Wischtest in Brüssel Kokainspuren auf dem EU-Parlaments-Klo

Fünf Jahre nach dem Kokainfund im Bundestag haben Sat.1-Reporter jetzt auch im Brüsseler EU-Parlament Spuren der Droge entdeckt. Doch die Schlussfolgerungen aus dem Fund sind höchst umstritten.

Hamburg - Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Der Bundestag, eine Kokshöhle? Abgeordnete im Drogenrausch? Ein Reporter des Sat.1-Magazins "Akte 2000" hatte vor fünf Jahren heimlich in den Toilettenräumen des Reichstags gewischt. An den meisten Putztüchern klebten anschließend Spuren von Kokain.

Jetzt zog der Reporter erneut für das TV-Magazin los, das mittlerweile "Akte 05/28" heißt - diesmal in die Toiletten des Brüsseler EU-Parlamentsgebäudes. Auch diesmal gingen ihm Kokainspuren in die Lappen. Und auch diesmal wieder verkündete der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel, der erneut mit der Analyse der Tücher beauftragt wurde, ein "Drogenhund der Polizei" hätte bei manchen Mengen Laut gegeben.

In 46 Toiletten der Gebäude, in denen sich auch die Büros von EU-Fraktionen und Abgeordneten sowie der Plenarsaal befinden, hat der Reporter gewischt. Anschließende Analysen mit einem Massenspektrometer haben nach Angaben der "Akte 05"-Redaktion Kokainmengen zwischen 19,3 und 0,00844 Mikrogramm gezeigt - ein "überraschendes Ergebnis", heißt es in einer Pressemitteilung von Sat.1.

Nur: Überraschend findet das Ergebnis nicht einmal der von "Akte 05" bemühte Experte Sörgel. "Ich denke, dass man bei einer systematischen Untersuchung überall Kokain finden würde", sagt Sörgel im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Deshalb hat mich der Kokainfund im EU-Parlament keinesfalls überrascht."

Kokain verbreitet sich gern

Zwar sei immer noch die Frage, wie Kokain ins EU-Parlament gelangen könne. Das aber, räumt der Forscher ein, sei auf viele Arten möglich - wie etwa an der Kleidung von Besuchern, die im Taxi zum Brüsseler Parlament kommen. Bezeichnenderweise war es der "Akte"-Reporter, der 2000 eine Menge von 3,21 Mikrogramm Kokain in einem beliebigen Taxi gefunden hatte - deutlich mehr als in 40 der 41 kontaminierten EU-Parlamentsklos.

Zudem sieht Sörgel einen Teil seiner Aussagen von der "Akte 05"-Redaktion in einen falschen Zusammenhang gestellt. "Das Ergebnis dieses Tests bestätigt meine Untersuchungen über viele Jahre", soll Sörgel laut Sat.1 über die Brüsseler Ergebnisse gesagt haben. "In Europa wird deutlich mehr Kokain konsumiert als gemeinhin angenommen." Tatsächlich aber meinte er mit diesem Satz vor allem seine langjährige Forschung über die Kokain-Kontaminierung von Euro-Geldscheinen, wie Sörgel gegenüber SPIEGEL ONLINE betont. "Es geht mir um das Gesamtbild des Kokainkonsums", so Sörgel. Die Messungen aus dem EU-Parlament allein reichten dazu nicht aus.

Dieser Meinung ist auch Herbert Käferstein vom Institut für Rechtsmedizin an der Uni Köln. Die Wischtests im EU-Parlament beweisen seiner Meinung nach nur eines: "Wenn man davon ausgeht, dass im EU-Parlament regelmäßig geputzt wird, dann kursiert dort auch regelmäßig Kokain", sagt Käferstein, der unter anderem für die Kokain-Analyse an den Haaren von Fußballtrainer Christoph Daum im Jahr 2000 verantwortlich war.

Schwache Aussagekraft

Wie regelmäßig oder gar in welchen Mengen Kokain im Brüsseler Parlament die Runde mache, sei an den aktuellen Messergebnissen nicht erkennbar. Erst recht könnten sie keine Antwort auf die Frage geben, "wie stark die Gesellschaft von Kokainkonsumenten durchsetzt ist", so Käferstein.

Die schwache Aussagekraft der Toiletten-Wischtests zeige sich schon anhand der zumeist äußerst geringen Kokainmengen. Die größte nachgewiesene Menge betrug laut "Akte 05" 19,3 Mikrogramm - zehnmal mehr als beim zweitgrößten und rund 2300-mal mehr als beim kleinsten Fund.

In Sörgels Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung wurden auch vergleichende Wischtests mit kokainverklebten Fliesen durchgeführt. Das Ergebnis: Selbst nach dreimaligem Putzen klebten an den Fliesen noch 2,5 Prozent der ursprünglichen Kokainmenge. Für Käferstein ein Hinweis, dass kleine Mengen des Rauschgifts über längere Zeiträume in einem Gebäude verteilt werden können - etwa in den Eimern der Putzkolonnen oder an Händen und Kleidung von Parlamentariern.

Auch über die Luft kann der Stoff verstreut werden. "Kokain ist eine Substanz, die sehr leicht fliegt", sagt Gustav Drasch, Toxikologe und Rechtsmediziner an der Universität München, schon im Jahr 2000 dem SPIEGEL. "Wer will, kann Kokain auch in ägyptischen Mumien nachweisen."

Sörgel betont, dass er nur die Proben analysieren konnte, die der "Akte"-Reporter eingereicht habe. "Wir haben ihn vorher darauf hingewiesen, wie er sich zu verhalten hat", sagt Sörgel. So habe der Reporter diesmal - im Gegensatz zu 2000 - Handschuhe getragen. Ein neutraler Beobachter, der eine seriöse Probenentnahme hätte bezeugen können, war aber auch diesmal nicht dabei. Stattdessen wurde der Reporter von einem zweiten Mitarbeiter begleitet, wie die "Akte 05"-Redaktion erklärte.

Ob EU-Parlamentarier während ihrer Arbeit koksen, können die Messungen ohnehin nicht zeigen. Das Gebäude in Brüssel ist öffentlich zugänglich wie auch der Reichstag. Kokain kann nach Ansicht von Käferstein und Sörgel praktisch von jedem eingeschleppt werden. Aus eben diesem Grund hatte die Berliner Staatsanwaltschaft vor fünf Jahren auch keine Ermittlungen aufgenommen.

"Akte 05"-Chef Ulrich Meyer erklärt in der Pressemitteilung, man wolle lediglich demonstrieren, dass der Kokainkonsum "ein gesamtgesellschaftliches Problem" sei. "Wir wollen deswegen nicht auf bestimmte Leute oder Berufsstände mit dem Finger zeigen." Das Kokainproblem sei aber "größer, als es viele Politiker wahrhaben wollen".

Sat.1 sendet den Beitrag in der Sendung "Akte 05/28" am heutigen Donnerstag um 22.15 Uhr.

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