sensor Nummer 2, der doppelt so weit entfernt ist, hat dagegen kein Hundegebell nach dem Knall aufgefangen.

Boomerang-System: Sieben Mikrofone finden Sniper
"Falscher Alarm. Vermutlich hat jemand einen Kracher gezündet", sagt Hayter, nachdem er sich die WAV-Datei mehrmals angehört hat. "Im Zweifelsfall sind Hunde ein untrügliches Zeichen. Wenn ein Schuss abgegeben wurde, bellen sie kurz danach." Diesmal schickt Hayter keinen Streifenwagen zum Tatort.
Die Geräuschsensoren helfen der Polizei, ihr knappes Personal effizienter einzusetzen, ohne wichtige Vorfälle zu übersehen. Redwood City ist die erste, aber längst nicht mehr die einzige Stadt, die Hardware und Software zur akustischen Überwachung verwendet.
Neun Polizeizentralen von Kalifornien bis South Carolina benutzen ShotSpotter, um in besonders gefährliche Viertel hineinzuhorchen. Das FBI setzte die Sensoren im Winter vor zwei Jahren ein, um den Highway-Heckenschützen zu fassen, der Columbus, Ohio, in Angst und Schrecken versetzte.
In den Zeiten von Terrorangst und unbegrenzten Rüstungsbudgets ist es kein Wunder, dass die gleichnamige Firma aus Mountain View, die das ShotSpotter-System entwickelt hat, jetzt auch tragbare Geräte für das US-Militär fertigen will.
Die Detektoren sollen sich auf dem Rücken von Soldaten oder auf einem Jeep befestigen lassen und im Verbund mit einer unbemannten Drohne feindliche Schützen orten. Das FBI ist dem Vernehmen nach dabei, ein Netz von anfangs 120 ShotSpotter-Sensoren in der Hauptstadt Washington zu installieren. Gepaart mit allgegenwärtigen Überwachungskameras ergibt sich so ein engmaschiges Beobachtungsnetz, das rund um die Uhr im Einsatz ist.
Gespür für Waffengeknatter
Technisch gab und gibt es einige Hürden zu überwinden. Die ersten Sensoren, die Firmengründer Robert Showen entwickelte, waren auf eine Telefonleitung angewiesen, um ihre Daten an die Zentrale zu überspielen - ähnlich einem weit vom Rekorder aufgestellten Mikrofon. Ein Netz von acht Sensoren pro Quadratmeile kann Schüsse aus bis zu dreieinhalb Kilometer Entfernung hören, den Ort mittels Triangulierung bis auf wenige Meter identifizieren und die Behörden alarmieren, sobald ein Software-Algorithmus ausgeschlossen hat, dass eine andere Lärmquelle für das Geräusch verantwortlich ist. So tauchen Streifenwagen in Minutenschnelle an einem Tatort auf.
Die Sensoren der zweiten Generation, die wie eine unscheinbare Wetterstation aussehen, besitzen ein omnidirektionales Mikrofon, das auf Geräusche von 300 Hertz bis drei Kilohertz achtet. Wie eine Überwachungskamera zeichnet es die Geräuschkulisse der Umgebung als Endlosschleife auf und übermittelt die Audiodaten an die Zentrale. Die Software auf dem Server im Revier besorgt die Analyse, um den Knall einer Rakete oder das Knattern von Hubschrauberrotoren vom Geräuschprofil einer halbautomatischen Waffe zu unterscheiden.
"Die Analyse-Software ist das Kernstück des Systems, wir verfeinern den Algorithmus kontinuierlich", sagt Robert Calhoun, ein MIT-Absolvent, der für Software-Entwicklung zuständig ist. Je mehr Daten von echten und falschen Alarmen in das System einfließen, desto besser kann das Programm geeicht werden, um eine Rakete, ein großkalibriges Gewehr und eine Pistole auseinander zu halten.
Wenn die Audio-Rohdaten in den Server eingespeist werden, klassifiziert die Software die Signale und speichert sie in einer Ereignis-Datenbank, die sich mit dem geografischen Informationssystem (GIS) einer Behörde oder des Militärs unterlegen lässt. "So wissen wir nicht nur, wo genau ein Schuss fiel oder eine Rakete gezündet wurde", erklärt Redwood Citys Polizeimanager Hayter. "Wir können auch sofort den Namen des Anwohners sehen, können prüfen, ob es schon früher Vorfälle gab, und den Namen mit anderen Datenbanken abgleichen."
Weiter in Teil 2: Erfolge der Geräuschfahndung bei der Jagd auf Sniper
Sergeant Karen Cordray von der Polizei in North Charleston, South Carolina, benutzt das System seit Februar 2003. Finanziert mit Geld der Bundesstaatsanwaltschaft, installierten Cordray und Kollegen auf drei Quadratmeilen 16 Sensoren. Ein Jahr und 629 computergestützte Schussalarme später ist die Verbrechensrate um zwei Prozent gesunken.
In 110 Fällen gab es Festnahmen wegen Waffenbesitzes, und in weiteren 80 Fällen konnte die Polizei Patronenhülsen sicherstellen oder Ermittlungen einleiten. "Wir sind nicht einmal mehr auf den Notruf angewiesen, über den im gleichen Zeitraum nur 160 Fälle von Waffengebrauch gemeldet wurden", sagt Cordray.
"Das System funktioniert bisher sehr gut. Nur starker Wind und Echo-Effekte an bestimmten Gebäudearten können störend wirken", bestätigt Bart Coghill, Ingenieur beim National Law Enforcement and Corrections Technology Center Southeast.
Die Organisation mit Sitz in South Carolina testet neue Technologien für die Polizei und andere Ermittlungsbehörden. Das Center gab ShotSpotter gegenüber einem Konkurrenzprodukt namens Secures der Firma Planning Systems Inc. den Vorzug, da es laut Coghill mit einem Bruchteil der Sensoren auskommt und sich so leichter installieren und warten lässt.
Unlängst erhielt das Testzentrum vom US-Kongress 750 000 Dollar, um ShotSpotter weiterentwickeln zu lassen. Die wichtigsten Neuerungen, sagt der Ingenieur, seien ein drahtloses und ein mobiles System, das sich am Körper tragen lässt. "Damit ist man nicht auf Telefonleitungen angewiesen und kann Informationen direkt an die Beamten im Einsatz überspielen."
Im Fall des Heckenschützen von Ohio etwa musste das FBI innerhalb weniger Wochen Standorte finden, um mehr als 180 Quadratkilometer wirksam abzudecken. Am Ende verlegten sich die Ermittler auf Telefon-, Licht- und Strommasten, die den Mikrofonen die lückenlose Überwachung von Feldern, Schulgebäuden und dem weiten Netz von Autobahnen erlaubten, auf das sich der Schütze konzentriert zu haben schien. Bis die rund 65 Sensoren installiert waren, verging kostbare Zeit. "Ein drahtloses System kann dagegen in ein paar Stunden einsatzbereit sein", sagt CEO Beldock.
Optimierter Energieverbrauch
Während sich ein zeitweilig fest installierter Sensor mit größeren Batterien oder Solarzellen betreiben lässt - etwa um Straßenzüge in der Innenstadt zu überwachen, wenn ein Gipfeltreffen abgehalten wird -, bedürfen wirklich tragbare Systeme, wie sie das Militär will, kleinerer Batterien, die mindestens einen Tag lang halten.
ShotSpotter hat sich deswegen mit Xybernaut zusammengetan, einem bekannten Hersteller tragbarer Netzcomputer. Das Unternehmen gründete eine eigene Abteilung Heimatschutz, um die Produkte besser vermarkten zu können. "Am Ende soll der Sensor nicht größer sein als ein Paket Spielkarten", sagt Beldock. Die ersten Prototypen wurden Ende Dezember 2004 bei einer Truppenübung mit 2000 Marines getestet.
Eine andere Variante, an der das Militär großes Interesse hat, sind Drohnen, die über einem Gefechtsfeld schweben und sogar dreidimensional Mörserpositionen oder Heckenschützen in verschiedenen Stockwerken eines Gebäudes orten könnten.
Beim Feldversuch mit den Marines wurden die tragbaren Sensoren im Verbund mit zwei Sorten Drohnen getestet: mit Boeings ScanEagle sowie mit dem Predator-Flugkörper. Sobald ein Schuss geortet wurde, übermittelten die Sensoren die Koordinaten an die Leitzentrale, sodass die Drohnen ihre Kameras entsprechend schwenken konnten. "Erste Daten zeigen, dass die Sensoren mit vernünftiger Zielgenauigkeit arbeiten", sagt Frank Roberts, der beim Pentagon für Drohnenaufklärung verantwortlich ist. Zu Informationen, dass ShotSpotters akustische Ortung bereits im Irak und in Afghanistan getestet wird, will sich das Unternehmen nicht äußern. Vorstellbar ist es, denn im Luftraum über beiden Ländern drängen sich bereits knapp 800 Drohnen aller Größen, und das Pentagon will bis 2010 mehr als 13 Milliarden Dollar für weitere Geräte ausgeben.
Autos mit Ohren
Mit seinem Angebot an die US-Regierung und das Militär steht ShotSpotter nicht allein da. Ein Konkurrenzprodukt von BBN Technologies in Massachusetts namens Boomerang wurde im März 2004 bereits auf Humvee-Geländewagen im Irak installiert, um Heckenschützen selbst in voller Fahrt aufzuspüren.
Das nötige Geld, um das System in nur zwei Monaten zu entwickeln und in 40facher Ausführung in den Irak zu schaffen, stammte von der Defense Advanced Research Projects Agency (Darpa). der Hightech-Agentur des Pentagon.
Allerdings ist Boomerang relativ groß und schwer. Die sieben Mikrofone erinnern an einen futuristischen Kleiderständer, der fest am Fahrzeugheck montiert wird. Mit der Bordelektronik wiegt das System rund 25 Kilogramm. Nach ersten positiven Erfahrungen denkt BBN nun darüber nach, das System zum Schutz von Hubschraubern weiterzuentwickeln.
Nur gegen eines sind Systeme wie Boomerang oder ShotSpotter machtlos: Wer mit einem Schalldämpfer arbeitet, wie man es bei professionellen Kriminellen oder Terroristen erwarten kann, überlistet die Mikrofone und die Software.
© Technology Review , Heise Zeitschriften Verlag, Hannover