Wahrnehmung Warum wir besser hören, was wir sehen
23 Uhr, eine belebte Eckkneipe: Menschen reden und lachen, Gläser klirren, Stühle rücken, die Musik legt über alles einen Teppich. Selbst was am Nebentisch passiert, ist kaum zu hören. Alles verschwimmt zu einem undurchdringlichen Lärmbrei.
Nur unser Gegenüber verstehen wir noch, wir haben es ja fest im Blick. Was unsere Ohren nicht mitbekommen, ergänzen wir zu mehr oder minder sinnvollen Aussagen, weil wir Mimik, Gestik, Körpersprache und Lippenbewegungen beobachten, ganz intuitiv.
Dass Blickkontakt das Hörverständnis stützt, ist eine triviale Alltagserfahrung und durch zahlreiche Studien belegt. Völlig neu ist dagegen, was Neurologen der Duke University behaupten: Im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences" berichten sie, dass das bessere Hörverständnis bei Blickkontakt nicht nur kognitive, sondern auch physiologische Gründe habe.
Ihre Kernthese:
Ohr und Auge seien neurologisch gekoppelt. Die Blickrichtung fokussiere auch die Hörrichtung - und zwar durch gezielte Bewegung und Ausrichtung des Trommelfells.
Über die filigranen Knochen des Innenohrs lasse sich die Position des Trommelfells wie ein kleines Richtmikrofon leicht tarieren. Zugleich trügen auch Haare in der Hörschnecke (Cochlea) durch Stellungsveränderungen dazu bei, den Schall leicht anders zu leiten und so bestimmte, anvisierte Orte stärker in den auditiven Fokus zu rücken. Kurzum: Der Hörapparat könne sich auf bestimmte räumliche Ausrichtungen fokussieren und optimieren.
Die Studie erklärt das bessere Hörverständnis bei Blickkontakt damit nicht nur als kognitive Ergänzungsleistung, sondern als physiologische Funktion. Der Nachweis dafür gelang den Forschern experimentell: Mithilfe kleiner, in die Gehörgänge von Probanden eingebrachter Sensoren erfassten sie die sich verändernden Vibrationen der Trommelfelle. Und die verändern sich mit der Stellung des Trommelfells.
Hirn an Sensoren: Da spielt die Musik!
Der Witz an dem Experiment: Die Teilnehmer saßen in einem komplett dunklen Raum und hatten die Aufgabe, nur mit ihren Augen farbigen LEDs zu folgen. Kognitiv zu deuten gab es da nichts, dafür aber klare Messergebnisse: Je nachdem, wohin die Augäpfel der Probanden blickten, veränderten sich auch die Vibrationen des Trommelfells - es wurde anders fokussiert.
Und das gelingt nicht nur Menschen, sondern zumindest auch anderen Primaten: Die Messeergebnisse ließen sich in Experimenten mit Rhesusaffen replizieren.
Die Verbindung von Ohr und Auge läuft dabei offenbar neurologisch, glauben die Forscher: Die Bewegung des Trommelfells setze messbar, wenn auch kurz vor der Bewegung des Auges, ein.
"Das ist, als ob das Gehirn sage 'Ich bewege gleich die Augen. Da sage ich besser auch den Ohren Bescheid!'", beschreibt die Psychologin und Neurologin Jennifer Groh den Effekt.
Wie genau diese Kopplung funktioniert, ist den Forschern noch unklar. Die Verarbeitung auditiver und visueller Reize, sagt Groh, geschehe immerhin auf völlig andere Weise, an verschiedenen Orten im Gehirn. Dass sie Sinn ergibt, steht dagegen außer Frage: Die unterschiedlichen sensorischen Daten zu einem möglichst frühen Punkt in Einklang zu bringen, sei offensichtlich hilfreich bei der korrekten Erfassung des dreidimensionalen Raumes.
Eine möglicherweise überlebenswichtige Fähigkeit, als es noch nicht darum ging, einen Witz zu verstehen, der von zu lautem Hip-Hop übertönt wird, sondern darum, nicht gefressen zu werden.