Virus-Thriller "Contagion" Hollywood tötet wie im echten Leben

Ein tödliches Virus verbreitet sich rasend schnell, eine Behörde kämpft verzweifelt gegen den Tod von Millionen: Steven Soderberghs "Contagion" ist ein fesselnder Seuchen-Thriller - und dank wissenschaftlicher Berater sehr realistisch. Manche Gefahren verharmlost der Film sogar.
Von Jana Schlütter
Virus-Thriller "Contagion": Hollywood tötet wie im echten Leben

Virus-Thriller "Contagion": Hollywood tötet wie im echten Leben

Foto: Thomas Strecker

Eine Erkältung, nichts weiter. Ein bisschen trockener Husten, Angeschlagenheit, kalter Schweiß. Vielleicht auch nur Jetlag, denkt sich Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow) bei einem Zwischenstopp von Hongkong nach Minneapolis. Als Beth daheim ankommt, fliegt ihr kleiner Sohn in ihre Arme - der Anfang einer Pandemie, ausgelöst durch ein noch unbekanntes und äußerst gefährliches Virus.

Wenn Hollywood sich Viren als Bösewichte aussucht, dann steht es um die im Film dargestellte Wissenschaft meist schlecht. Im Ebola-Thriller "Outbreak" mit Dustin Hoffman etwa reihte sich eine Absurdität an die nächste, sagt der Bonner Virologe Christian Drosten: "Das ist schlimmer als einen Notfallchirurgen zu nötigen, sich die 'Schwarzwaldklinik' anzusehen." Steven Soderberghs "Contagion" will anders sein.

Zwar erzählt er einen fiktiven Fall, das Szenario jedoch sollte so realistisch wie möglich bleiben. Von der Entwicklung der Idee über das Drehbuchschreiben bis hin zur Umsetzung der einzelnen Szenen band Soderbergh deshalb wissenschaftliche Berater wie den Virologen Ian Lipkin ein.

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Der reale Seuchen-Thriller: Forschen im Hochsicherheitslabor

Foto: Warner Bros.

Auch wenn dem Direktor des Center for Infection and Immunity an der Columbia University in der Fachwelt der Ruf vorauseilt, ein bunter Hund und guter Selbstdarsteller zu sein - ein sogenannter Fernsehprofessor ist er nicht. Seine Publikationsliste, die harte Währung unter Wissenschaftlern, ist ellenlang und beinhaltet Veröffentlichungen in den besten Fachjournalen. Und nun Hollywood?

Als Soderbergh und Drehbuchschreiber Scott Burns vor drei Jahren auf ihn zukamen, war Lipkin skeptisch: "Ich habe ähnliche Angebote in der Vergangenheit abgelehnt", sagt er. "Aber dieses Team war sehr offen, kam ohne vorgefertigte Schablonen. Sie wollten es wirklich richtig machen." Lipkin wurde Factchecker und Ideengeber im Hintergrund.

Das Ergebnis ist ein teils apokalyptischer Film. Ein schlimmeres Virus als das von Lipkin erdachte MEV-1 ist für den Pandemiefall kaum vorstellbar: Wie die Grippe überträgt es sich leicht per Tröpfcheninfektion - ist aber um ein Vielfaches tödlicher. Die Inkubationszeit ist gering, Nichtsahnende können das Virus weitergeben, bevor sie selbst Symptome haben. Die Krankheitsanzeichen sind dem Nipah-Virus entlehnt: Anders als bei Sars oder der Grippe sind nicht nur die Atemwege, sondern auch das zentrale Nervensystem betroffen. Die Patienten haben epileptische Anfälle, ihnen ist schwindlig, sie sind desorientiert. Im Gegensatz zur Schweinegrippe dauert es im Film aber kaum drei Monate von der Identifizierung eines völlig unbekannten Virus bis zu den ersten Impfdosen - ein eher optimistisches und hoffnungsvolles Szenario.

Unrealistische Erwartungen an die Wissenschaft

Virologen üben Kritik: "Das kann unrealistische Erwartungen an die Wissenschaft wecken", meint Drosten. Zum einen sei es ungewöhnlich, dass ein neues Virus so schnell und leicht erkannt werden kann. Normalerweise variieren die Symptome stark von Fall zu Fall und lassen sich schwer von bekannten Krankheiten unterscheiden. "Der erste Schritt ist die Beschreibung typischer Fälle und die Entwicklung eines diagnostischen Tests", sagt Drosten. Drostens Labor hatte 2003 den ersten Sars-Test gefunden. Impfstoffe könnten zudem sehr viel länger auf sich warten lassen, sagt Drosten, zumal es in Europa erheblichen Widerstand gegen gentechnische Methoden gebe.

Auch die Rolle der WHO-Epidemiologin Dr. Leonora Orantes (Marion Cotillard) spiegelt nicht vollständig die Realität wider: Alleine reist sie von Genf nach Asien, um dort in mühevoller Kleinarbeit die Spur der ersten Patientin aufzunehmen. Doch später spitzt sich die Situation zu, sie wird entführt - und Hollywood übernimmt schließlich vollends die Regie.

Die Handlungsstränge sind weitestgehend realistisch - voller plausibler Details und Anspielungen auf reale Personen und Situationen: Den Zusammenbruch der sozialen Ordnung etwa konnte Lipkin im kleineren Maßstab beim Sars-Ausbruch beobachten. Das Schicksal der CDC-Epidemiologin Erin Mears (Kate Winslet), die versucht, die Pandemie einzudämmen, ist dem des italienischen WHO-Experten Carlo Urbani nachempfunden. Er war einer der Ersten, die Sars identifizierten.

Der von Jude Law gespielte Blogger Alan Krumwiede dagegen ist ein Amalgam aus den Alpträumen von Wissenschaftlern: Mit messianischem Eifer verbreitet er Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien. Die Seuchenbehörde CDC lüge, halte Informationen zurück. Ein Kraut sei das einzig wirksame Heilmittel, aber die Pharmariesen wollten lieber Geld mit Impfungen verdienen - obwohl die Autismus verursachten.

Hysterie und Verschwörungstheorien bleiben meistens nicht aus

Damit griff Lipkin eine von dem britischen Arzt Andrew Wakefield angestoßene Hysterie auf, wonach die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) Autismus verursache. Zwar ist Wakefield längst widerlegt - doch die Angst vieler Eltern hält sich bis heute. Zeitweilig sanken die Impfraten in Großbritannien von 92 Prozent auf ein Rekordtief von 79 Prozent.

"Sie glauben nicht, mit welchen Verschwörungstheorien uns die Leute beim Ehec-Ausbruch kontaktiert haben", seufzt Dag Harmsen, Mikrobiologe am Universitätsklinikum Münster, der an der Entschlüsselung des Ehec-Erbguts beteiligt war.

Oftmals, fügt Drosten hinzu, habe die Öffentlichkeit eben schon eine feste Vorstellung von der Seuche. "Während wir selbst mitunter noch nicht wissen, womit wir es zu tun haben." Im Film schlägt sich CDC-Vizechef Ellis Cheever (Laurence Fishburne) dann auch mit genau solchen Fragestellungen herum: Wie soll er die Unsicherheit kommunizieren? Das Risiko, das Experten selbst noch nicht genau einschätzen können? Wie soll er eine Massenpanik vermeiden, die Gefahr aber auch nicht herunterspielen? "Im Fall von Ehec haben wir uns leider nicht mit Ruhm bekleckert", sagt Harmsen. Die Kakophonie von Stimmen auf Länder- und Bundesebene sei für Laien nur noch verwirrend gewesen.

Etwa sieben Arbeitswochen sei er ausschließlich mit dem Film beschäftigt gewesen, schätzt Lipkin. Wenn die CDC-Leute in ihre Computer schauen, dann sieht der Zuschauer eine realistische Gensequenz und ein 3-D-Modell, das er zusammengestellt hat. Er hat Ideen für das Skript geliefert und immer wieder die Fakten überprüft. Er hat Gwyneth Paltrow gecoacht, wie ein epileptischer Anfall aussehen sollte, Matt Damon erklärt, wie es sich anfühlt, in Quarantäne zu sein und Jennifer Ehle und Kate Winslet in seinem Labor den Umgang mit Pipetten und anderen Gerätschaften beigebracht. Gemeinsam haben sie Hochsicherheitslabore besichtigt und mit den echten Epidemiologen der CDC gesprochen.

Lipkin hofft, dass seine Mühen sich gelohnt haben: "Vielleicht können wir so auch Politiker aufrütteln, damit sie nicht am falschen Ende sparen - und junge Leute für das Feld gewinnen." Genug Arbeit gäbe es: Je mehr Wildtiere aus ihren ursprünglichen Lebensräumen vertrieben werden, je stärker die Urbanisierung voranschreitet und je vernetzter die Welt wird, desto wahrscheinlicher wird es, dass neue Viren vom Tier auf den Menschen überspringen. Diesen Weg nimmt das Virus auch im Film.

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