Klimakrise Die Katastrophe ist da...

Eine Welt, die in Teilen unbewohnbar ist. Das galt lange als ferne Dystopie. Doch die Katastrophe beginnt jetzt - für alle sichtbar an der US-Westküste. Was folgt daraus?
Brände in Kalifornien am 9. September: Schon im Jahr 2070 könnten weltweit 3,5 Milliarden Menschen in Gebieten wohnen, in denen so hohe Temperaturen herrschen, dass ein Überleben kaum möglich ist

Brände in Kalifornien am 9. September: Schon im Jahr 2070 könnten weltweit 3,5 Milliarden Menschen in Gebieten wohnen, in denen so hohe Temperaturen herrschen, dass ein Überleben kaum möglich ist

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Philip Pacheco / Getty Images

Das Inferno an der US-Westküste schafft, was Greta Thunberg nicht vermochte. Die damals 16-Jährige wollte die Welt mit Angst und Schrecken überziehen, knapp 20 Monate ist das jetzt her: Die Konzernbosse auf dem Weltwirtschaftsgipfel, die Regierenden, wir alle sollten wegen des Klimawandels "in Panik geraten" , forderte sie in Davos. Doch die Furcht, die sich Thunberg wünschte, lassen sich die Verantwortlichen auch ein Jahr später nicht anmerken. Nicht einmal Sorge um die Zukunft kann man aus dem Umgang der großen Mehrheit der Staatschefs mit der Krise herauslesen - billigende Inkaufnahme des Weltuntergangs.

Die Folgenlosigkeit emotionaler wie sachlicher Appelle zur Lösung der Menschheitsherausforderung beschäftigt Aktivisten und Wissenschaftler seit Jahrzehnten. Mindestens seit den Achtzigerjahren versuchen sie Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, das man nicht sehen, fühlen oder schmecken kann. Das nicht unmittelbar krank macht, weder gut noch schlecht ist. Als Klima im engeren Sinne definiert  der Weltklimarat IPCC "das durchschnittliche Wetter, oder genauer die statistische Beschreibung in Form von Durchschnitt und Variabilität relevanter Größen über eine Zeitspanne". Doch vor der langfristigen Veränderung statistischer Mittelwerte hat niemand Angst.

Die Brände von Kalifornien, Oregon, Washington haben das Potenzial, das größte Hemmnis bei der Bekämpfung der Klimakrise aus dem Weg zu räumen: ihre Unsichtbarkeit. Die Erderwärmung zeigt ihr Gesicht - es ist eine Fratze. Sie lugte schon hervor bei der europäischen Hitzewelle im vergangenen Jahr und war zu sehen bei den verheerenden Feuern in Australien.

Der mächtigste Mann der Welt und die größte Krise der Menschheit treffen aufeinander

Warum entfachen die Bilder von der US-Westküste eine größere Wirkung als die vielen klimabezogenen Extremwettereignisse etwa in Afrika? Vielleicht weil viel zu wenig darüber berichtet wird. Vielleicht aber auch, weil eine Katastrophe dieses Ausmaßes in einer westlichen, demokratischen Industrienation mit freier Presse - erst recht in Wahlkampfzeiten - eine breite Debatte über ihre Ursachen provoziert? Vielleicht weil der mächtigste Mann der Welt und die größte Krise aufeinandertreffen und weltweit Schlagzeilen machen?

"Das ist ein klarer Indikator für den Klimawandel", sagte etwa Kate Brown , Gouverneurin des besonders betroffenen Bundesstaates Oregon. "Es ist ein Weckruf für uns alle, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun müssen, um den Klimawandel zu bekämpfen." 500.000 Hektar Land seien in Oregon in den vergangenen zehn Jahren verbrannt - doch eine Million Hektar nur in der vergangenen Woche, so Brown. Wie ein riesiger Lötkolben brenne sich der Klimawandel gerade über den Westen der USA, kommentiert  der Gouverneur von Washington State, Jay Inslee. Dabei geht die Brandsaison noch bis November, der Höhepunkt dürfte also noch nicht erreicht sein.

Zehntausende in Kalifornien erleben nun auf tragische Weise hautnah, wie der Brandbeschleuniger Klimawandel ihre Heimat unbewohnbar macht . Die Wissenschaft ist in der Erforschung dieses weltweiten Phänomens längst weiter, doch weil über viele Jahre der Bezugspunkt zur Realität, die Bilder und die wahren Begebenheiten fehlten, setzen sich Forscher mit Prognosen zu Nachrichten wie diesen immer wieder dem Vorwurf von Alarmismus aus.

Was für jedes Einzelereignis gilt, greift auch hier: Kein Feuer wurde unmittelbar durch die höhere CO₂-Konzentration in der Atmosphäre entfacht, doch der Klimawandel schafft oder verschärft immer sichtbarer Bedingungen für ihr Entstehen. Dass Waldbrandrisiken durch den Klimawandel generell steigen, zeigt etwa der Bericht des Weltklimarats  zu den Landgebieten der Erde. Schon unterhalb von einem Grad Erwärmung dehnt sich demnach "mit hoher Konfidenz" die Waldbrandsaison aus.

Aus Modellen, Statistiken und Prognosen werden nun Brände, Fluten und Stürme

Der IPCC hat außerdem dokumentiert, dass schon heute Dürrephasen gerade in ohnehin niederschlagsarmen Gebieten wie dem Mittelmeerraum oder Kalifornien zunehmen. Weite Teile der westlichen USA erlebten in diesem Jahr Rekordhitze , in Kalifornien wurde der heißeste August seit Beginn der Aufzeichnungen  gemessen. Hinzu kam extreme Trockenheit  in den von den Bränden betroffenen Bundesstaaten. "Die Brandsaison in Kalifornien hat sich um 75 Tage verlängert", sagt  Lynnette Round, Sprecherin des Kalifornischen Ministeriums für Forstwirtschaft und Brandschutz. "Unsere Sommer sind länger, was mehr Trockenheit bedeutet und uns anfälliger für Brände macht."

In den letzten Jahren sind wir in eine neue Phase der Klimakrise eingetreten. Schon heute hat sich die Erde weltweit um mehr als ein Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit erwärmt, aus Modellen, Statistiken und Prognosen werden nun Brände, Fluten und Stürme. Stoppen wir die CO₂-Verklappung in der Atmosphäre nicht schnell, könnten schon im Jahr 2070  rund 3,5 Milliarden Menschen in Gebieten wohnen, in denen so hohe Durchschnittstemperaturen herrschen, dass ein Überleben kaum möglich ist - bei einer erwarteten Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen würde das rund ein Drittel der Weltbevölkerung betreffen.

Es ist eine gewaltige Aufgabe, zu verhindern, dass die Dystopie in die Realität schwappt. Wirtschaft, Politik, ganze Gesellschaften und jeder Einzelne müssen sich ändern. Doch beginnen könnten wir mit dem Naheliegenden. Der Internationale Währungsfonds schätzt , dass Regierungen die Nutzung fossiler Brennstoffe allein 2015 direkt und indirekt mit sagenhaften 4700 Milliarden Euro subventioniert haben. Die Stromversorgung des Planeten bis 2050 weitgehend auf erneuerbare Energien umzustellen, würde laut der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien allerdings nur mit rund 405 Milliarden Euro jährlich zu Buche schlagen. Die Mächtigen der Welt müssen nicht in Panik verfallen, nur mit kühlem Kopf das Richtige tun. So zynisch das klingt, vielleicht kann diese Katastrophe dabei helfen.

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