
Der Effekt des Klimawandels auf die Kaltfront Achtung, Wetterstörung!


Mann mit Schneefräse in Minneapolis, USA, 4. Februar 2021
Foto: Anthony Souffle / dpaSchon seit Anfang Januar spielt der Polarwirbel verrückt. In seinem Blog nennt der US-Polarwirbel-Experte Judah Cohen die laufenden Störungen des markanten arktischen Tiefdruckwirbels »einzigartig in den Wetteraufzeichnungen und in meiner eigenen Erfahrung«. Normalerweise sitzt der Polarwirbel im Winter fest über dem Nordpol – eine eisige Luftmasse, die sich gegen den Uhrzeigersinn im Kreis dreht.

Stefan Rahmstorf schreibt regelmäßig für den SPIEGEL über die Klimakrise. Er ist Klima- und Meeresforscher und leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Seit dem Jahr 2000 ist er zudem Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Paläoklimaforschung, Veränderungen von Meeresströmungen und Meeresspiegel sowie Wetterextreme.
Der Polarwirbel schließt die arktische Kaltluft wie ein doppelter Ringzaun ein (siehe Grafik). In der unteren Schicht der Atmosphäre, der Troposphäre, umschließt der Jetstream die Kaltluft. Dieses kräftige Windband markiert die Luftmassengrenze, denn unter dem Einfluss der Erddrehung neigen Winde dazu, entlang von Linien konstanten Drucks (Isobaren) zu strömen, also entlang von solchen Luftmassengrenzen. Weiter oben, in der Stratosphäre, bildet der Polarwirbel einen zweiten, engeren Ring, der wiederum den Jetstream und unser Wetter beeinflussen kann.

Links ein starker Polarwirbel, rechts der schwache oder gar rückwärts drehende Polarwirbel. In der Folge schlägt der Jetstream große Wellen und die kalte Polarluft wandert vom Pol weg. In der Darstellung ist die Atmosphäre extrem überhöht, im Vergleich zur Erdkugel ist sie eigentlich dünn wie eine Zwiebelschale. Grafik: Marlene Kretschmer
Foto: Marlene KretschmerAb und zu jedoch wird der Polarwirbel in der Stratosphäre schwach oder kehrt sich gar um. Dann kann es passieren, dass auch der Jetstream in der Troposhäre darunter die Kaltluft nicht mehr über dem Pol festhalten kann und sie auf eine der angrenzenden Landmassen wandert. Dort wird es dann ungewöhnlich kalt und schneereich, während die Arktis sich drastisch erwärmt, wie etwa im Februar 2018 . Im abgelaufenen Januar sah es ähnlich aus: ungewöhnliche Kälte im nördlichen Europa und Asien bei einer Wärmeanomalie über dem Nordpol.
How is 2021 going for you?
— Scott Duncan (@ScottDuncanWX) February 1, 2021
This is how January 2021 went for the Northern Hemisphere. Exceptionally warm in North America and Arctic. Some places average more than +10°C warmer than normal.
Very cold Russia, Asia and cool western northern and western EU.
THREAD pic.twitter.com/mJUr4TkvGZ
Man kann sich die Kaltluft wie eine Pferdeherde vorstellen, die normalerweise eingezäunt ist. Wenn der Zaun kaputtgeht, irrt sie in der Gegend herum. Zu den möglichen Folgen des anhaltend schwachen Polarwirbels zählen laut Cohen Anfang Januar der historische Schneesturm in Madrid, Mitte Januar die Kälte in Skandinavien und Ende Januar Schnee und Kälte im Osten der USA. Aktuell erreichen die Ausläufer der polaren Kaltluft auch Deutschland.
Hat das etwas mit dem Klimawandel zu tun? Meine ehemalige PIK-Kollegin Marlene Kretschmer (jetzt an der University of Reading) hat die Wetterdaten seit 1979 ausgewertet und 2018 in einer Studie gezeigt, dass Wetterlagen mit schwachem Polarwirbel immer länger anhalten, dagegen werden solche mit stabilem Polarwirbel direkt über dem Pol immer seltener. In einer zweiten Studie konnte sie zeigen, dass eine Ursache dieser Entwicklung der Eisschwund in der Arktis sein dürfte.
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Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis – es kann auch unser Wetter in mittleren Breiten durcheinanderbringen. Und das nicht nur im Winter.
Eine in der Fachwelt seit Jahren heiß diskutierte Frage ist, ob unser Sommerwetter immer stabiler wird – in dem Sinne, dass Wetterlagen länger andauern und weniger oft wechseln. Wie immer bei neuen Erkenntnissen in der Wissenschaft werden lebhaft die Argumente pro und kontra ausgetauscht und das Phänomen mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen untersucht.
Die jüngste Studie dazu – von Kai Kornhuber von der Columbia University in New York und Talia Tamarin‐Brodsky von der University of Reading – liefert aus meiner Sicht überzeugende Belege dafür. Die Autoren nutzen einen automatischen Tracking-Algorithmus, der die Bewegung von Hoch- und Tiefdruckgebieten in den Wetterdaten verfolgt (siehe Animation).

GIF-Animation zur Illustration des Tracking-Algorithmus – die Farben zeigen warme und kalte Temperaturanomalien
Foto: Talia Tamarin‐Brodsky»Wir haben dem Eis beim Sterben zugeschaut«
Bei der Anwendung auf Beobachtungsdaten zeigte sich, dass die verheerenden Hitzewellen in Westeuropa 2003 und Russland 2010 auf besonders langsame Hochdruckgebiete zurückzuführen waren, die sich kaum vom Fleck bewegten und deshalb zu der anhaltenden Hitze und Trockenheit mit Zehntausenden Hitzetoten, massiven Ernteausfällen und verheerenden Bränden führten. Russland verbot den Weizenexport – was zu steigenden Brotpreisen in Nordafrika beitrug, die mit als ein Auslöser des Arabischen Frühlings gelten. Die Sterblichkeitsspitze auf dem Höhepunkt der Hitze in Frankreich übertraf 2003 sogar bei Weitem die höchsten Werte der Corona-Pandemie 2020.
Dabei verwandelt die lange Dauer dieser Wetterlagen einige schöne heiße Sommertage in eine folgenreiche Hitzewelle und Dürre. Die zunehmende Dauer solcher Wettersituationen passt auch zu früheren Befunden , wonach der Jetstream sich im Sommer verlangsamt hat.
Das Tracking der Wettersysteme in Klimamodellen ergab, dass eine weitere Verlangsamung des Wettergeschehens bei weiterer Erwärmung zu erwarten ist – und zwar umso mehr, je stärker die Erwärmung der Arktis dem globalen Mittel vorauseilt. Seit 1980 hat sich die Arktis bereits dreimal mehr aufgeheizt als die Erde insgesamt. Markus Rex, Expeditionsleiter der großen Polarstern-Expedition zum Nordpol, berichtete nach seiner Rückkehr letzten Oktober: »Wir haben dem Eis beim Sterben zugeschaut.«
Auch für unser Sommerwetter gilt also: Was in der Arktis passiert, bleibt nicht in der Arktis.