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Kontraintuitiv: Zwei Söhne und ein Dienstag

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Vertrackte Wahrscheinlichkeit Wie uns die Intuition in die Irre führt

Mit dem Bauchgefühl liegen wir oft richtig - sogar in der Mathematik. Doch manchmal spielt es uns Streiche, die Intuition überlistet uns bei scheinbar einfachen Fragen: im Ratespiel, bei Vater-Sohn-Problemen und wenn Jungs plötzlich an einem Dienstag auf die Welt kommen.

Das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten ist eigentlich keine große Sache: In einem Sechstel der Fälle zeigt ein Würfel eine Sechs. In der Hälfte aller Münzwürfe lautet das Ergebnis Zahl, ansonsten Kopf.

Klingt einfach. Gäbe es da nicht Probleme, bei denen uns die Intuition auf eine falsche Fährte lockt.

Das berühmte Ziegenproblem  zum Beispiel. Selbst Mathematiker geben da mitunter eine falsche Lösung an.

Worum geht es? In einem TV-Studio sind drei Türen aufgebaut. Hinter einer steht ein Auto, der mögliche Gewinn. Hinter den anderen beiden warten je eine Ziege, die Nieten. Der Kandidat wählt eine Tür, die aber zunächst verschlossen bleibt. Stattdessen öffnet der Moderator eine der beiden anderen Türen - und zwar eine, hinter der eine Ziege steht. Nun bietet der Moderator dem Kandidaten an, dass er sich umentscheiden darf.

Soll der Spieler dies tun?

Die Bauchantwort lautet bei vielen Menschen: Nein! Was soll sich schon ändern? Doch dieser Gedanke ist falsch, die Chance zum Wechsel der Tür verdoppelt sogar die Gewinnchancen - siehe Kasten:

Das Ziegenproblem und seine Lösung

Ein anderes Problem handelt von einem Vater, der zwei Kinder hat. Was man weiß: Mindestens eines der Kinder ist ein Junge. Wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann zwei Söhne hat? Meine spontane Antwort (und vielleicht auch Ihre) lautet 50 Prozent, also 1/2.

Sie ist allerdings ebenfalls falsch.

Wieso? Wenn wir davon ausgehen, dass das Verhältnis von Jungen zu Mädchen 50:50 ist, dann gibt es bei zwei Kindern generell folgende vier Varianten:

JJ, JM, MJ, MM (J für Junge, M für Mädchen, jeweils erstes oder zweites Kind)

Die Variante MM fällt weg, weil ein Kind ja auf jeden Fall ein Junge ist. Bleiben also drei Fälle, und nur in einem Fall gibt es zwei Söhne. Macht eine Wahrscheinlichkeit von 1/3.

Der Trugschluss 1/2 entsteht, weil es für die Geschwisterkombination Junge + Mädchen nicht eine, sondern zwei Varianten gibt: JM und MJ.

Man muss sich das wie beim Werfen zweier Würfel vorstellen. Die Wahrscheinlichkeit, zwei Sechser gleichzeitig zu werfen, ist 1/6 mal 1/6, also 1/36. Die Wahrscheinlichkeit, eine Fünf und eine Sechs zu werfen, ist doppelt so groß (1/18) - weil es dafür zwei Möglichkeiten gibt: 56 oder 65.

Ändert der Wochentag die Wahrscheinlichkeit?

US-Rätselerfinder Gary Foshee hat kürzlich auf einer Konferenz in Atlanta eine interessante Variante des Zwei-Jungen-Problems vorgestellt. Ein Mann hat zwei Kinder. Mindestens eins davon ist ein Junge, der an einem Dienstag geboren wurde. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide Kinder Jungen sind?

Vermutlich denken Sie jetzt: Was hat der Wochentag des Geburtstags mit der Frage zu tun? Die Wahrscheinlichkeit bleibt 1/3.

Damit sind Sie nicht allein. Auch der britische Mathematiker Keith Devlin, Autor des Buchs "Das Mathe-Gen" , hält es spontan für plausibel, dass die Angabe eines Wochentags die Wahrscheinlichkeit nicht ändert. "Meine erste Reaktion war, dass die Information über den Dienstag irrelevant ist", schreibt er in seinem Blog Devlin's Angle .

Aber das ist falsch. Die korrekte Wahrscheinlichkeit ist 13/27 - deutlich besser als 1/3.

Wieso? Nehmen wir an, dass die Geburtstage von Jungen und Mädchen über die Wochentage gleich verteilt sind. Dann gibt es für jedes der beiden Kinder 14 Möglichkeiten:

J-Mo, J-Di, J-Mi, J-Do, J-Fr, J-Sa, J-So (J für Junge, Mo bis So für die Wochentage)
M-Mo, M-Di, M-Mi, M-Do, M-Fr, M-Sa, M-So (M für Mädchen, sonst analog)

Weil mindestens ein Junge an einem Dienstag geboren wurde, reduzieren sich die möglichen Kombinationen für das Geschwisterpaar wie folgt:

Fall 1: Das erste Kind ist J-Di. Für das zweite gibt es dann folgende 14 Varianten:
J-Mo, J-Di, J-Mi, J-Do, J-Fr, J-Sa, J-So, M-Mo, M-Di, M-Mi, M-Do, M-Fr, M-Sa, M-So.
In 7 Fällen davon ist das zweite Kind ein Junge.

Fall 2: Das zweite Kind ist J-Di. Dann gibt es fürs erste Kind nur 13 Möglichkeiten - denn die Variante, dass beide J-Di sind, wurde in Fall 1 ja schon berücksichtigt:
J-Mo, J-Mi, J-Do, J-Fr, J-Sa, J-So, M-Mo, M-Di, M-Mi, M-Do, M-Fr, M-Sa, M-So.
In 6 Fällen davon ist das erste Kind ein Junge.

Nun müssen wir die Zahl der Junge-Junge-Fälle nur noch durch die Gesamtzahl der möglichen Kombinationen teilen. Als Lösung erhalten wir:

(7+6)/(13+14) = 13/27

In Internetforen wird das Problem übrigens ähnlich kontrovers diskutiert wie einst das Quizrätsel mit den beiden Ziegen. Keith Devlin von der Stanford-Universität sagt: "Wenn Sie immer noch daran zweifeln, dann trösten Sie sich damit, dass Sie nicht allein sind." Mancher orakelt, die Wahrscheinlichkeitsrechnung stoße bei der Dienstags-Jungen-Aufgabe an ihre Grenzen. Denn wenn die bloße Angabe eines Wochentags das Ergebnis einer Rechnung von 1/3 zu 13/27 ändert, kann man dann den Berechnungen überhaupt noch trauen?

"Ich glaube, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung das richtige Werkzeug zum Lösen solcher Probleme ist", sagt Andrew Gelman , Statistikprofessor von der Columbia-Universität in New York. Wie oft aber derart knifflige Aufgaben im realen Leben auftauchen, könne er nicht sagen. Was fast schon beruhigend klingt.

Womöglich ist unser Leben ja gar nicht so verzwickt wie jene Rätsel, die sich Mathematiker ausdenken.

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