PSYCHOLOGIE Morbides Spiel
Dem Farbenlehrer Johann Wolfgang von Goethe wurde, wenn er die »sinnlich-sittliche Wirkung« des Violett bedachte, ganz mulmig im Kopf. Denn mit dieser Farbe assoziierte der Dichter und Gelehrte die »Schrecken eines Weltuntergangs«.
»Brigitte« sieht das anders. Die neuen fliederfarbenen Parkas, meint das Frauenblatt, seien gut für eine »große Wirkung«, nicht auf den Weltenlauf, sondern auf die Männer. »Lila total« empfiehlt deshalb auch die »Freundin«, denn Lila ist »jetzt ganz modisch« und habe außerdem »was Besonderes«. Das finden auch »Petra«, der »Otto-Versand« und die übrigen Werbetrommler des DOB-Geschäfts. Lila ist angesagt, denn »Lila sieht super aus«, schmeicheln die Verführer, »richtig schön edel«.
Weil aber manchen jungen Damen in »Lila total« so mulmig werden könnte wie dem alten Goethe, darf man sich 1986 auch auf violette Accessoires beschränken oder Lila mit dunklen Farben kombinieren. Riskant bleibt das immer noch.
Denn keine Farbe hat im allgemeinen Bewußtsein ein so miserables Image. Lila, auch dessen nahe Verwandte Purpur und Violett gelten, wie die Farbpsychologen herausgefunden haben, den weitaus meisten Zeitgenossen als Signale für »Täuschung«, »Gift« und »Elend«. Ihre Wirkung sei »deprimierend, niederdrückend, traurig«. Wenn den Testpersonen etwas halbwegs Erfreuliches über die Mischfarbe einfällt, assoziieren sie damit Begriffe wie »zwielichtig, intim, verboten, dekadent, morbide«.
Für den berühmten russischen Maler Wassily Kandinsky, Mitbegründer der Künstlergemeinschaft »Der Blaue Reiter«, hatte Violett »etwas Krankhaftes, Erlöschtes, etwas Trauriges an sich«. Deshalb hütete sich der abstrakte Künstler selbst im Greisenalter davor, das verachtete Violett aus den Grundfarben Blau und Rot zusammenzurühren.
Doch ein paar gute Freunde halten der umstrittenen Couleur die Treue, manche seit Jahrhunderten. Ungeachtet der Tatsache, daß der gefangene Christus von seinen Häschern durch das Anlegen eines »Purpur Mantels« als »König der Juden« verspottet wurde, wählten die römischen Kirchenfürsten im frühen Mittelalter Violett zur standesgemäßen Farbe. Dabei ist es bis heute geblieben. Je höher ein Gottesmann in der Hierarchie der katholischen Kirche aufsteigt, desto zahlreicher werden die violetten Farbtöne und -tupfer an seiner Robe. Bischöfe präsentieren sich in Lila, und den in Purpur gewandeten Kardinälen steckt der Heilige Vater auch noch einen violetten Amethystring an den Finger.
Der niedere Klerus darf die Gotteshäuser violett schmücken, auf Kirchentagen zierten sich Friedensfreunde mit dem lila Halstuch - es ist die »Symbolfarbe für Passion und Advent«, erläutert die Theologin (und Psychoanalytikerin) Ingrid Riedel, eine »Farbe des Leidens und des Fastens«.
Die Kasseler Hochschullehrerin weiß auch, warum Violett zum selbstgewählten »Kennzeichen der Frauen, die sich zur feministischen Bewegung zählten«, wurde - das liege auch an der »neuen Wertung gleichgeschlechtlicher Beziehungen innerhalb der Frauenbewegung«. Tiefenpsychologisch betrachtet sagt Frau Riedel, bin ich, »wo mich eine bestimmte Farbe fasziniert, zugleich von dem hinter ihr stehenden Archetypus ergriffen«.
Bei Violett sei solch ein Leitbild alter menschlicher Erfahrung der »Herm-Aphroditus«, jener göttliche griechische Zwitter, »in dem sich Männliches und Weibliches zu einem neuen, ganzheitlichen Menschenbild verbinden«.
Dieser Denkansatz könnte erklären weshalb sich die Frauenfront mit lila Latzhosen uniformiert, auch wenn die Modemacher längst andere Farben ausgerufen haben. Wer, ob Mann oder Frau, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft bevorzugt, der liebt eben Violett »die Farbe also, die den männlichen und weiblichen Pol miteinander verschmolzen in sich enthält« (Riedel).
Beim Begabtentest der Fachhochschule Wiesbaden ziehen Professor Harald Braem und seine Kollegen aus dieser Theorie sogar diagnostische Schlüsse. Die Hochschullehrer glauben meist schon bei Durchsicht der eingereichten Bildermappen zu erkennen, welche angehenden Graphiker und Designer dem eigenen Geschlecht zugetan sind: ihre Kunstproben seien »überdurchschnittlich violett«. Braem der über die »Macht der Farben« jüngst ein ganzes Buch geschrieben hat _(Harald Braem: »Die Macht der Farben«. ) _(Wirtschaftsverlag Langen-Müller/Herbig, ) _(München; 228 Seiten; 29,80 Mark. )
: »Nur die ''Grenzgänger'' außerhalb des genormten Rollenverhaltens wählen bewußt Violett, wie zum Beispiel Homosexuelle (die sich in Frankreich selbst ''les violets'' nennen) und Transvestiten.«
Für die Gießener Psychologieprofessorin Petra Halder-Sinn wiederum repräsentiert Lila »die psychische Unruhe«. Die Frage nach der Lieblingsfarbe, so hat sie herausgefunden, beantworten »Personen, die psychische Störungen aufweisen«, ganz überdurchschnittlich häufig mit der Präferenzangabe »Violett«. Die bei der Kripo weitverbreitete Meinung, alle Sexualstraftäter hätten ein Faible für Violett, hält die Hochschullehrerin jedoch für »wissenschaftlich unbewiesen«, die »etablierte akademische Forschung« befasse sich gegenwärtig nicht mit dem Nußknacker-Problem »Purpur und Persönlichkeit«.
Deshalb begleitet das von den Modemachern leichtfertig initiierte Großexperiment bisher nur Volkes Stimme. Sie ist ohne Wärme, besonders dann, wenn eine ältere Dame zu den violetten Accessoires greift, um ganz unbewußt und getreu dem Volksmund ("Lila, der letzte Versuch") zu signalisieren, daß ihr erotisches Interesse noch nicht erloschen ist.
Die Chancen, die Alptraumfarbe auf dem Modemarkt zum großen Renner zu machen, sind mithin eher gering. Braem, der in Wiesbaden eine 400 Quadratmeter große Halle zu Forschungszwecken mit wechselnden Farben illuminiert, hat für den noch Zweifelnden einen kleinen Tip parat: »Setzen Sie mal eine violette Brille auf. Das halten Sie nicht lange aus.« _(Oben: In der Zeitschrift »Freundin« ) _(1/1986; ) _(unten: Nach einem Wandgemälde aus ) _(Pompeji. )
Harald Braem: »Die Macht der Farben«. WirtschaftsverlagLangen-Müller/Herbig, München; 228 Seiten; 29,80 Mark.Oben: In der Zeitschrift »Freundin« 1/1986;unten: Nach einem Wandgemälde aus Pompeji.