Vogelschlag-Forschung Zwei Kilo gegen 60 Tonnen
Zwei Kilogramm wiegt ein größerer Vogel - ein voll beladener Airbus A320 bis zu 60 Tonnen. Bei einem Zusammenstoß der ungleichen Flieger dürfte dem Flugzeug kaum etwas zustoßen, könnte man glauben. Doch das stimmt nur für geringe Geschwindigkeiten etwa beim Einparken auf dem Airport.
Wenn das Flugzeug kurz nach dem Start in einen Vogelschwarm gerät wie der im Hudson River notgelandete Airbus, dann sind die Triebwerke in Gefahr. An den rotierenden Verdichterschaufeln ganz vorn im Triebwerk - auch Fan genannt - können dabei kurzzeitig Impulskräfte auftreten, die das 10.000-fache Eigengewicht des Vogels übersteigen. Folge: massive Deformationen an den Schaufeln, im schlimmsten Fall Totalausfall.
Jörg Frischbier vom Münchner Triebwerkshersteller MTU Aero Engine erforscht den sogenannten Vogelschlag seit Jahren, um die von MTU hergestellten Triebwerke noch sicherer zu machen. Kollisionen werden am Computer simuliert - vor allem in der Entwicklungsphase. Spätestens bei der Zulassung für Zivilmaschinen müssen Triebwerke aber auch mit zuvor getöteten Vögeln beschossen werden. Ohne erfolgreich absolvierte Tests gibt es keine Betriebserlaubnis.
Wenn eine Gans, ein Graureiher oder eine Ente mit einem Triebwerk zusammenstößt, dann kommt es vor allem darauf an, dass die Verdichterschaufeln halten. "Die Schaufeln müssen wir oft extra dicker machen, damit sie solche Vorfälle überstehen", sagt Frischbier.
Die ersten Versuche würden mit Ersatzmassen wie Gelatine oder Plastilin durchgeführt. Bei den Computersimulationen modellieren die Ingenieure einen Vogel aus 85 bis 90 Prozent Wasser und 10 bis 15 Prozent Luft.
"Der Hauptimpulsaustausch findet in der Regel in der ersten Verdichterstufe statt", schreibt Frischbier in einem Fachartikel in der Zeitschrift "Vogel und Luftverkehr". Sprich, der Schaden ist im vordersten Teil des Triebswerks oft am größten.
Tierfragmente könnten aber auch im dahinter liegenden Hochdruckverdichter die Strömung instabil machen - mit der Folge, dass die Schubkraft sinke.
Kurioserweise ist die mechanische Belastung an den Schaufeln besonders groß, wenn das Flugzeug gerade startet. Denn das Triebwerk rotiert dann schon mit voller Drehzahl, während das Flugzeug selbst noch relativ langsam unterwegs ist.
Im Fall des Eurofighter-Triebwerks EJ200 zum Beispiel wird der größte Impuls bei einer Eintrittsgeschwindigkeit von 430 Kilometern pro Stunde übertragen - bei einer Vogel-Masse von 450 Gramm.
"In Drehrichtung beschleunigt und auszentrifugiert"
Was passiert mit den Schaufeln beim Crash? In Simulationen und Versuchen wurden drei EJ200-Blätter mit einem 16 Zentimeter langen Tier beschossen. Die Teile werden stark verbogen. Nach 1,5 Millisekunden war das Tier hinter der ersten Triebwerksstufe, die Schaufeln richteten sich zumindest teilweise wieder auf. Spitzen und Kanten blieben jedoch dauerhaft deformiert.
Wie es dem Vogel während des Crashs ergeht, beschreibt MIT-Ingenieur Frischbier in nüchterner Ingenieurssprache: "Durch den heftigen Impulsaustausch ... werden die Vogelteilmassen in Drehrichtung beschleunigt und auszentrifugiert".
In den meisten Fällen würden die Tierreste das Treibwerk mit dem Nebenstrom wieder verlassen. Doch wenn ein Vogel in der Triebwerksmitte einschlage, könne es vorkommen, dass Tierteile auch ins Kerntriebwerk gelangen.
In der Regel überstehen Triebwerke von Zivilflugzeugen sogar das Einsaugen ganzer Vogelschwärme, sagt Frischbier. Nach einer wenige Sekunden dauernden Stabilisierungsphase würden sie wieder mit dem vorgeschriebenen Mindestschub laufen.
Die Wahrscheinlichkeit für signifikante Schäden am Triebwerk bis hin zum Totalausfall steigt mit zunehmender Vogelmasse. Bei 500-Gramm-Tieren liegt sie bei 30 Prozent - Fünf-Kilo-Vögel verursachen in 80 Prozent der Crashs ernsthafte Schäden.
Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass an beiden Triebwerken Schubverluste auftreten, ist deutlich geringer. Bei einer Kollision mit einem Schwarm zwei Kilogramm schwerer Tiere, die in beide Triebwerke geraten, beträgt sie 10 Prozent. Bringen die Vögel fünf Kilo auf die Waage, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Probleme an beiden Triebwerken auf 20 Prozent. "Das sind ausgesprochen seltene Vorfälle, die kann man an einer Hand abzählen", sagt Axel Raab, Sprecher der Deutschen Flugsicherung.
So gesehen hatten die Passagiere des A320-Jets in New York Pech, als es zum Totalausfall kam - und zugleich großes Glück, dass bei der Landung niemand getötet wurde.