
Frühwarnsysteme: Heißer Job am Stromboli
Vulkanforschung Im Dauerfeuer des Stromboli
Es ist, als wäre alle zwanzig Minuten Silvester, hatte Matthias Hort gesagt. Das war vor ein paar Wochen, sechs Studenten saßen in seinem Büro an der Universität Hamburg, und Hort klärte sie über die Risiken der Expedition auf. Manchmal, sagte er, fielen Bomben vom Himmel, so nennen Vulkanforscher faustgroße glühende Steine, und vor ein paar Jahren sei sogar eine ganze Bergflanke ins Meer gerutscht. Man werde nicht leichtsinnig sein, versprach er schließlich, er habe eine Frau und zwei Kinder, die wolle er wiedersehen. Seine Studenten nickten.
Jetzt sind sie hier, in Süditalien, auf dem Stromboli, einem der aktivsten der Welt. Über ihnen die Mittagssonne, im Rucksack die Messgeräte, am Horizont Sizilien. Unter den Füßen 3000 Meter Vulkan, davon etwa 1000 über dem Meeresspiegel, und vor ihnen, in hoffentlich sicherer Entfernung, der Schlot. Vier Tage lang haben sie Instrumente, Kabel und Batterien hier hochgeschleppt, zwei Stunden dauert ein Aufstieg. Heute wollen sie alles aufbauen und dem Vulkan mit einem umgebauten Radargerät direkt in den Rachen spähen.
Der Berg spuckt plötzlich eine schwarze Wolke und Lavafetzen aus. Blinzelnd stehen die Geophysiker vom Klimacampus Hamburg im Rauch, das Schwefeldioxid beißt in den Augen, Asche rieselt auf ihre Helme. "Teufelsküche", sagt Hort, "jeder Vulkan hat seine Macken, aber auch ein paar allgemeine Charaktereigenschaften."
Um diese herauszufinden, hat er das Radargerät mit seinen Studenten auch schon auf den Mount Erebus in der Antarktis getragen, auf den Yasur in Vanuatu (Südpazifik), den Colima in Mexiko und den indonesischen Merapi. Wer Vulkane versteht, kann ihre Ausbrüche vorhersagen - und möglicherweise ein Chaos verhindern, wie es in Europa nach dem entstand. Damals wurden Tausende Flüge wegen der Aschewolke abgesagt.
Der Stromboli ist eine Pilgerstätte für Vulkanforscher
Der Stromboli dient den Forschern als Übungsgelände, um ihre Instrumente als Frühwarnsysteme zu mit Seismometern abgehorcht, inzwischen kommen die verschiedensten Geräte zum Einsatz, vom Radar bis zum Gas-Sensor. "Der Ausbruch eines Vulkans lässt sich heute in 80 Prozent der Fälle vorhersagen", schätzt Hort. Mehr sei knifflig. Versiegt der Vulkan, oder waren die ersten Eruptionen nur ein Vorspiel zum großen Ausbruch? "Da stehen wir noch am Anfang." Mehr Daten müssen her.
Der Stromboli - seit der Antike als Leuchtturm des Mittelmeers bekannt - ist eine Pilgerstätte für Vulkanforscher. Eine ganze Klasse von Ausbrüchen ist nach ihm benannt, auch der Eyjafjallajökull zeigte "strombolianische Aktivität": Dabei bildet sich in regelmäßigen Zeitabständen eine Gasblase in der unterirdischen Magmakammer und steigt durch den Schlot nach oben. Wenn die Blase die Oberfläche erreicht, platzt sie und katapultiert Asche und Lava in die Luft. Weil der Stromboli so regelmäßig Dampf ablässt, ist die Wucht der Eruptionen einigermaßen vorhersehbar und das Risiko, ihn zu erforschen, eher gering.
Der Berg ist bei den Forschern auch deshalb so beliebt, weil sie hier morgens einen Espresso trinken, mittags Eruptionen beobachten und abends in der Pizzeria fachsimpeln können. Und so traf sich Matthias Hort vor neun Jahren hier mit drei Kollegen, Jon Dehn aus Alaska, Andrew Harris aus Hawaii und Maurizio Ripepe aus Florenz. Bei Rotwein heckten sie unten im Dorf den Plan aus, ihre Instrumente gleichzeitig auf den Vulkan zu richten. Seitdem finden auf Stromboli regelmäßig Gipfeltreffen statt. Ihre Messdaten fügen sie wie ein Puzzle zusammen, um das Gesamtsystem besser zu verstehen.
Ein internationales Team von Forschern will dem Vulkan seine Geheimnisse entlocken
Die internationale Kooperation ist beispielhaft - und doch hat jeder der Männer den Ehrgeiz, mit seinen Messgeräten den entscheidenden Beitrag zu liefern. Jon Dehn vom Vulkanobservatorium Alaska bringt heute in Sichtweite der Hamburger Geophysiker eine Infrarotkamera in Stellung. Er will die Wärmestrahlung der glühenden Steine messen, um aus den Werten die Stärke der Eruptionen zu berechnen. Nur 17 Stunden brauche er von seinem Haus in Fairbanks bis zur Ferienwohnung auf Stromboli, schwärmt er. "So schnell komme ich auf keinen Alaska-Vulkan."
Neben ihm hockt Andrew Harris, ein stiller Brite von der Universität Hawaii, und skizziert die Kratergeometrie in sein Notizbuch. "Schön", flüstert er, als wieder eine Aschewolke emporsteigt, "sieht aus wie im Lehrbuch." Nachher will er sich etwas näher an den Schlot wagen und eine Plane ausbreiten, um Asche und Steine aufzufangen.
Auch Maurizio Ripepe von der Universität Florenz ist wieder mit dabei, braun gebrannt und schwarz gelockt, ein Experte für Infraschallmessungen, der so häufig hier ist, dass man unten im Ort schon eine Pizza nach ihm benannt hat.
Große Vulkanausbrüche: Startschuss für einen inoffiziellen Wettlauf
Viele der Geräte, die sie hier oben erprobt haben, dienen inzwischen auf anderen Vulkanen zur Vorhersage. Ripepes Sensoren überwachen den Asama-Vulkan in Japan, der seine Asche bis ins 150 Kilometer entfernte Tokyo schickt, und den gefürchteten Soufrière-Hills-Vulkan auf der Karibikinsel Montserrat, der im Jahr 1997 die Hauptstadt des Inselstaates zerstörte.
Matthias Hort wird seine Radarkontrolle für Lavabrocken bald in Neuseeland auf dem Ruapehu-Vulkan aufbauen, in dessen Gefahrenzone ein Skigebiet liegt. Jeder große Vulkanausbruch ist zugleich der Startschuss für einen inoffiziellen Wettlauf: Wer darf seine Geräte dort aufstellen? Wer liefert die besten Vorhersagen? Und wer schreibt den ersten Fachartikel? Vulkanforschern bislang wenig Notiz genommen - mangels Vulkanen. Seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull ist das anders. In den Augen der Öffentlichkeit sind sie nicht nur irgendwelche Grundlagenforscher mit Hang zum Risiko, sondern ein gesellschaftlich relevanter Expertentrupp. Der Island-Vulkan hat aber auch die Grenzen der Vorhersagetechnik aufgezeigt.
Als Matthias Hort zu Beginn des Island-Spektakels von einem Fernsehteam der "Tagesthemen"besucht wurde, sollte er von seinem Büro aus in den Sonnenuntergang schauen und ein paar Worte über die rötliche Färbung des Abendhimmels sagen. Viele Leute fanden das zu diesem Zeitpunkt noch romantisch. Aber nach ein paar Tagen nervte das Flugverbot aufgrund der Aschewolke alle nur noch. Die Folgen für die Flugindustrie seien gravierender als die Verluste durch den 11. September 2001, rechnete deren internationaler Lobbyverband IATA vor. Dessen Präsident Giovanni Bisignani lästerte, das Flugverbot basiere nur auf Modellen, nicht auf Fakten. Andrew Harris bekam einen Anruf von seinem Schwager: "Was macht ihr eigentlich mit unseren Steuergeldern?"
Viele Spendengelder fließen nach den Aschewolken in die Vulkanforschung
Auf dem Stromboli geht es auch darum, die Ehre der Vulkanforschung zu retten. Die Wissenschaftler wollen sich nun noch intensiver mit den Aschewolken beschäftigen, Politiker spendieren gerade viel Geld dafür.
Horts Doktorandin Kristina Meier schraubt die Parabolantenne auf ein Stativ und richtet sie auf den Schlot. Immer wieder spuckt der Berg Asche, aber die junge Frau guckt nur kurz hinüber. "Der ist lieb", sagt Meier, die in ihrer Freizeit mit einem Fallschirm aus Flugzeugen springt. Anders war das beim Yasur-Vulkan, der ihr vor zwei Jahren einen Felsbrocken direkt vor die Füße schleuderte. Heute könne sie das Risiko besser einschätzen, sagt sie.
Das Radargerät sendet Mikrowellen aus, die von den Lava- und Aschepartikeln reflektiert werden. "Das funktioniert ähnlich wie die Radarkontrolle der Polizei", sagt Meier. Aus dem Echo der Mikrowellen berechnet der Computer die Geschwindigkeit und die Größenverteilung der Steinchen.
Beide sind wichtig, um mit Hilfe von Computersimulationen vorherzusagen, wie hoch die Asche in die Atmosphäre aufsteigen und wie viel Asche der Vulkan insgesamt ausspucken wird. Außerdem lässt sich feststellen, wie die Wucht der Explosionen im Lauf der Zeit zu- oder abnimmt, ein wichtiges Indiz für die Vorhersage.
Grundwasser kann die Explosionskraft eines Vulkans verstärken
Vor zehn Jahren hatte Matthias Hort das Instrument schon einmal auf dem Gipfel installiert. Damals konnte er beobachten, wie ein kräftiger Regenschauer die Eruptionen verstärkte. Die Ausbrüche dauerten nach der Sturzflut jeweils doppelt so lange und schleuderten die Asche mit viel größerer Wucht in den Himmel.
Schon lange ist bekannt, dass Grundwasser die Explosionskraft eines Vulkans verstärken kann, wenn es in Kontakt mit dem rund 1000 Grad heißen Magma kommt (als Magma bezeichnet man die Lava, solange sie noch nicht ausgetreten ist). Auch in Island verstärkte das Schmelzwasser des Eyjafjallajökull-Gletschers die Sprengkraft des Vulkans. Der Einfluss von Regen ist aber noch nicht gut erforscht. Hort und Meier wollen das Radargerät bis September auf dem Gipfel stehen lassen, um mehr Daten zu sammeln. Ob das klappt, ist noch nicht sicher. Auf dem Stromboli drohen Lava-Bomben die Solarmodule zu durchschlagen.
Und dann sind da noch die Touristen. Ein französisches Paar hat einmal die Infrarotkamera abgeschraubt, um das Stativ für die eigene Kamera zu nutzen. Dann setzten sich die beiden Franzosen auf einen Erdbebendetektor. Und schließlich wollten sie noch bei den Vulkanforschern auf dem Berg übernachten, was selbst die Gelassensten aus der Fassung brachte. Seit der Stromboli Ende 2002 dann doch einmal richtig Ärger machte, dürfen Touristen zur Freude der Forscher nur noch unter strenger Aufsicht der Zivilschutzbehörde auf den Berg.
Ein Tsunami an Siziliens Nordküste
Schon Anfang 2002 hatte die Aktivität des Stromboli zugenommen: Am 23. Januar hörten die Inselbewohner einen lauten Knall, gefolgt von minutenlangem Ascheregen. Am 24. Juli stieg eine Aschewolke einen halben Kilometer hoch. Am 28. Dezember schließlich öffnete sich eine Flanke des Bergs, Lava strömte ins Meer. Zwei Tage später rutschten Millionen Kubikmeter Gestein ins Wasser und lösten auf Stromboli und an Siziliens Nordküste einen kleinen Tsunami aus. Da zu dieser Jahreszeit niemand am Strand lag, wurden nur wenige Menschen verletzt.
Doch der Erdrutsch änderte alles. Vulkanforscher und Zivilschutzbehörde rückten an und machten den Stromboli zu einem der am besten überwachten Vulkane weltweit. Elf Tage nach dem Tsunami gab es am Berg 30 Telefonleitungen, Internet, Licht und vier Helikopter-Landeplätze, erzählt Maurizio Ripepe. "In so einer Situation willst du wissen, ob das Herz des Vulkans noch pocht." Vor der Explosion war der Berg mit acht Messgeräten bestückt, heute sind es 84.
Frühwarnsystem Stromboli: Vorbild für Zivilschützer weltweit
Der Stromboli ist jetzt verkabelt wie ein Patient auf der Intensivstation. Infrarotkameras fühlen die Temperatur, Seismometer den Puls, Gas-Sensoren den Atem. Edelgase können Wochen vor einem größeren Ausbruch durch Mikrorisse im Gestein entweichen.
Nur für die Sicherheit der Insel hätte niemand so viel Geld investiert, sagt Ripepe: "Die Instrumente stehen hier vor allem wegen der Tsunami-Gefahr." Der Aufwand zahlte sich aus. Aus ihren Messungen leiteten die Forscher Grenzwerte ab. Werden sie überschritten, schlagen die Sensoren Alarm. Als der Stromboli Anfang 2007 wieder ungemütlich wurde, war der Zivilschutz rechtzeitig alarmiert. Mitte Februar - der Krater begann sich auszudehnen, der Erdboden zitterte häufiger - erhöhte die Behörde die Warnstufe auf Rot. Am 27. Februar um 14 Uhr detektierten die Geräte Lavaströme und Gerölllawinen an der Flanke des Vulkans, der Zivilschutz löste Tsunami-Alarm aus. Um 18.30 Uhr rutschte tatsächlich ein Teil des Hangs ins Meer, allerdings zu wenig Geröll, um einen Tsunami zu verursachen.
"Es war das erste Mal, dass wir in Europa so eine zuverlässige Vorwarnung hatten", sagt Ripepe. Das Frühwarnsystem ist heute ein Vorbild für Zivilschützer weltweit. Ripepes größter Stolz sind die Infraschall-Messgeräte, die man auch zum Aufspüren heimlicher Atombombentests verwendet. Vulkane schicken ebenso wie Atombomben Druckwellen durch die Luft, sogenannten Infraschall, den der Mensch nicht direkt wahrnimmt. Nur die Fenster der Häuser wackeln, wie von Geisterhand bewegt, wenn der Stromboli mal wieder Druck ablässt. Diese Beobachtung brachte Ripepe auf die Idee, den Schall direkt zu messen.
Asche sammeln - und Daten
Aus den Luftdruckschwankungen können die Forscher aus sicherer Entfernung auf die Intensität eines Ausbruchs schließen. Und das hat offenbar auch die Isländer überzeugt: Seit Mitte Mai steht eines seiner Infraschallmikrofone nun auch am Eyjafjallajökull. Ripepe war diesmal schneller. Horts Radargerät eignet sich nicht so gut für den Gletschervulkan, weil es am Kraterrand stehen muss - und der schmolz täglich dahin.
Die absolute Menge an Asche und Lava, die ein Vulkan ausspeit, kann Ripepe mit seinen Sensoren allerdings noch nicht erkennen. Um diese Zahlen genauer berechnen zu können, sammeln seine isländische Kollegen Asche ein und vergleichen die Menge mit den Messungen der Schallsensoren.
Solche Daten sind wichtiger denn je, seit die Aufsichtsbehörden Grenzwerte für Flüge durch Vulkanasche festgelegt haben. Früher galt Nulltoleranz. "Man musste nur feststellen, ob sich Asche in der Atmosphäre befindet oder nicht", sagt Antonio Costa, der am Vulkanforschungsinstitut in Neapel die Ausbreitung von Aschewolken simuliert. Selbst bei noch so geringen Konzentrationen wurde ein Flugverbot erlassen.
Jetzt gilt das absolute Flugverbot nur noch bei Aschekonzentrationen von mehr als vier Milligramm pro Kubikmeter, die Forscher müssen also künftig Partikelkonzentrationen berechnen. Und dafür brauchen sie verlässliche Abschätzungen der Auswurfmenge pro Minute und der Teilchengrößen. Diese wiederum kann die Radartechnik sehr gut ermitteln. Gemeinsam sind sie wohl doch am stärksten.
Mobile Einsatztruppe für Eruptionen
Ärger gibt es nur mit den Meteorologen: darüber, wie man die Ausbreitung der Aschewolken am besten simulieren kann. Derzeit verwenden die neun Volcanic Ash Advisory Centres für den Flugverkehr gut ein halbes Dutzend Programme, angelehnt an Modelle für die Wettervorhersage. Dem Flugverbot über Europa lag etwa ein Computermodell des britischen Wetterdienstes zugrunde, das nach der Tschernobyl-Katastrophe für die Vorhersage radioaktiven Fallouts entwickelt wurde. "Einige der Modelle", kritisiert Costa, "wurden für die Simulation vulkanischer Aschewolken eingesetzt, ohne sie zuvor gründlich zu testen." Costa hat mit einigen Kollegen einen Brandbrief geschrieben, um die Zunft aufzurütteln. Ihre Forderung: Jede Simulation müsse nicht nur die Konzentration und die Ausbreitung der Asche vorhersagen, sondern auch die Unsicherheit der Berechnung angeben - eigentlich eine Selbstverständlichkeit. In Zukunft solle aus den Vorhersagen der besten Modelle der Durchschnitt ermittelt werden. Costa sagt: "Die Eruption des Eyjafjallajökull wird einen Paradigmenwechsel bewirken."
Matthias Hort träumt schon davon, eines Tages mit einer mobilen Einsatztruppe zu frisch erwachten Vulkanen zu fliegen, um diese schnell mit Hightech-Sensoren zu bestücken. Im Auftrag des Bundesforschungsministeriums hat er 2009 eine solche Übung am Fogo-Vulkan auf der Azoren-Insel São Miguel koordiniert. Sie verteilten ihre Geräte und speisten die Messungen in die eigens programmierte Datenbank ein. Das funktionierte auch ganz wunderbar. Doch dann wurde der Albtraum eines jeden Vulkanforschers wahr: Der Berg rührte sich nicht mehr. So etwas würde ihr Stromboli nie machen.