Zahlenspiele Die Sprache bestimmt die Gedanken
Eins, zwei, viele: Beim Zählen nehmen es die Mitglieder des Pirahã-Stammes im Amazonas-Gebiet nicht so genau. Selbst "eins" bedeutet bei den etwa 200 isoliert lebenden Stammesangehörigen nur so viel wie "ungefähr eins" - auf jeden Fall nicht viel. Und genau diese sprachliche Ungenauigkeit wirkt sich auf das Denken und die Wahrnehmungsfähigkeit der Pirahã aus, wie der US-Forscher Peter Gordon nun entdeckt hat.
Schon seit den dreißiger Jahren kursiert unter Linguisten die Theorie, dass die Sprache auch die Natur und den Inhalt der Gedanken bestimmen kann. Oder anders ausgedrückt: Was in der Sprache nicht vorkommt, kann auch im Denken der Menschen nicht auftauchen - ein Konzept, das etwa in George Orwells düsterer Zukunftsvision "1984" als Instrument totalitärer Manipulation benutzt wird.
Drei Fische - und die Welt ist in Ordnung
Sollte die Theorie stimmen, müsste es in bestimmten Kulturen Denkweisen und Konzepte geben, die Mitglieder eines anderen Kulturkreises nicht verstehen können - einfach, weil sie keine Worte dafür kennen.
Gordon hat die These nun im südamerikanischen Regenwald getestet. Der Verhaltensbiologe an der New Yorker Columbia University legte, wie er im Fachmagazin "Science" berichtet, den Ureinwohnern Bilder mit einer unterschiedlichen Anzahl von Fischen vor. Waren auf verschiedenen Fotos jeweils zwei oder drei Fische zu sehen, konnten erwachsene Stammesangehörige die Bilder einander zuverlässig zuordnen - auch wenn die Tiere auf den beiden Fotos unterschiedlich angeordnet waren.
Bei acht bis zehn Fischen nahm die Leistung deutlich ab, bei mehr als zehn Fischen auf einem Foto versagten die Probanden völlig. Waren die Tiere dagegen unregelmäßig angeordnet und ließen sich einfach in Gruppen von zwei oder drei Tieren stecken, klappte der Vergleich wieder.
Sprachlos: Zahlen spielen keine Rolle
Die Wahrnehmungsstörung hat offenbar sprachliche Ursachen: Zwar ist die Sprache der Pirahã komplex, und die Verb-Struktur entspricht der in den Sprachen anderer amerikanischer Ureinwohner, doch Zahlen spielen darin so gut wie keine Rolle - nicht einmal das Wort "Zahl" existiert. Vergleiche, die mit "mehr...als" gebildet werden, fehlen ebenso wie zahlenmäßige Vorsilben und eine Unterscheidung zwischen Ein- und Mehrzahl.
Für Gordon ein deutliches Zeichen dafür, dass eine derartige Einschränkung nicht folgenlos bleibt - zumindest nicht in der Gedankenwelt der Pirahã. "Ob die Sprache zwischen zwei verschiedenen Dingen unterscheiden kann, bestimmt offensichtlich", so Gordon, "wie ein Mensch die Realität wahrnimmt."