Sommer- und Winterzeit
Foto: Andreas Gebert/ dpaEs ist ein altbekanntes Ritual: Im Frühjahr werden die Uhren eine Stunde vorgestellt, im Herbst wieder eine zurück. Doch womöglich bleibt die Zeitumstellung uns nicht für alle Zeiten erhalten. Denn die EU-Kommission prüft Forderungen nach einer Abschaffung der Sommerzeit.
Die Frage werde derzeit unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen untersucht, bestätigte ein Sprecherin. Sobald es ein Ergebnis gebe, werde man die Öffentlichkeit darüber informieren.
Die Sommerzeit, die am kommenden Sonntag endet, ist seit ihrer Einführung umstritten. Viele Menschen klagen darüber, dass ihnen eine Stunde Schlaf fehlt. Fast drei Viertel der Deutschen plädieren nach einer aktuellen Umfrage der Krankenkasse DAK dafür, die Zeitumstellung abzuschaffen.
Eine Stunde doppelt
Am frühen Morgen des 29. Oktober wird im gesamten Bundesgebiet die Zeit auf Winterzeit umgestellt. Die Atomuhr der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig sendet pünktlich zum Wechsel um 2:59 Uhr ein Zeichen. Dann springen zumindest die Funkuhren der Deutschen automatisch wieder auf zwei Uhr zurück, obwohl sie eigentlich drei Uhr anzeigen müssten.
Smartphones und Handys zeigen in der Regel ebenfalls automatisch die neue Uhrzeit an. Für alle, die manuell umstellen müssen, gilt: Es ist dann eine Stunde früher, die Zeiger der Uhr müssen zurückgedreht werden. Wir erleben die Stunde zwischen zwei und drei sozusagen doppelt.
Erstmals eingeführt wurde die Sommerzeit in Deutschland während des Ersten Weltkriegs. Zwischen den Weltkriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte man die Umstellung jedoch wieder ab. Erst 1980 wurde sie mit dem Ziel, das Tageslicht besser zu nutzen, erneut eingeführt. Der Effekt ist jedoch umstritten.
Nicht alle Länder machen bei der Umstellung mit. Russland zum Beispiel bleibt auch im Sommer bei der Normalzeit. Bei elf verschiedenen Zeitzonen im Land muss man sich wahrscheinlich schon genug merken. Der Türkei hingegen war die künstlich eingeführte Sommerzeit so sympathisch, dass sie vergangenes Jahr beschloss, einfach dabei zu bleiben.
Regelungen auf EU-Ebene zur Sommerzeit gibt es seit 1981. Die jüngste stammt aus dem Jahr 2001.
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Dankbarkeit: Am 6. April 1980 wurde in beiden deutschen Staaten die Sommerzeit eingeführt. Die tägliche Stunde mehr an Tageslicht konnte Schlagersänger Howard Carpendale anscheinend gut gebrauchen. Aus diesem Grund verehrte er ein paar Monate später Bundesinnenminister Gerhart Baum diese Uhr. Sie besaß zwei Stundenzeiger für Sommer- und Winterzeit. Ganz uneigennützig war die Aktion allerdings nicht. Carpendale warb damit eifrig für seine neue Platte "Eine Stunde für Dich". Dem Minister drückte er gleich ein Exemplar in die Hand.
Premiere: Zum ersten Mal vergriffen sich die Deutschen im Ersten Weltkrieg an der Uhrzeit. Um potenziell kriegsentscheidende Energie in Form von Kohle, Paraffin und Gas zu sparen, führte das Deutsche Reich 1916 die Sommerzeit ein. "Der 1. Mai 1916 beginnt am 30. April 1916 nachmittags elf Uhr nach der gegenwärtigen Zeitrechnung. Der 30. September 1916 endet eine Stunde nach Mitternacht im Sinne dieser Verordnung", hieß es im Reichsgesetzblatt.
Zeitaufrüstung: Gut drei Wochen später folgte der Kriegsgegner Großbritannien. Ob die Zeitumstellung tatsächlich Auswirkungen auf den Kriegsverlauf hatte, ist zweifelhaft. 1919 kam in der Weimarer Republik keine Mehrheit für die Beibehaltung der Sommerzeit zustande. Doch 1940 hieß es für die Deutschen erneut, an den Zeigern zu drehen. Im Zweiten Weltkrieg sollte erneut eine Stunde mehr Tageslicht zum "Endsieg" beitragen.
Zeitabrüstung: 1947 herrschte auf Anweisung der Alliierten sogar eine "Hochsommerzeit" mit einer Zeitverschiebung von zwei Stunden im besiegten Deutschland. Erst mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 endete die Zeitumstellung wieder als eine Art Kriegsrelikt. Auf dem Bild nutzt ein Arbeiter 1955 die weltgrößte Kuckucksuhr in Wiesbaden zum Uhrenvergleich.
Zeitsalat: 1979 überraschte die DDR die Bundesrepublik mit ihrer Ankündigung, im nächsten Jahr ihre Uhren auf die Sommerzeit umzustellen. In aller Eile zog Westdeutschland nach. Die Zeitumstellung bedeutete für diese Dame in Freital bei Dresden 1996 offenbar erheblichen Aufwand.
Ölung: 1980 sorgten in Westdeutschland rund 2000 Zeitumsteller für den rechtzeitigen Wechsel öffentlicher Uhren, aber auch wichtiger Zeitmesser wie Stechuhren auf die Sommerzeit. Ein Uhrwerk wie hier im Kölner Dom ist erheblich schwerer umzustellen als die handelsübliche Armbanduhr. Zuvor wird die Uhr gründlich inspiziert und gegebenenfalls geölt.
Milchstau: Proteste erhoben 1980 die Bauern gegen die Einführung der Sommerzeit. Milchkühe sind an regelmäßige Melkzeiten gewöhnt. Die Sorge war allerdings unbegründet: Nach ein paar Tagen hatten sich die Kühe an die Umstellung gewöhnt.
Armes Vieh: Auch Verkehrsexperten sehen die Sommerzeit kritisch. Weil Dämmerung und der Beginn des Berufsverkehrs durch die Zeitverschiebung zusammenfallen, kommt es zu vermehrten Unfällen mit Wildtieren auf den Straßen.
Oldtimer: Im Oktober 1980 schockierte die DDR die westdeutschen Politiker erneut. Weil die Einführung der Sommerzeit statt einer Ersparnis sogar zusätzliche Kosten produziert habe, wollte der Arbeiter- und Bauernstaat 1981 auf die Zeitumstellung verzichten. Als das hier abgebildete Uhrwerk gebaut wurde, war die Sommerzeit allerdings noch lange nicht erfunden: Seit 1379 misst die älteste noch funktionsfähige astronomische Uhr in der Rostocker Kirche St. Marien die Zeit.
Gut geölt: Ziemlich aufwendig ist die Zeitumstellung bei der Weltuhr von August Noll aus dem Jahr 1888. Uhrenmachermeister und Restaurator Richard Menke stellt hier am 25. Oktober 2007 gerade die Uhrzeit ein.
Zeitlos: Für den Flugverkehr ist die Zeitumstellung kein Problem. Weil sich die Flieger nach der "Koordinierten Weltzeit" richten, sind sie davon unabhängig. Lediglich die Art der Umrechnung in die lokale Zeitzone ändert sich. Hier betrachtet ein Mann auf dem Bremer Flughafen Uhren mit unterschiedlichen Zeitzonen.
Schlafstörung: Die Zeitumstellung beschäftigt auch die Wissenschaft. Im Klinikum Helios in Erfurt wurde 2008 beispielsweise im Schlaflabor erforscht, welche Auswirkungen der Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit auf den Menschen hat.
Unbestechlich: Eine wirkliche Energieersparnis durch die Sommerzeit bezweifelte bereits 1980 die Bundesregierung. Sie hoffte stattdessen auf einen "pädagogischen Effekt" bei den Bundesbürgern zum Energiesparen.
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