
Evolutionsdebatte Es ist nicht schlimm, ein Trockennasenprimat zu sein

Was von "Lucy" blieb: 46 Knochen und Fragmente sind im Feld der Paläoanthropologie eine ganze Menge
Foto: LES NEUHAUS/ APDer 24. November ist gleich in zweierlei Hinsicht eine Art Jahrestag. 1974 fand an diesem Tag Donald Johanson im äthiopischen Hadar einen Haufen kleiner Knochen. 47 davon setzte er zum Teilskelett einer einst rund einen Meter großen Australopithecus-Frau zusammen, die er "Lucy" taufte. Anfang 2015 nahm man einen davon wieder heraus, weil er sich als Pavian-Fragment entpuppte. So etwas kann passieren, die ähneln sich halt sehr.
Google hat "41 Jahre Lucy" heute zum Anlass genommen, dieser berühmtesten Vertreterin der Australopithecinen ein "Doodle" zu gönnen. Der Suchmaschinist lieferte damit die Steilvorlage für zahlreiche Artikel, in denen "Lucy" einmal mehr als "Vorfahrin", "Affen-Dame" oder "Affenmensch" gefeiert wird. Der Mensch wird da gern als "Nachfahre" des Affen thematisiert und "Lucy" als Missing Link zwischen beiden.
Was vor allem eines zeigt: Dass die Lehren aus der Evolutionstheorie bis heute nicht verstanden wurden. Die veröffentlichte Darwin übrigens auch an einem 24. November. Das 1859 erschienene "On the Origin of Species", das Grundlagenwerk seiner Evolutionstheorie, schlug damals ein wie eine Bombe: Darwin stellte damit das Dogma von der "Konstanz der Arten" in Frage - und damit das Grundprinzip der göttlichen Schöpfung und Ordnung. 1871 ließ er "The Descent of Man" folgen, das Buch über die Abstammung des Menschen.
Im zweiten Buch leitete er zudem die Herkunft des Menschen von einem Vorfahren "niederer Herkunft" ab. Dass er damit Affen meinte, machte er nur indirekt und quälend umständlich klar: Seite um Seite um Seite eierte er vergleichend herum, auf dass der Leser begreife, dass Affen uns am Ende doch irgendwie ähnlicher sind als - sagen wir mal - Fledermäuse?
Aber Darwin, immer wieder gern Drückeberger, wenn es haarig wurde, kannte eben seine Zeitgenossen. Hatte "Origins" noch für hitzige Debatten in gebildeten Zirkeln gesorgt, wirkte "Descent", als hätte er Kuhdung in einen Ventilator geworfen - der Dreck flog, und nicht wenig blieb an Darwin hängen.
Was von "Lucy" blieb: 46 Knochen und Fragmente sind im Feld der Paläoanthropologie eine ganze Menge
Foto: LES NEUHAUS/ APDer Mensch, ein Verwandter des Affen? Lächerlich, fanden viele Zeitgenossen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Ein religiöses Sakrileg war das, eine Entthronung, ein Sich-selbst-zum-niederen-Wesen-Machen. So, als wertete man den Menschen ab, wenn man seinen Ort in der Natur benennt. Die Zeitungen quollen über vor Darwin-Karikaturen, und auf vielen war er nicht nur rund ums Kinn reichlich haarig (siehe Bildergalerie).
Wir haben es noch immer nicht geschluckt: Wir sind Affen
Das Witzige daran ist, dass all das auch heute noch vielen Zeitgenossen schwerzufallen scheint. Noch immer tun wir so, als wären wir völlig losgelöst vom Rest des Lebens. Dabei sind Biologen inzwischen schlauer und haben Darwins Ansatz weiterentwickelt. Für sie stehen Arten nie für sich allein. Sie fassen sie nach der Nähe ihrer Verwandtschaft mit anderen Arten zu Gruppen zusammen. Spielen wir das anhand des Menschen einmal durch:
Wer es noch genauer wissen will: Sie und ich sind Trockennasenprimaten.
Wir stammen nicht von ihnen ab, wir gehören dazu - so wie die Affen, die unterhalb dieser Ebene ganz so wie wir ebenfalls eine eigene Unterordnung bilden. Wenn man so will, sind sie die Neffen unserer Ururur-Großcousine.
Und "Lucy"? Gehört zu unserer weit engeren Verwandtschaft. Was sie auf jeden Fall nicht war: ein Missing Link zu uns. Australopithecinen sitzen in unserem vielstämmigen Stammbusch auf einem älteren Zweig als wir - auch wenn der aus demselben Ast spross. Die Wege von Australopithecus und Homo trennten sich, so wie sich zuvor unser gemeinsamer "Ast" von dem der Schimpansen getrennt hatte.
Das alles zu erkennen, wertet uns nicht ab, im Gegenteil. Die archaische, religiöse Trennung von Mensch und Natur war die ideologische Rechtfertigung für jeden Raubbau daran: "Macht euch die Erde untertan…"
Das Menschsein als "Ort" in der Natur zu begreifen, öffnet hingegen Horizonte und macht uns klar, dass Raubbau Selbstgefährdung bedeutet. Ich persönlich habe keinerlei Problem damit, Primat zu sein. Es macht uns zu besseren Menschen.
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Darwin, der Primat: 1871 veröffentlichte "The Hornet Magazine" die wohl berühmteste Darwin-Karikatur. Im Editorial machte sich der Chefredakteur mit einer Parabel über Darwin lustig: Dem Zeichner sei beim Vergleich von Mensch und Affe wohl einiges durcheinandergeraten.
Doch die Evolutionstheorie, und besonders alles, was die Abstammung des Menschen betraf, lieferte den Karikaturisten über viele Jahre Stoff. Die französische Satirezeitschrift "La Petite Lune" setzte den äffischen Darwin noch 1878 auf ihr Titelblatt.
"Der da", beklagt sich der Affe im "Punch" von 1871, "behauptet, er stamme von mir ab!" Darauf tadelt der Tierschützer Henry Bergh den beschuldigten Charles Darwin: "Wie können Sie ihn so beleidigen?"
1875 zeichnete der Karikaturist Linley Sambourne den Naturforscher Darwin quasi in seinem Element - beim Besteigen von Pflanzen.
Schau mal, wie ähnlich wir uns sehen: Im "The London Sketch-Book" von 1874 hält Darwin dem Affen den Spiegel vor. Spott, der letztlich nach hinten losgeht: Es waren tatsächlich anatomische Vergleiche, mit denen Darwin die Nähe von Affe und Mensch dokumentierte. Damit, auch menschliches Verhalten auf seine primatischen Wurzeln zu untersuchen, begann man erst sehr viel später.
Ein weiteres häufiges Motiv zeitgenössischer Karikaturen: den Affen als Quasi-Menschen in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Hier kündigt ein verängstigter Diener Herrn "Go-ho-ho-ho-rilllla!" als Gast an ("Punch", 1861).
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