
Robert Blum: Der Märtyrer von 1848
Freiheitskämpfer Blum Der Märtyrer von 1848
Was waren das für Nachrichten! Wien in der Hand des Volkes. Meuternde Soldaten. Der Kaiser aus der Stadt geflohen. Wenn das dort an der Donau möglich war, in der Metropole des erzkonservativen Habsburger-Reiches - dann konnte die Revolution ja noch nicht verloren sein. Dann lohnte es sich zu kämpfen.
Solche Gedanken dürften Robert Blum durch den Kopf geschossen sein, als er von den dramatischen Wiener Ereignissen erfuhr. Es hatte ein paar Tage gedauert, bis die Neuigkeiten um den 12. Oktober 1848 in Frankfurt eingetroffen waren.
Dort zählte der Paulskirchen-Abgeordnete Blum zu den führenden Köpfen der gemäßigten Linken. Als glänzender Redner hatte er große Auftritte hinter sich, er war ein Liebling der Damen in den gutbürgerlichen Salons, er schuftete im Parlament für seinen Traum von Freiheit und Demokratie, und er hatte es genossen: "Süß, bezaubernd, schwelgerisch, wie ein Champagnerrausch", so war ihm das Leben in Frankfurt einmal vorgekommen.
Aber dann, im September, die riesengroße Enttäuschung. In der Gemengelage nach dem Krieg gegen Dänemark hatten sich die alten Kräfte durchgesetzt. "Ich kann keinen Brief schreiben, Zustände und Stimmung sind zu furchtbar", hielt Blum in einer Notiz an seine Frau Jenny fest. Bei einer Wanderung im Odenwald sammelte er einige Tage später neue Kräfte.
Zur gleichen Zeit hatte sich die Lage in Wien auf spektakuläre Weise zugespitzt. Es begann, was als "Wiener Oktoberrevolution" in die Geschichtsbücher einging.
Der Funke des neuerlichen Aufstands wurde von außen in die Stadt getragen, aus Ungarn. Dort war der nationale Freiheitsdrang besonders groß, weshalb die Habsburgermonarchie Soldaten in Marsch setzte. Am 6. Oktober gegen vier Uhr früh sollte sich ein Bataillon Grenadiere aus Wien auf den Weg nach Ungarn machen. Doch die Soldaten weigerten sich. Studenten, Arbeiter und Nationalgardisten eilten herbei, um die Meuterer zu unterstützen. In den folgenden Wirren ermordete eine wütende Menge den Kriegsminister und knüpfte seine Leiche an einer Laterne auf.
Kaiser Ferdinand I., der erst im August aus Innsbruck in seine Reichshauptstadt zurückgekehrt war, ergriff am nächsten Tag abermals die Flucht. Begleitet von seinem Hofstaat setzte er sich mit der Eisenbahn ins mährische Olmütz ab. Der Lokführer, der den kaiserlichen Zug steuerte, wurde reich belohnt; unter anderem erhielt er das Privileg, Lipizzaner zu halten.
"Wien war Blums Bestimmung"
In Wien beruhigte sich die Lage erst einmal wieder. Es wurde diskutiert und publiziert, der Meinungsstreit wogte hoch, während der Alltag zumeist in den gewohnten Bahnen verlief. Die Umstürzler kämpften nicht mehr, aber sie waren wachsam.
Robert Blum kehrte unterdessen von seiner Odenwald-Wanderung nach Frankfurt zurück. Als er hörte, was in Österreich los war, gab es für ihn nur noch eins: Dort wollte er hin. "Wien war Blums Bestimmung", schreibt der Historiker Ralf Zerback in seiner Biografie des leidenschaftlichen Demokraten. Im Kreis seiner Mitstreiter von der parlamentarischen Linken drängte Blum darauf, eine Delegation in die Donaumetropole zu schicken. Gemeinsam mit drei weiteren Abgeordneten machte er sich am 13. Oktober eilig auf den Weg.
"Wenn Wien nicht siegt, so bleibt nach der Stimmung nur ein Schutt- und Leichenhaufen übrig, unter welchem ich mich mit freudigem Stolze begraben lassen würde", schreibt er nach der Ankunft am 17. Oktober seiner Frau nach Leipzig. Nur für einen kurzen Besuch bei ihr und den Kindern hat er unterwegs die Zeit gefunden. Jetzt geht es für Blum um alles oder nichts.
Seiner Frau malt er die Stadt in leuchtenden Farben: "Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemütlich, aber gründlich. Die Verteidigungsanstalten sind furchtbar, die Kampfbegier grenzenlos."
Einen kühleren Blick zeigt er am selben Tag in einem Brief an seine politischen Freunde in Frankfurt: "Der Eintritt in die Stadt erst lässt den Kriegszustand erkennen. Die eine Donaubrücke ist außerordentlich stark verschanzt, die andere ist völlig frei; doch liegt das Material zur Befestigung überall bereit; auch ist bei beiden Vorkehrung zur Zerstörung getroffen."
Wie lange reichen die Vorräte noch?
Zu den ungewöhnlichen Ereignissen an diesem 17. Oktober gehört eine Demonstration von 300 Frauen vor dem österreichischen Reichstag. Angeführt von der Frauenrechtlerin Karoline von Perin verlangen sie, dass die demokratischen Rechte nicht allein den Männern vorbehalten bleiben. Greifbare Erfolge erzielen sie nicht; in der Presse wird Perin nach der Kundgebung als "politische Marktschreierin" und "schmutzige Amazone" beschimpft.
Kaiserliche Truppen sammeln sich inzwischen vor der aufsässigen Stadt. Für die Bewohner fühlt sich das allmähliche Vorrücken der rund 100.000 Soldaten aber noch nicht wie eine Umklammerung an. In Wien stehen ungefähr 25.000 Mann unter Waffen, Nationalgardisten, Arbeitermilizen und Angehörige der Akademischen Legion, eines Korps demokratischer Intellektueller.
Blum und seine drei Mitreisenden aus dem Frankfurter Parlament besuchen jetzt in rascher Folge die revolutionären Adressen: Reichstag, Gemeinderat, Studentenausschuss, Akademische Legion sowie das Gasthaus "Zum roten Igel", wo die Wiener Demokraten zusammensitzen und Pläne schmieden. Die Stimmung ist gut, die Rhetorik schwungvoll. "Wien scheint die hohe Aufgabe zu haben, an seinen Namen einen Wendepunkt deutscher Geschichte zu knüpfen", verkündet Blum im Gemeinderat.
Aber es dauert nicht lange, bis sich ganz andere Töne einschleichen. Am 20. Oktober schreibt Blum an seine Jenny nach Leipzig: "Hoffentlich sehen wir uns wieder und bald! Sollte es nicht sein, ertragen wir unser Schicksal." Unerbittlich schließen die Truppen des Kaisers, angeführt von Alfred Fürst zu Windisch-Graetz, ihren Ring um die Stadt. Die Wiener horten Lebensmittel und beginnen zu rechnen: Wie lange reichen die Vorräte noch? Wie viel Vieh kann man schlachten? Blum schätzt, dass der städtische Proviant vielleicht für drei Wochen genügt.
Am 22. Oktober ruft Oberbefehlshaber Windisch-Graetz offiziell den Belagerungszustand aus. Wien sei "preisgegeben der Willkür einer Handvoll Verbrecher", die Zivilbehörden der Stadt seien nun seiner "Militärautorität" unterstellt. Reichstag und Gemeinderat wehren sich und erklären die Belagerung für ungesetzlich - aber was bedeutet das noch? Kurzerhand verjagt der Kaiser das ohnehin schwache Parlament aus Wien: Per Dekret verlegt er den Reichstag nach Kremsier, 150 Kilometer von der unruhigen Hauptstadt entfernt.
Blums Kampfgeist wird dadurch nur noch weiter angespornt. Er wirft Artikel, Pamphlete und Briefe aufs Papier. Am 23. Oktober tritt er vor die "Aula", den permanenten Ausschuss der Akademischen Legion, der es weit über Wien hinaus zu hohem Ansehen gebracht hat. Seine flammenden, radikalen Aussagen sind bald Stadtgespräch.
Der genaue Wortlaut ist nicht erhalten. Die "Wiener Zeitung" zitiert: "Keine halbe Revolution! Fortschreiten, wenn auch blutiges, auf der eingeschlagenen Bahn, vor allem, keine Schonung gegen die Anhänger des alten Systems." Notfalls müsse "ein Vernichtungskampf ohne Erbarmen" geführt werden. Hat er das so gesagt? Auch in einem anderen Blatt wird er mit diesen Worten wiedergegeben. Die Wiener "Presse" kommentiert erbittert: "Wer hat Herrn Robert Blum das Mandat gegeben, das Volk Wiens zum Wahnsinne des Terrorismus aufzustacheln?"
Als Radikaler ist der 40-Jährige bis dahin nicht aufgefallen. Im Gegenteil, sein politisches Profil ist das eines pragmatischen Vermittlers, der lieber Kompromisse eingeht als Mitstreiter zu verlieren. Gegen viele Widerstände ist er vom Rand der Gesellschaft in die bürgerliche Mitte aufgestiegen. Aber hart hat es ihn nicht gemacht, den blitzgescheiten Kopf aus einer armen Kölner Familie. Früh musste er die Schule verlassen und Handwerker werden. Er hat sein Geld als Laternenverkäufer verdient und sich hochgearbeitet als Theaterdiener, Bühnenautor und Publizist.
Außer in einer kurzen Zeit als junger preußischer Rekrut spielte das Militärische bisher keine Rolle in seinem Leben. Jetzt beginnt Blum, sich eine Strategie für die Schlacht um Wien auszumalen. Den Kampf in den Straßen sieht er als einzige Chance, denn dort sei das kaiserliche Militär unterlegen. Am 24. Oktober stellt Windisch-Graetz neue Forderungen: Die Stadt soll Geiseln ausliefern und sich binnen 18 Stunden unterwerfen. Jeder, der noch eine Waffe trägt, verfalle der "standrechtlichen Behandlung". Die Wiener heulen auf. Sie wissen, es wird Blut fließen, viel Blut.
Blum und ein weiterer Paulskirchen-Mann, der linke Abgeordnete Julius Fröbel, schließen sich am nächsten Tag der Miliz an. Als Angehörige des neu gegründeten "Corps d'Elite" sind sie nun Soldaten der Nationalgarde. Viele in der Stadt hoffen auch noch auf Hilfe von außen. Eine Armee der aufständischen Ungarn operiert im Rücken der kaiserlichen Truppen. Wird es ihr gelingen, den Belagerungsring zu durchstoßen und Wien zu befreien? Andere setzen auf einen Bauernaufstand. Schließlich waren es die demokratischen Revolutionäre, die dem unterdrückten Landvolk erst wenige Wochen zuvor die Freiheit von mittelalterlichen Frondiensten verschafft haben. Aber die Bauern bleiben in ihren Dörfern, und die Ungarn lassen auf sich warten.
Am 26. Oktober wird Blum ein Kommando übertragen: Als Hauptmann soll er die Sophienbrücke verteidigen, die den Donaukanal überquert und strategisch bedeutsam ist. Die mit zwei Barrikaden gesicherte Brücke wird vom gegenüberliegenden Ufer aus massiv beschossen. Blum gelingt es, zumindest die innere Barrikade über Nacht zu halten. Er fordert Verstärkung an; sie kommt nicht. Dann muss er sich zurückziehen.
Wien liegt jetzt unter massivem Beschuss. "Eine Scene voll Graus und Entsetzen" habe er gesehen, notierte ein Beobachter später. "Blitz um Blitz blendete das erstarrende Auge des Zuschauers. Knall um Knall betäubte das Ohr."
Schließlich ein Hoffnungsschimmer, die Ungarn rücken vor. Doch sie werden am 30. Oktober vor den Toren Wiens geschlagen. Am Tag darauf folgt noch einmal heftiges Bombardement, in dem unter anderem das Dach der Hofbibliothek in Flammen aufgeht. Dann zieht Windisch-Graetz als Sieger in die Stadt ein.
Die Revolution liegt am Boden. 2000 Menschen sind tot.
Tief enttäuscht ziehen sich Blum und Fröbel in ihr Hotel "Stadt London" zurück. Am 2. November schreibt Blum seiner Frau, er werde bald heimkommen. Am nächsten Tag bittet er, gemeinsam mit Fröbel, den Stadtkommandanten um eine Ausreisegenehmigung - ein schwerer Fehler. Umgehend lässt der Kommandant die beiden verhaften. Die Namen Blum und Fröbel stehen auf einer Liste "gefährlicher Individuen", die Windisch-Graetz ihm geschickt hat.
Zum Regierungschef des Kaisers, der mit seinem Hof weiterhin in Olmütz residiert, ist inzwischen Felix Fürst zu Schwarzenberg aufgestiegen, ein Schwager von Windisch-Graetz. Sein Programm hat Schwarzenberg in einem Brief klipp und klar beschrieben: "Bezwingung des Aufruhrs überall und um jeden Preis."
Für manche ist der Preis sehr hoch. Am 7. November korrespondieren Schwarzenberg und Windisch-Graetz über die Frage, was mit Blum geschehen solle. Schwarzenberg lässt keinen Raum für Zweifel: "Blum bleibt Dir zur freiesten Disposition und verdient Alles." Das Todesurteil ist praktisch gefällt. Es ist auch eine harsche Absage an die Frankfurter Nationalversammlung.
Blum, der gemeinsam mit Fröbel im sogenannten Stabsstockhaus eingesperrt ist, bangt und hofft. Immerhin dürfen sie in ihrer Zelle bei ordentlicher Verpflegung lesen, schreiben und rauchen. Am 8. November berufen sich die beiden Häftlinge in einem "feierlichen Protest" auf ihre Immunität als Abgeordnete, ohne erkennbare Wirkung. Gegen sechs Uhr abends wird Blum vor das Standgericht geführt. Seine aufrührerische Rede vor der Aula wird ihm vorgehalten, der bewaffnete Kampf sowie sein angebliches Ziel, den Kommandeur der Nationalgarde zum Präsidenten von Österreich zu machen. Nach zwei Stunden ist die Verhandlung vorbei, Blum kehrt bleich in seine Zelle zurück. Noch am selben Abend wird er in einen anderen Raum verlegt.
Am 9. November gegen fünf Uhr wird er geweckt. Es ergeht das Urteil: Tod durch den Strang. Aber "in augenblicklicher Ermangelung eines Freimanns" sei die Hinrichtung "durch Erschießen zu vollziehen". Dass Fröbel davonkommt, erfährt Blum wohl nicht. Er schreibt letzte Briefe, der an seine Frau wird berühmt: "Mein theures gutes liebes Weib, lebe wohl! wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht seyn wird. Erziehe unsere - jetzt nur Deine Kinder zu edlen Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen." Sein letzter Wille lautet: "Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred, als Andenken. Alle sonstigen Andenken vertheile Du nach Deinem Ermessen. Man kommt! Lebe wohl! wohl!"
Er wird in einen Wiener Vorort gebracht, die Brigittenau. Ein zweites Mal wird dort das Urteil verlesen. Dann fallen drei Schüsse.
Trauer und Wut sind gewaltig, als die Nachricht von Blums Hinrichtung in den nächsten Tagen die deutschen Länder erreicht. Tausende versammeln sich zu Gedenkfeiern, Gedichte werden auf ihn geschrieben, der Kult treibt Blüten. Taktlose Blum-Verehrer wollen von der Witwe eine Reliquie ergattern, eine Pfeife oder Dose vielleicht, die dem großen Mann gehört hat. Der österreichische Gesandte in Dresden kann es nicht fassen: Man widme dem Andenken Blums "einen Cultus, welcher keinem Wohlthäter des Menschengeschlechts je ward".
Aber auch darüber rollt die Reaktion hinweg, mit frischen Kräften. In Olmütz wird am 2. Dezember ein neuer Kaiser gekrönt, Franz Joseph I., der sein Reich nach eigenem Verständnis von Gottes Gnaden regiert. Er löst den österreichischen Reichstag auf, oktroyiert eine Verfassung und herrscht bis zu seinem Tod 1916.