Wahlprogramm der Union Warum CDU und CSU keine Klimaschutzparteien sind

Rodung im Arnsberger Wald: Die Bäume waren nach starkem Borkenkäfer-Befall abgestorben und mussten gefällt werden
Foto:Jochen Tack / imago images/Jochen Tack
Ein »Mea culpa« von Unionspolitkern zum Thema Klimaschutzpolitik gab es in der laufenden Legislatur häufiger: Wirtschaftsminister Peter Altmaier gestand ein, dass die vergangenen Jahrzehnte zu wenig passiert sei, Markus Söder ergrünt seit einigen Monaten und will endlich »entschlossener« handeln, mittlerweile gibt es mit der »Klimaunion« sogar so etwas wie klimabewegte Abgeordnete in den eigenen Reihen.

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Bei so viel Einsicht war die Erwartungshaltung in Sachen Wahlprogramm entsprechend groß. Doch schon kurz nachdem das Papier – das Armin Laschet zum Kanzler machen soll – kursierte, brach ein Proteststurm los: »Stillstand«, »Weiter-so-Politik«, »Klimahölle« waren nur einige der netteren Bezeichnungen des am Montag vorgestellten Programms für »Stabilität und Erneuerung«.
Der Slogan deutet bereits an, wo das Problem liegt: Die Union will zwar Klimaschutz, aber bitte nicht zu doll. Besonders deutlich wird das an den neuralgischen Punkten der Klimawende: dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Ressourcen. Ohne einen massiven Zubau von Wind- und Solaranlagen kann Deutschland sein Klimaziel nicht schaffen – das war bereits vor der erzwungenen Anhebung von 55 auf 65 Prozent Einsparungen bis 2030 so. Und gilt jetzt umso mehr.
Ebenso wie der Wirtschaftsminister drückt sich das Unions-Wahlprogramm aber in diesem wichtigen Punkt darum, die Erneuerbaren-Ausbauziele anzuheben und konkrete Zahlen zu nennen.
Dabei braucht Deutschland große Mengen grünen Stroms – es geht um nichts Geringeres als die Elektrifizierung aller Lebensbereiche: Für E-Autos und Busse, für die Herstellung von grünem Wasserstoff für die Industrie (Deutschland soll laut Wahlprogramm »Wasserstoffland Nr.1« werden), für die Herstellung von synthetischem Kraftstoff (zum Beispiel E-Fuels) oder für klimaschonendes Heizen von Gebäuden. Diese »Zukunftstechnologien« und innovativen Lösungen werden im Unions-Wahlprogramm gefeiert – auch um Giganten wie den USA und China Konkurrenz zu machen.
Die Grundlage dieser Technologiewende wird nicht benannt: Da Wind- und Solarenergie derzeit die einzigen im großen Maßstab verfügbaren klimafreundlichen Energiequellen sind, müsste die Union den Erneuerbaren eigentlich den roten Teppich ausrollen. Denn ohne grünen Strom ist die schöne neue Welt des Wasserstoffs oder synthetischer Kraftstoffe nur eine Scheinwelt.

Armin Laschet und der schwere Abschied von der Kohle
Foto: Federico Gambarini / dpaEin Zahlen-Beispiel: Damit die Klimaziele noch erreicht werden, müsste allein die Windkraft an Land um rund acht Gigawatt pro Jahr zulegen, rechnet das Fraunhofer-Institut vor. Im vergangenen Jahr lag der Zuwachs nur bei 1,4 Gigawatt – Deutschland müsste also ab sofort jährlich knapp sechsmal so viele Windräder bauen.
Angesichts dieser Schieflage klingt es fast euphemistisch, einen »schnelleren Ausbau« zu fordern, ohne auch nur eine Zielmarke zu nennen. Getoppt wird diese Phrase nur noch durch den Zusatz, dass mehr »Akzeptanz in der Bevölkerung«, »Planungssicherheit« sowie »weniger Bürokratie« nötig seien. Drei gute Vorsätze, die die Regierung die vergangenen Jahre selbst konterkariert hat.

Pia Pritzel / DER SPIEGEL
»Klimabericht« ist der SPIEGEL-Podcast zur Lage des Planeten. Wir fragen, ob die ökologische Wende gelingt. Welche politischen Ideen und wirtschaftlichen Innovationen überzeugen. Jede Woche zeigen wir, welchen Einfluss die Klimakrise auf unseren Planeten hat und warum wir im spannendsten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts leben.
Die Union schuf mit dem Klimaschutzpaket 2019 selbst höhere Hürden für den Ausbau, indem sie eine Abstandsregelung von 1000 Metern zwischen Windanlagen und Siedlungen ins Spiel brachte. Auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung tat die Union bisher wenig – einzig eine Beteiligung der Kommunen an den Gewinnen von Windparks gibt es mittlerweile – allerdings ist die freiwillig.
Ähnlich widersprüchlich geht es beim Ausstieg aus den fossilen Energien zu: Die Union steht weiter zum späten Ende der Kohle – das letzte Kraftwerk soll erst sieben Jahre vor Erreichen der Klimaneutralität im Jahr 2045 abgeschaltet werden. Auch Erdgas ist weiterhin gern gesehen: Die Union bekennt sich 25 Jahre vor dem Ende des fossilen Zeitalters zum Ausbau von Gasleitungen und dem umstrittenen Import von Flüssiggas.
Schwer tun sich CDU und CSU auch beim Abschied vom Verbrennungsmotor: Wieder gibt es keine konkreten Termine, wann der Verkauf von neuen Diesel- und Benzinfahrmotoren verboten werden soll – obwohl das andere Länder wie Frankreich, US-Bundesstaaten und sogar einzelne Automarken wie Audi längst getan haben. Gleichzeitig soll die Verantwortung an die Europäische Union abgeschoben werden: Man wolle den Emissionshandel auf den Verkehrssektor ausweiten, heißt es im Wahlprogramm beiläufig.
Doch genau davor warnen Experten: Wenn der Verkehr keine nationale Klimaschutzaufgabe ist, wird alles über den europäischen CO2-Preis geregelt. Der dürfte aber viel zu niedrig sein, so die Befürchtung. Stattdessen würden die wirksamen CO2-Flottenwerte, die derzeit angewendet werden, wegfallen. Die können deutsche Autobauer kaum einhalten, deshalb drohen regelmäßig Milliarden-Strafzahlungen.
Auch beim nationalen CO2-Preis bleibt alles nebulös: Man wolle den »Aufwuchspfad straffen« – was auch immer damit gemeint ist.
Technologie-Euphorie statt struktureller Veränderung
Es bleibt das schale Gefühl, dass die Union sich nicht festlegen will, Verantwortung lieber auf die EU abschiebt und in unausgereifte Technologien vertraut, anstatt die derzeitigen Energiewende-Optionen beherzt anzupacken. Die Union wirkt mittlerweile wie ein Altherrenklub: Die Realität überholt die eigenen Überzeugungen, und die älteren Semester kommen nicht mehr mit. Die Angst vor einer strukturellen Veränderung ist einfach zu groß. Und sie wird mit einer regelrechten Technologie-Euphorie überspielt.
»Die Union setzt zu sehr auf die ferne Zukunft und vergisst dabei, das schnell umzusetzen, was heute schon geht«, kommentiert Niklas Höhne vom NewClimate Institute.
Bestes Beispiel dafür ist ein unscheinbarer Absatz zur CCS-Technologie – der unterirdischen Speicherung von CO₂. Diese wurde in Deutschland bereits vor Jahren auf Druck aus der Bevölkerung verboten. Nun kramen die Unionsparteien die Idee in ihrem Wahlprogramm wieder aus – ohne irgendeinen Hinweis darauf, wo und wie jemals in Deutschland überschüssiges CO₂ gelagert werden könnte.
Der Satz von Laschet »›Geht nicht‹ gibt's bei uns nicht mehr!«, gilt wohl insbesondere für schlaue Ausweichmanöver von ehrgeiziger Klimapolitik. Das gesamte Klimaschutzprogramm wirkt wie eine Sammlung von Anreizpolitik, technologischen Zukunftslösungen und Förderprogrammen, mit denen die Union ordnungspolitische Maßnahmen um jeden Preis verhindern will – koste es, was es wolle.