Wissenschaft und Medien Klimaforscher kritisiert vorgeblich ausgewogenen Journalismus
Es gehört zum grundlegenden Handwerkszeug eines Journalisten, bei einem strittigen Thema beide Seiten anzuhören. Wenn eine Lobbyorganisation Stimmung gegen ein Gesetz macht, dann müssen selbstverständlich auch die befragt werden, die sich das Gesetz ausgedacht haben und jene, denen es helfen soll.
Auch im Wissenschaftsjournalismus gilt dieses Prinzip. Allerdings kann eine schematische Anwendung zu einer verzerrten Berichterstattung führen, warnt Stephen Schneider von der Stanford University, Mitverfasser des IPCC-Reports von 2007. "Wissenschaft ist nicht Politik", sagte er auf dem gestern zu Ende gegangenen Jahrestreffen der Wissenschaftlervereinigung AAAS in Chicago. Man könne in Artikeln über die Klimaforschung nicht einfach zwei gegensätzliche Meinungen aufnehmen und glauben, man berichte ausgewogen. "Man muss die verschiedenen Standpunkte und ihre Glaubwürdigkeit berücksichtigen."
Der IPCC-Autor spielte direkt auf sogenannte Klimawandelskeptiker an, die immer wieder Zweifel an der Theorie der menschgemachten Erderwärmung streuen. Der republikanische US-Senator James Inhofe etwa lässt über sein Büro einen "Minderheitsreport" verteilen, in dem mehr als 650 Wissenschaftler als Kronzeugen gegen den Weltklimarat IPCC aufgeboten werden. Es gebe keineswegs einen wissenschaftlichen Konsens über den anthropogenen Klimawandel, wie es die Verantwortlichen des Weltklimarats ständig glauben machen wollten, erklären die Unterzeichner, die mit solchen Aussagen auch immer wieder in der Presse zitiert werden.
Ausdrücklich beklagte der Stanford-Wissenschaftler Schneider das schwindende Know-how vieler US-Medien in Sachen Klimaforschung. Erfahrene Wissenschaftsjournalisten hätten keine Schwierigkeiten damit, verschiedene Meinungen korrekt einzuordnen. "Das Problem ist, dass CNN gerade sein Wissenschaftsteam gefeuert hat", erklärte Schneider. "Warum haben die nicht ihre Wirtschafts- oder Sportreporter entlassen? Warum schicken sie zum Superbowl nicht einen gewöhnlichen Politikreporter?"
"Manager von Medienunternehmen, ihr untergrabt Eure Verantwortung, wenn ihr Wissenschafts- und Umweltjournalisten entlasst, die wirklich die einzigen sind, die kompetent über diese Themen berichten können", sagte Schneider. Hintergrund der Entlassungswelle in vielen US-Medien sind das wegbrechende Kleinanzeigengeschäft, sinkende Auflagen oder Einschaltquoten und stark schrumpfende Werbeerlöse. In den USA rechnen viele mit einem Zeitungssterben, in Deutschland sieht die Sache freilich anders aus: Qualitätsmedien gewinnen in der Wirtschaftskrise sogar an Reichweite.
Schneider wies in seinem Vortrag auf der AAAS-Tagung gleichzeitig auf die Schwierigkeiten der Klimaforscher hin, ihre Erkenntnisse medienkonform auf wenige knackige Sätze zu verkürzen und zugleich wissenschaftlich seriös zu bleiben. Es gebe Kollegen, die es für unverantwortlich hielten, mit Reportern zu reden, wenn sie ohnehin nur fünf Sekunden in den Abendnachrichten oder eine Handvoll Zitate in der 'New York Times' bekämen. "Genauso geht es aber zu", sagte der Forscher. "Man muss seine Position kurz und prägnant darstellen - oder die Leute hören einem nicht zu."