Zwillingsstudie Sonne soll Multiple-Sklerose-Risiko mindern
Mehr Sonnenschein, geringeres Multiple-Sklerose-Risiko? "Die Forscher wollen sicher nicht anregen, dass jetzt alle Leute sonnenbaden und Hautkrebs bekommen", sagte Chris Jones, der Geschäftsführer der britischen Selbsthilfegruppe MS Trust. Einen Sonnenbrand sollte also niemand riskieren - auch nicht um sich gegen MS zu wappnen. Rund 85.000 Menschen im Vereinigten Königreich leiden unter der Krankheit des zentralen Nervensystems. In Deutschland geht man von rund 100.000 Patienten aus, weltweit von rund zwei Millionen Betroffenen.
Wer sich häufiger in der Sonne aufhält, könnte sein Risiko, an Multipler Sklerose (MS) zu erkranken, allerdings verringern. Jedenfalls deutet darauf eine Zwillingsstudie von US-Forschern hin. 79 eineiige Zwillinge, von denen jeweils einer an MS litt, haben Talat Islam und Thomas Mack von der University of Southern California nach deren Freizeitgestaltung in Kindestagen befragt: Welches der Geschwister verbrachte mehr Zeit mit Sonnenbaden, spielte im Freien oder trieb Sport an der frischen Luft?
Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Neurology" (Bd. 69, S.381) berichten, gibt es einen statistisch klaren Zusammenhang: Jener Zwilling, der als Kind weniger Zeit im Freien verbrachte, hat ein höheres MS-Risiko. "Sich ultravioletten Strahlen auszusetzen, könnte einen Schutzmechanismus vor MS in Gang setzen", schreiben Islam und Mack, "entweder direkt durch Veränderung der zellulären Immunantwort, oder indirekt durch die Produktion von immunaktivem Vitamin-D."
Näher am Äquator weniger MS-Risiko
Tatsächlich haben frühere Studien ergeben, dass Frauen - die generell ein höheres MS-Risiko als Männer haben - durch die Einnahme von Vitamin-D die Gefahr erheblich senken konnten. Der UV-Anteil im Sonnenlicht regt den Körper zur Produktion des Vitamins an, das einen Einfluss auf das Immunsystem hat. Auffällig bei der Verbreitung von MS auf der Welt ist, dass Menschen in Äquatornähe statistisch gesehen weniger gefährdet sind. "Die neuen Forschungsarbeiten unterstützten ältere Ergebnisse, die auf einen Zusammenhang zwischen Sonnen-Exposition und niedrigerem Risiko hinweisen", sagte Jones der BBC.
Allerdings ist die Aussagekraft der Studie durch die geringen Zahl der Untersuchten - weniger als 160 Menschen - eingeschränkt. Desweiteren gelten Erhebungen als problematisch, wenn sie Befragungen zu weit in der Vergangenheit liegenden Ereignisse betreffen, wie etwa Aktivitäten in der Kindheit. Und auch, wenn alle Zwillinge sich noch genau erinnern konnten, bleibt die Frage nach der unabhängigen Variable: Haben vielleicht jene gesünderen Kinder von vorne herein mehr draußen gespielt als ihre schwächlicheren Geschwister, die lieber drin blieben - und möglicherweise dadurch ein schwächeres Immunsystem entwickelten?
Die neurologische Erkrankung wird zumindest zum Teil von einer Störung der Immunabwehr verursacht. Es handelt sich dabei um keine klassische Erbkrankheit. Vielmehr gehen Forscher davon aus, dass sowohl genetische Risiken als auch Umweltfaktoren zu MS beitragen. Allerdings haben Wissenschaftler in den vergangenen drei Jahrzehnten erfolglos nach Genen gesucht, die das Risiko steigern könnten. Nun aber berichten gleich zwei Gruppen von neuen Funden.
Gen-Assoziation für Autoimmunkrankheiten
In der Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" veröffentlichte ein Team um David Hafler von der Harvard Medical School und Stephen Hauser von der University of California in San Fransicco den Fund des Gens IL2R-alpha. In "Nature Genetics" berichten Forscher um Simon Gregory von der Duke University vom Gen IL-7R: Beide Teams haben im Humangenom nach Zusammenhängen zwischen Erkrankung und Genveränderungen gesucht.
"Die größere Geschichte ist hier die Gemeinsamkeit mit anderen Autoimmun-Krankheiten", sagte Hafler. Tatsächlich wird der IL-2-Rezeptor nämlich auch mit anderen Leiden in Verbindung gebracht, in denen sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper wendet. In einer separaten Untersuchung fanden auch skandinavische Wissenschaftler um Jan Hillert vom Karolinska-Institut in Stockholm den IL-2-Zusammenhang.
Genetische Faktoren könnten künftig zur besseren Diagnose von Risikofaktoren genutzt werden. Erkenntnisse über Umwelteinflüsse wie Vitamin-D-Versorgung und Sonnenschein hingegen könnten in die Vorsorge einfließen - allerdings besser nicht in der Mittagshitze und nicht ohne Sonnencreme.
stx/Reuters