ROHSTOFFE Naschen von Neptuns Schatz
Wenn Peter Herzig von seiner Forschung erzählt, wähnt man sich in das Ruhrgebiet des frühen 20. Jahrhunderts versetzt. Da rauchen Schornsteine, und Erzfabriken stoßen giftige Schwermetalle aus: Cadmium, Arsen und Blei.
Auch von Förderraten ist die Rede, und die können sich durchaus sehen lassen. Dutzende Kilo Metall spucken die Anlagen pro Sekunde aus. Nur: Menschen haben rein gar nichts mit dieser Form schwerindustrieller Produktion zu schaffen.
Sie findet, ganz natürlich, in 2000 Meter Tiefe statt.
Herzig ist Geologe und studiert die sogenannten Schwarzen Raucher, die wohl eigentümlichsten geologischen Gebilde der Tiefsee. Erst 1977 hatte man die zwei bis fünf Meter hohen Schlote auf dem Meeresboden entdeckt. Siedend heißes Wasser, das im Meeresgrund große Mengen Kupfer, Mangan, Nickel und Gold aus dem Gestein gelöst hat, schießt aus ihren Öffnungen; trübschwarz fällt die Metallfracht beim Eintritt ins kalte Tiefenwasser aus (siehe Grafik rechts).
Bislang profitieren Bakterien von dem heißen Ausstoß. Spezialisierte Einzeller knabbern bei Temperaturen von über 350 Grad die ausgefällten Metallsulfide, und womöglich taten dies auch schon die ersten Lebewesen der noch jungen, heißen Erde.
Doch wenn es nach Peter Herzig geht, soll bald auch die Menschheit an Neptuns Schatz naschen. »In der schwarzen Masse steckt fast alles, wonach die Industriegesellschaft lechzt«, meint der Forscher: Kupfer für die Elektroindustrie, Nickel und Zink für die Stahlhütten, Indium für die Flachbildschirme, sogar Gold für die nationale Reserve.
Vergangene Woche empfing Herzig als Gastgeber einer Konferenz des »Underwater Mining Institute« Geologen, Bergtechniker, Chemiker und Ingenieure in Kiel. »Es herrscht wieder Aufbruchstimmung«, flüstert der Direktor des Meeresforschungsinstituts IFM-Geomar während eines Vortrags.
Denn in der letzten Zeit lässt die boomende Weltwirtschaft die Rohstoffpreise explodieren.
* Beim Kupfer etwa schoss er von 2000 Dollar pro Tonne Ende der neunziger Jahre auf 8700 Dollar Mitte dieses Jahres.
* Zink verteuerte sich in dieser Zeit von 1000 auf fast 4000 Dollar die Tonne.
* Der Indiumpreis verzehnfachte sich innerhalb weniger Jahre. Die Ressourcen sollen schon 2013 ausgeschöpft sein.
»Eigentlich ist jetzt genau die richtige Zeit, mit dem Unterwasserbergbau zu beginnen«, findet Richard Garnett. Der 70-jährige Brite schaut abgeklärt durch die eckigen Gläser seiner Ingenieursbrille. Er entsinnt sich noch gut an die Zeit vor rund dreißig Jahren, als seine Zunft schon einmal Auftrieb hatte. Manganknollen, gefördert
aus 6000 Meter Tiefe, galten damals als Rettung aus der Rohstoffkrise.
Der deutsche Preussag-Konzern etwa begann im Pazifik damit, die metallhaltigen Brocken vom Meeresboden zu klauben, gut 800 Tonnen förderte er zu Versuchszwecken. Auch Garnett gründete eine Firma, schürfte bis in die neunziger Jahre im flachen Wasser vor den Küsten Namibias und Alaskas nach Gold.
Dann stürzten die Edelmetallpreise und rissen seine Firma mit. »Bis jetzt gibt es noch keine leistungsfähige und robuste Fördertechnik für große Tiefen«, warnt Garnett all jene, die jetzt wieder mit dem Bonanza-Blick in die Ozeane schauen.
Doch auch er sieht, trotz aller Skepsis, Anzeichen dafür, dass der Vorstoß in die Tiefsee dieses Mal klappen könnte. »Zu den hohen Rohstoffpreisen gesellt sich der gewaltige Fortschritt in der Fördertechnik«, sagt Garnett. Das sei vor allem der Ölindustrie zu verdanken, die in immer größeren Tiefen nach Öl bohrt. Zudem erleichtern jetzt ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge das Geschäft, denn sie machen eine Anwesenheit des Menschen am Meeresgrund weitgehend unnötig.
Nicht zu unterschätzen sei auch die Satellitennavigation: »Früher mussten wir zu den Sternen gucken, um an die gleiche Schürfstelle zurückzufinden«, sagt Garnett, und sein Gesicht verrät dabei, wie häufig dies nicht recht klappte. »Heute gelangen wir dank GPS auf den Meter genau an die Stelle zurück.«
Derzeit versucht sich die Industrie noch in flacherem Wasser mit der kommerziellen Förderung. Vor der Küste Namibias etwa greift De Beers, der weltgrößte Diamantkonzern, im porösen Sediment nach den glänzenden Klunkern.
Zum Einsatz kommt deutsche Technik. Die Firma Wirth aus Erkelenz bei Köln lieferte den Diamantgräbern sogenannte Unterwassercrawler. »Das sind Fräsen, mit denen die Bodenschicht zerkleinert wird«, erklärt Wirth-Manager Peter Heinrichs. Pumpen fördern das zerbröselte Gestein dann auf das Schiff.
Die Effizienz sei beeindruckend. »Die 47 Mann Besatzung an Deck fördern die gleiche Menge Diamanten wie 3300 Minenarbeiter an Land«, sagt Heinrichs und kalkuliert: »Die 70 Millionen Euro, die das Schiff gekostet hat, amortisieren sich in zwei Jahren.«
Ende nächsten Monats hofft Hinrichs auf die Genehmigung zum Unterwassertest von Förderanlagen, die auch in 2000 Meter Tiefe arbeiten können. »Es ist keine triviale Aufgabe, einen Hammer bei einem Druck von 200 Bar hämmern zu lassen«, sagt der Mittelständler aus dem Rheinland. Trotzdem sei er fest überzeugt: »Die Zukunft der Rohstoffversorgung liegt im Ozean.« In drei Jahren könnte die Testphase abgeschlossen sein. Dann sollen Öl- und Bergbaufirmen mit der Wirth-Technik das Dorado am Meeresboden erschließen.
Ein Kunde von Wirth könnte dann die Firma Nautilus sein. Sie gilt, was den Metallabbau in der Nähe von Schwarzen Rauchern angeht, als Vorreiter. David Heydon, der Chef des australisch-kanadischen Unternehmens, ließ sich in Kiel entschuldigen - wichtige Investorengespräche. Im Frühjahr stieg der große Bergbaukonzern Placer Dome ein. Dann brach Nautilus mit einem Bohrschiff in die Bismarck-See vor Papua-Neuguinea auf.
Von der dortigen Regierung hat Heydon die Schürfrechte für ein Gebiet zugeteilt bekommen, in dem er spätestens Mitte 2009 mit dem Abbau der Schwarzen Raucher beginnen will. Die Testbohrungen lassen ihn dort auf zwei Millionen Tonnen Kupfer hoffen. Mit einem Trommelschneider will er die metallhaltigen Stelen auf dem Meeresgrund zerschmurgeln und anschließend hinaufpumpen. »Das Gerät wird so ähnlich aussehen wie ein Pürierstab mit eingebauter Pumpe«, sagt Heydon. Es könnte von Voest-Alpine Bergtechnik
aus Österreich stammen, mit denen er bereits Gespräche geführt hat.
Was nach der Phantasie des Romanciers Jules Verne klingt, folgt vielmehr einer streng rationalen Kalkulation. Während das Gestein der verbliebenen Kupferminen an Land selten mehr als ein Prozent des begehrten Metalls enthält, verbergen sich in dem ausgespuckten Material der Schwarzen Raucher satte zehn Prozent. Das habe auch für die Umwelt Vorteile, findet Heydon.
»Kupferminen, etwa in den Anden, zerstören die Landschaft, vertreiben Eingeborene und stellen die ganze Gesellschaft der Region auf den Kopf«, sagt der Australier. Der marine Kupferbergbau hingegen sei lokal, der Staub beim Abbau werde von den Pumpen weitgehend eingefangen, und wenn die Bagger abgezogen seien, kehrten schon bald die Lebewesen zurück.
Den Optimismus des Nautilus-Chefs teilen Umweltorganisationen nicht. Sie erklären den Meeresboden zum gemeinsamen Erbe der Menschheit, das es vor den Begehrlichkeiten der Industrie zu schützen gelte. Bedenken gibt es auch von Seiten vieler Wissenschaftler. Ihre Sorge gilt weniger dem Abbau von inaktiven Schwarzen Rauchern, sondern den Manganknollen.
Diese kokosnussgroßen Gebilde liegen in großen Tiefen des Atlantiks und Pazifiks im Schlick und enthalten neben Mangan auch Metalle wie Kupfer, Zink oder Nickel. Sie lassen sich zwar mit einer Art Rechen auflesen. Das allerdings wirbelt gewaltige Staubwolken auf, die sich wegen der Tiefenströmung aus den kalten Regionen der Antarktis nur sehr langsam wieder absetzen. Bei einem Versuch 1989 wurden die meisten Bewohner am Meeresgrund, darunter Borstenwürmer und Kleinkrebse, durch das Gepflüge nahezu ausgerottet.
Davon unbeirrt hat das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover in diesem Juli die Schürflizenz für ein 75 000 Quadratkilometer großes Gebiet im östlichen Pazifik erstanden. Vergeben hat dieses Recht die International Seabed Authority, eine Uno-Behörde mit Sitz in Kingston/Jamaika. Der Preis der Konzession für ein Terrain von der Größe Bayerns: 250 000 Dollar.
Vier bis fünf Millimeter wachsen die Manganknollen in einer Million Jahren. Würden die Früchte dieser geologischen Prozesse geerntet, kämen 45 Millionen Tonnen Buntmetalle zusammen, schätzt BGR-Forscher Hermann-Rudolf Kudrass.
Ob dieser Reichtum jemals vom Grund des Pazifiks zusammengeharkt werden wird, daran zweifelt so mancher in seiner Behörde. Dennoch will sich Kudrass seinen Schatz nicht so schnell schlechtreden lassen. »Seit diesem Sommer«, so der Gesteinskundler, »gehört die Rohstoffarmut Deutschlands der Vergangenheit an.«
GERALD TRAUFETTER