"Wellenwurst" Stählerne Seeschlange spuckt Strom
Die Wogen der Weltmeere bergen ein schier unerschöpfliches Potenzial an Energie. Nach Berechnungen des Internationalen Weltenergierates (WEC) in London könnten Wellenkraftwerke künftig 15 Prozent des weltweiten Strombedarfs decken. Bisher aber lag in der Kraft der Wellen zugleich auch das Problem für ihre Ausbeutung: Schon so manches maritime Versuchskraftwerk ging unter der unberechenbaren Naturgewalt zu Bruch. Ein neuartiges hydrodynamisches Kraftwerk soll dem Ansturm der Wellen nun trotzen: ein 120 Meter langes Gebilde namens "Pelamis" (griechisch für Seeschlange), wegen seiner Form auch Wellenwurst genannt.
Seit einigen Wochen trotz ein Prototyp den Gezeiten vor den schottischen Orkneyinseln. Der in Norwegen entwickelte Generator hat einen entscheidenden Vorteil: Die 130 Meter lange und 750 Tonnen schwere Konstruktion mit nur sieben Metern Durchmesser liegt nicht starr im Ozean, sondern passt sich den Wellenbewegungen geschmeidig an. Anstatt ihnen widerstehen zu müssen, taucht die stählerne Seeschlange durch die Wellen hindurch und verwandelt dabei deren Energie zu Strom.
Hydraulik treibt Motor an
"Pelamis" besteht aus vier zylinderförmigen Segmenten, die durch Scharniere miteinander verbunden und beweglich sind. Bei Wellen ab einem Meter Höhe schaukelt die Wurst sanft in der Dünung, die Bewegungen pressen hydraulische Flüssigkeit im Innern der Kraftwerk-Segmente mit hohem Druck in Tanks. Der Druck wird weitergeleitet und treibt einen Motor an, der wiederum an einen Generator gekoppelt ist und die Wellenkraft in Strom verwandelt.
Nach einer sechsjährigen Forschungs- und Entwicklungsphase hat der norwegische Energiekonzern Hydro den ersten Prototyp der neuen Wellengeneratoren vor einigen Wochen in der Nähe der Orkneyinseln zu Wasser gelassen. Seitdem schaukelt das kleine Kraftwerk, vertäut und über ein Stromkabel mit dem Festland verbunden, in den Wogen der oft sturmgepeitschten Nordsee und liefert Strom. "Bisher hat Pelamis die Testphase gut überstanden, auch wenn die Stromgewinnung noch nicht stabil genug verläuft", sagt Hydro-Mitarbeiter Bård Hammervold. Allerdings sei man sehr zufrieden damit, wie gut die Wellenwurst auch schwerem Seegang standhalte. "Das ist schließlich der Knackpunkt, an dem schon viele andere vor uns gescheitert sind."
Hoher Preis für Wellenstrom
Geeignete Standorte für "Pelamis" in Europa sind die Küsten Großbritanniens, Spaniens, Portugals, Irlands und Norwegens. In Schottland könnten nach Zahlen des WEC bis zum Jahr 2020 rund 40 Prozent des Strombedarfs auf diese Art gedeckt werden. Bei optimaler Nutzung soll künftig jede Wellenwurst genug Strom für 130 Wohnungen produzieren. Hydro plant gar Wellenkraft-Farmen mit jeweils 30 solcher Generatoren. Die Energiekapazität einer solchen Farm würde dem Strombedarf von bis zu 4000 Wohnungen entsprechen.
Billig ist die umweltfreundliche Energie aus dem Meer allerdings nicht. "Wir rechnen damit, dass sich die Kosten innerhalb von zehn Jahren auf vier Cent reduzieren und dem Preis von Kohle und Gas anpassen lassen", sagte Richard Erskine, Leiter von Hydro Technology Venture. Mit der heutigen Technologie kostet der Wellenstrom allerdings zehn Cent pro Kilowattstunde - und damit doppelt so viel wie Windenergie.