
Historische Schiffe: Fund in der Arktis
Jahrhunderträtsel Wrack legendärer Franklin-Expedition entdeckt
Ottawa/Hamburg - "Dies ist ein historischer Moment für Kanada", sagte Stephen Harper, der Ministerpräsident des Landes. Er verkündete am Dienstag die Lösung eines Jahrhunderträtsels. Die katastrophale Expedition von John Franklin gehört zu den großen Tragödien der Polarforschung. 128 Männer führte der Admiral 1845 auf der Suche nach der damals mythischen Nordwestpassage in den Tod. Zahlreiche Expeditionen haben nach den Männern und ihren Schiffen gefahndet.
Nun wollen kanadische Forscher ein Wrack entdeckt haben. "Ich bin glücklich, verkünden zu dürfen, dass unsere Expedition in die Victoria Strait eines der größten Mysterien Kanadas gelöst hat", sagte Harper. Ein Wrack sei vergangenen Sonntag mit einem U-Boot entdeckt worden. Um welches Schiff es sich handelt, die "HMS Erebus" oder die "HMS Terror", sei unklar, berichtet der Präsident. Die Fahndung verlief so schwierig, weil die Wracks offenbar im Treibeis Hunderte Meilen davongedriftet sind.
Seit eineinhalb Jahrhunderten rätselten Forscher, wo die zwei Schiffe liegen. 2008 hatten die kanadische Forscher die Suche verstärkt, sie fuhren jährlich in die Arktis - mit Erfolg. "Das erste Wrack gefunden zu haben, wird uns sicherlich neuen Schub geben, auch das Schwesterschiff zu finden", sagte Harper.
Erster Kontakt zu den Ureinwohnern
In den vergangenen Jahren erleichterte der Klimawandel die Suche: Der meist gefrorene Seeweg der Nordwestpassage war öfters eisfrei. Taucher des kanadischen Forscherteams haben im Auftrag ihrer Regierung während der vergangenen Sommer jeweils wochenlang den Meeresgrund der Gegend abgesucht.
Es war eine Suche, die die kanadische Nation von Beginn an intensiv bewegt hat. Die ersten Rettungsversuche von 1848 bis 1859 hatten gravierende Folgen für das Land: Sie führten zur Kartierung der nördlichen Landesteile, etablierten Kontakte zwischen den europastämmigen Einwanderernachkommen und den Ureinwohnern, den Inuit.
Am 19. Mai 1845 war der verdiente britische Admiral und erfahrene Polarforscher Sir John Franklin mit zwei Schiffen und 128 Mann Besatzung ausgelaufen, die Nordwestpassage zu finden. Überlieferten Tagebucheinträgen und Briefen der Matrosen ist zu entnehmen, dass sie alle fest an ihren Erfolg glaubten.
Ausgerüstet mit Proviant für drei Jahre fuhren sie los und überwinterten zweimal erfolgreich. Auf den zweiten Winter aber folgte ein Sommer, der so kalt war, dass die eingefrorenen Schiffe nicht mehr freikamen. Franklin starb, und am Ende des dritten Winters wagten die verzweifelten Überlebenden den Marsch über das Packeis.
Kannibalismus im Eis
Die britische Marine versuchte derweil, sie mit allen Mitteln zu finden. Auf zunächst drei erfolglose folgte die größte Suchaktion des 19. Jahrhunderts: 1850 schwärmten 14 Schiffe aus, um Franklin und seine Schiffe zu finden. Es war nur der Beginn einer ganzen Folge von Suchexpeditionen, die sich bis 1855 hinzogen. Nicht wenige der Expeditionen gerieten selbst in Gefahr und mussten gerettet werden. Am Ende fanden bei den Suchaktionen mehr Menschen den Tod als durch die Franklin-Expedition.
Sie blieben aber auch nicht ohne Erfolge - doch die waren von höchst verstörender Natur. Man fand zunächst einige wenige Zeugnisse und Nachrichten, die von Krankheiten und Todesfällen berichteten. Sie bewiesen, dass die Crew nicht mit den Schiffen gesunken war. 1854 schließlich stieß der Polarforscher John Rae auf Inuit, die Gegenstände besaßen, die offensichtlich Franklins Männern gehört hatten. Sie berichteten von verzweifelten Hungergestalten, die sterbend über das Eis zogen - und davon, dass sich die Männer am Ende gegenseitig gegessen hätten.
Die Bestätigung dieser Geschichte, die in England und Kanada auf blanke, ungläubige Empörung stieß, lieferte 1859 der von Franklins Witwe direkt beauftragte Francis Leopold McClintock. Er fand Knochen und verstümmelte Leichen, die Spuren von Kannibalismus aufwiesen. Kein einziger der Männer Franklins hatte die Expedition überlebt.
Die Suche nach Franklins Schiffen aber sollte für den Rest des 19. Jahrhunderts nie ganz aufgegeben werden. Noch 1913 finanzierte der kanadische Staat Expeditionen, die zu diesem Zeitpunkt - sieben Jahre, nachdem Roald Amundsen die Durchfahrt der Nordwestpassage erstmals gelang - aber auch schon dem Nebennutzen der detaillierten Kartierung dienten. 1992 erklärte Kanada den Ort, wo Franklins Schiffe sanken, zu einem Ort von nationaler Bedeutung. Nur wo genau der liegt, wusste man noch nicht - bis jetzt.