Weltweiter CO₂-Handel Das Klima geht an die Börse

Airlines wollen einen Teil ihrer Emissionen mit CO2-Gutschriften aus Klimaprojekten in Entwicklungsländern ausgleichen
Foto: Anucha Sirivisansuwan / Getty ImagesSchon beim Gang durch den Supermarkt fallen sie ins Auge: die grünen Sticker mit dem »CO2-neutral«-Siegel. Davon gibt es mittlerweile so viele, dass die Welt schon fast gerettet sein müsste. Ob Kaffee, Zahnbürsten oder Geflügelfleisch – alles Klimaretter, könnte man meinen.
Natürlich stimmt das nicht – bei keinem Produkt. Der Kaffee wird aus Mittelamerika via Schiff nach Deutschland gebracht, das Fleisch in CO2-intensiver Massentierhaltung produziert und auch die Herstellung der Plastikzahnbürste hat einen Klima-Fußabdruck.

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Das Klimaneutral-Siegel ist ein geschickter Griff in die Marketingkiste: Die Unternehmen spenden an Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern – angeblich in der Höhe, wie sie CO₂ für ihr Produkt ausstoßen. Dafür bekommen sie dann CO2-Gutschriften. Aus der Spende an Öko-Projekte wird so ein »klimaneutrales« Produkt.
Doch die Sache hat gleich mehrere Haken: Zu welchem Preis haben die Firmen ihre Zertifikate erworben? Waren sie vor Ort, um sich vom Klimanutzen der Projekte zu überzeugen? Oder kennen sie nur die bunten Bilder der Projektbetreiber? Von wem wird kontrolliert, ob wirklich CO₂ eingespart wird?
Diese Fragen stellen sich derzeit auch die rund 200 Staaten des Weltklimaabkommens: Denn die Kompensation will die Uno künftig auch unter dem Dach des Pariser Abkommens zulassen. Bald könnten nicht nur Unternehmen, sondern auch Staaten ihre Klimaziele mit den Gutschriften aufbessern – oder beim Verkauf solcher daran verdienen. Der Uno-Klimabeauftragte und ehemalige Chef der Bank of England, Mark Carney, hat nun zusammen mit Unternehmen aus der Finanzbranche eine »Taskforce« gegründet, um dem globalen CO2-Handel neuen Schwung zu geben.
Sein Ziel: Den heutigen 300-Millionen-Dollar-Markt auf bis zu 100 Milliarden ausweiten . Schon in zehn Jahren könnte der Handel mit Treibhausgas-Gutschriften auf einen Umfang 50 Milliarden Dollar pro Jahr zulegen, schätzt die Unternehmensberatung McKinsey in einem aktuellen Bericht .
Mit ein paar Euro kann man sich »grün waschen«
Der Grund: Insgesamt 127 Länder haben bereits angekündigt, bis zur Mitte des Jahrhunderts netto keine Klimagase mehr auszustoßen, darunter Großemittenten wie die USA, China und die EU. Auch sie wollen sich den Sticker »klimaneutral« ans Revers heften, ebenso wie Konzerne, Unternehmen oder Airlines. Sie alle versprechen damit, in den nächsten 30 bis 40 Jahren ihre Emissionen rechnerisch auf null zu senken.
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Doch schon heute ist abzusehen, dass viele Länder und ihre CO2-intensiven Industrien die grüne Null nicht schaffen. Deshalb müssen sie CO2-Zertifikate zukaufen. Das funktioniert genauso wie die Siegel im Supermarkt: Irgendwo wird ein Dieselgenerator durch Solarpanels ersetzt, ein Wald geschützt statt gerodet oder ein Dorf mit Biogasanlagen ausgestattet – und dadurch CO₂ eingespart. Das wird dann verrechnet und kann als Gutschrift verkauft werden. Ein Land wie die USA mit sehr hohen Emissionen könnten dann diese Gutschriften beispielsweise von Brasilien kaufen, die dafür Waldstücke im Amazonas stehen lassen.
Unter dem Dach des Pariser Weltklimaabkommens soll diese zwischenstaatliche Kompensation möglich werden – nur über die Regeln konnten sich die Staaten auch auf der vergangenen Uno-Klimakonferenz 2019 in Madrid nicht einigen.
Deshalb will der Uno-Klimabeauftragte zumindest den sogenannten freiwilligen CO2-Markt ausweiten (siehe Kasten). Dieser unregulierte und rein privatwirtschaftliche Markt ist außerhalb der Uno entstanden – beispielsweise für die CO2-neutral-Siegel auf Supermarktprodukten. Und: Je mehr Unternehmen sich die Gutschriften freiwillig kaufen, desto besser auch für die Netto-Null-Ziele der Staaten, so die Idee.
Seit 2005 gibt es zwei Arten von weltweiten CO2-Märkten:
den freiwilligen Markt, meist »voluntary market« genannt und
den CO2-Handel unter Aufsicht der Uno.
Beim freiwilligen Markt können Projektbetreiber, NGOs oder Unternehmen in einem beliebigen Land ein Klimaschutzprojekt planen und das dann von einem privaten Gutachter überprüfen lassen. Dieser bestätigt die Menge der eingesparten CO2-Emissionen und damit auch die Menge der Gutschriften pro Jahr, die ausgeschüttet werden können.
Ein Zertifikat entspricht einer Tonne CO₂. Die Gutachter und Zertifizierer sind privat, darunter Unternehmen aber auch Stiftungen, die von Nichtregierungsorganisationen gegründet wurden, beispielsweise der Gold-Standard. Die Zertifizierer unterscheiden sich erheblich in ihren Anforderungen an die Projekte. Das beeinflusst dann auch den Preis. Billige CO2-Gutschriften verkaufen sich besonders gut.
Der CO2-Handel der Uno funktioniert ähnlich, nur dass die Uno als qualitativ hochwertiger und besser kontrolliert gilt – auch wenn es ebenso wie im freiwilligen Markt in der Vergangenheit Betrugsfälle gab. Allerdings muss der CO2-Handel unter dem Dach der Uno reformiert werden. Formal laufen die Projekte noch unter dem Kyoto Protokoll, dem Vorgängerabkommen des Weltklimavertrages.
Doch der CO2-Handel hat enorme Schwachstellen – der freiwillige Markt genauso wie der bisherige Handel unter Uno-Aufsicht, der nun durch das Weltklimaabkommen abgelöst werden soll. Die alten CO2-Gutschriften der Uno sind derzeit nur noch wenige Cent wert. Um klimaneutral zu werden, reichen also ein paar Euro. Ein Anreiz, Treibhausgase einzusparen, ist das nicht. Außerdem gibt es eine Reihe zweifelhafter Projekte, mit denen Unternehmen sich eine zweite Einnahmequelle geschaffen haben.
Oftmals waren Projekte in der Vergangenheit nicht »zusätzlich«, die CO2-Einsparung hätte also ohnehin stattgefunden. Das Öko-Institut errechnete , dass es bei 85 Prozent der Projekte unwahrscheinlich ist, dass zusätzliche Emissionen eingespart wurden.
Ob Carneys Vorschlag mehr Vertrauen schafft, ist zweifelhaft – besonders wenn man sich die Liste der Mitglieder anschaut: Die »Taskforce« von Carney ist eine Initiative der Finanzbranche unter dem Vorsitz von Bill Winters, dem Geschäftsführer der Bank Standard Chartered. Die genießt keinen besonders guten Ruf, seit sie 2019 wegen Geldwäsche mit einer Geldstrafe von mehr als einer Milliarde Dollar belegt wurde. Mit dabei sind zudem CEOs wie die von EasyJet oder Nestlé, die sonst wenig bekannt für ihr ökologisches Engagement sind. Auch die Unternehmensberatung McKinsey berät die Initiative.
Börsennotierte Klimarettung
Lambert Schneider beobachtet den CO2-Handel schon seit mehr als 15 Jahren und ist skeptisch: »Ich bezweifle, ob ein Börsenhandel von Zertifikaten für die freiwillige Kompensation überhaupt vom Markt angenommen wird.« Beim Börsenhandel wüssten die Käufer nicht, von welchem Projekt sie Zertifikate erwerben, sondern nur, dass es Zertifikate sind, die Minimalanforderungen erfüllen. »Deshalb ist tatsächlich zu befürchten, dass diese Initiative nur absolute Minimalanforderungen an die Qualität von Klimazertifikaten stellen wird.«
Das sehen auch andere Experten so, die derzeit auf Uno-Ebene mitverhandeln: »Dieser Markt bestimmt seine Ziele, Standards und Regeln selbst«, meint die Umweltjuristin Christina Voigt. Sie ist Mitglied des norwegischen Verhandlungsteams und lehrt an der Universität Oslo. »Es gibt im bestehenden freiwilligen CO2-Handel keine objektiven Gutachter oder die Überwachung durch eine unabhängige Stelle.« Viele Unternehmen seien mehr an einem grünen Schein als Sein interessiert. Deshalb müssten dringend strenge Regeln eingeführt werden – auf nationaler oder auch Uno-Ebene.

Kuhdung-Produktion für Biogasanlagen in Indien: Ökologische Alternativen zu Holz können die Entwaldung in armen Ländern stoppen.
Foto: DIPTENDU DUTTA/ AFPAuch Umweltschützer kritisieren den Vorstoß des Uno-Klimabeauftragten in einem offenen Brief . Die »Taskforce« von Carney wolle möglichst lasche Regeln – und das trotz der zahlreichen Korruptions- und Greenwashing-Fälle. »Eine Ausweitung des freiwilligen Marktes ist unnötig«, schreiben die Autoren. Das Offsetting, wie der Kauf von CO2-Gutschriften auch genannt wird, verhindere nachhaltige Emissionsreduktionen und den Umbau der Gesellschaften.
Außerdem seien auch Waldprojekte erlaubt, die unter dem Kyoto-Protokoll – dem Vorgänger des Weltklimaabkommens – zu Recht ausgeschlossen wurden, so die Aktivisten. Bei solchen Projekten sei nicht gesichert, ob der aufgeforstete Wald auch in Zukunft noch steht oder abgeholzt oder abgebrannt wird, sobald die Gutschriften verkauft sind. Und auch Menschenrechtsverletzungen seien in solchen Projekten an der Tagesordnung, »einschließlich Gewalt, Folter und Mord«, schreiben die Umweltschützer.
Das Problem mit der Doppelzählung
»Offsetting macht nur Sinn, wenn alle anderen CO2-Sparmöglichkeiten ausgeschöpft sind«, meint die Juristin Christina Voigt. »Meist aber wird teurer Klimaschutz in Industrieländern mit billigen Gutschriften aus dem Süden ersetzt, deren Integrität niemand wirklich einschätzen kann.«
Doch nicht nur Unternehmen, sondern auch Staaten versuchen, sich auf Kosten des Klimas zu bereichern. Gerade Entwicklungs- und Schwellenländer versuchen, in den Uno-Verhandlungen derzeit eine »Doppelzählung« durchzusetzen: So wollen sich die Klimaprojekte in ihrem Land selbst anrechnen lassen, obwohl sie die Gutschriften bereits verkauft haben. Brasilien will sich beispielsweise das Nicht-Abholzen genauso wie das Wiederaufforsten mit CO2-Rechten bezahlen lassen. Gleichzeitig will das Land sich aber die dadurch eingesparten Emissionen noch selbst in die eigene Klimabilanz schreiben.
Deshalb sei es so wichtig, dass auf der nächsten Uno-Klimakonferenz strenge Regeln für die CO2-Gutschriften geschaffen werden: »Wenn sich alle Teilnehmer und auch private Unternehmen an internationale, einheitlichen Regelungen halten, sind wir schon einen großen Schritt weiter«, meint Juristin Voigt.
Einige Länder setzen mittlerweile schon auf bilaterale Abkommen und warten nicht länger auf eine Entscheidung der Uno: So hat die Schweiz bereits zwei Abkommen mit Peru und Ghana für den Handel mit CO2-Gutschriften beschlossen.