
Zahlenstrahl: Links ist klein, rechts ist groß
Angeborener Zahlensinn Auch Küken zählen von links nach rechts
Die Richtung zählt! Was jeder Politiker sofort unterschreiben würde, ist auch Psychologen vertraut. Beispielsweise assoziieren viele Menschen die Vergangenheit mit dem, was sich hinter ihrem Rücken befindet - und die Zukunft mit allem, was vor ihnen liegt.
Eine solch klare Orientierung haben Psychologen auch in unserem Zahlensinn entdeckt: Wir zählen von links nach rechts. Auf einem imaginären Zahlenstrahl liegen die kleinen Zahlen links und die großen rechts, genau wie bei einem Lineal.
Über die Gründe debattieren Forscher schon länger. Ein einfaches Experiment mit drei Tage jungen Hühnerküken legt nun nahe, dass die räumliche Ordnung von Zahlen wahrscheinlich angeboren und damit ein biologisches Phänomen ist.
Kleine Zahlen eher links
Rosa Rugani von der Universität Padua und ihre Kollegen trainierten die Küken zunächst darauf, Futter hinter einer kleinen, im Raum stehenden Wand zu suchen. Auf der Wand klebte ein Zettel mit fünf Punkten. Wenn die Tiere das beherrschten, stellten die Forscher zwei kleine Wände in den Raum und änderten zugleich die Anzahl der Punkte. Beide zeigten nun zwei Punkte - waren also identisch. Die Küken entschieden sich jedoch in 70 Prozent der Fälle dafür, hinter der linken Wand nach Futter zu suchen.
In einem weiteren Experiment befanden sich nicht zwei, sondern jeweils acht Punkte auf den beiden Wänden. In diesem Fall aber gingen die Küken in sieben von zehn Fällen zur rechten Wand und nicht, wie zuvor, zur linken (siehe Video). Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Tiere kleinere Zahlen eher links und größere eher rechts verorten, schreiben die Forscher im Fachblatt "Science" .
"Die räumliche Zahlenanordnung von links nach rechts kann eine universelle Strategie des Gehirns sein", erklären die Wissenschaftler. Die Sortierung sei schon unmittelbar nach der Geburt verfügbar. Man habe sie nun bei Tieren beobachtet, die nur über sehr geringe Erfahrungen im Umgang mit Zahlen verfügten.
Dass Menschen Zahlen im Kopf räumlich auf einem Zahlenstrahl sortieren, ist Psychologen schon länger bekannt - ebenso wie dessen Orientierung von links nach rechts. Allerdings gibt es auch Abweichungen: Wer Arabisch schreibt und damit von rechts nach links, nutzt auch eher einen von rechts nach links laufenden Zahlenstrahl. Das legt nahe, dass die Richtung des Strahls womöglich kulturell erworben ist.
Dagegen spricht jedoch nicht nur die nun in "Science" publizierte Küken-Studie. Auch schon Experimente mit sieben Monate alten Babys hatten gezeigt , dass es beim Menschen eine wahrscheinlich angeborene Präferenz für das Zählen von links nach rechts gibt.
Warum aber ist der Zahlenstrahl so orientiert? Liegt es an Asymmetrien im Gehirn? Die wohl provokanteste Hypothese dazu beschreibt Peter Brugger von der ETH Zürich. Mehr gelte in vielen Fällen als Synonym für besser. Und positive Emotionen würden von der linken Hälfte des Gehirns verarbeitet, die wiederum auch die rechte Körperseite kontrolliere. Die rechte Hirnhälfte hingegen sei für negative Emotionen und die linke Körperhälfte zuständig, schreibt der Neurologe in einem Kommentar in "Science" . Womöglich würde deshalb "mehr" mit "rechts" verbunden. Das müsse aber noch genauer untersucht werden.
Der Logarithmus in uns
Wie überraschend der Zahlensinn beim Menschen funktioniert, haben vor allem Versuche mit Kleinkindern oder Menschen indigener Völker gezeigt, die keine mathematische Ausbildung besitzen. Beispielsweise besitzt der Zahlenstrahl im Kopf keine lineare Skala wie ein Lineal. Die Skala ist stattdessen logarithmisch aufgebaut.
Der Unterschied zwischen 2 und 3 wirkt dadurch viel größer als der zwischen 12 und 13. Erst durch den Mathematikunterricht in der Schule ändert sich das, und die lineare Skala setzt sich durch. Was ein Logarithmus ist, müssen die Schüler später mühsam neu lernen, obwohl sie es als Kleinkind zumindest prinzipiell schon wussten.
Es gibt sogar plausible Erklärungen für das tief in uns schlummernde logarithmische Denken: das sogenannte Weber-Fechner-Gesetz . Schon vor über 170 Jahren hatte der Physiologe Ernst Heinrich Weber festgestellt, dass die Stärke von Sinneseindrücken sich logarithmisch zur Intensität des physikalischen Reizes verhält. Der Logarithmus ist uns Menschen offenbar regelrecht einprogrammiert.
Aber auch die Evolution könnte nachgeholfen haben: Die logarithmische Skala ist einfach kompakter als eine lineare. Man kann damit leicht mehrere Größenordnungen auf einmal überblicken - und dies relativ präzise.