Antarktis Deutscher Radarsatellit fotografiert neuen Rieseneisberg

Der riesige Eisberg A74 hat sich vom Brunt-Eisschelf der Antarktis gelöst
Foto: DLREs war die längste Nonstop-Passagierverbindung der Lufthansa-Geschichte: Ende Januar war ein A350-900 von Hamburg aus zu einer britischen Militärbasis auf den Falklandinseln gestartet, an Bord Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der aktuellen Antarktis-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts (AWI). Der Rekordflug sollte sie auch in Pandemiezeiten sicher zu ihrem Schiff »Polarstern« bringen.
Inzwischen sind die rund 50 Fachleute an Bord des Eisbrechers im antarktischen Weddellmeer unterwegs. Dort wollen sie unter Führung des Expeditionsleiters Hartmut Hellmer herausfinden, wie sich das System aus Ozean, Eis und Lebewesen der Region im Klimawandel verhält – und wie sich die Situation in Zukunft entwickeln könnte. Neben hochmodernen Messgeräten kommen dabei auch tierische Helfer zum Einsatz: Bis zu zwölf Weddellrobben bekommen Sensoren, die Salzgehalt, Temperatur und Wassertiefe messen, auf die Stirn geklebt – und liefern so bis zum nächsten Fellwechsel Echtzeitdaten aus der Region unter dem Eis.
Im Zielgebiet der Expedition treffen große Mengen von kaltem Wasser aus dem Bereich des Schelfeises, also der auf dem Ozean schwimmenden Ausläufer der antarktischen Gletscher, auf relativ warmes Tiefenwasser aus dem Norden und vermischen sich. Das treibt einerseits die globale Ozeanzirkulation mit an, andererseits kann warmes Tiefenwasser die Schelfe von unten angreifen. »Unsere Modellrechnungen zeigen, dass das Schelfeis etwa in der Mitte unseres Jahrhunderts von unten stärker abschmelzen und sich damit der Eintrag von Inlandeis beschleunigen könnte«, warnt Hellmer.
Rund 100 Seemeilen vom aktuellen Einsatzgebiet der »Polarstern« ist nun ein riesiger Eisberg vom Brunt-Schelfeis abgebrochen, mit einer Fläche von 1270 Quadratkilometern ist er ungefähr anderthalbmal so groß wie Berlin. Dass solch große Eisberge vom Schelfeis abbrechen, ist grundsätzlich ein normaler Prozess und keine direkte Folge des menschengemachten Klimawandels. Trotzdem schauen Forscher bei der Geburt eines neuen Riesenbergs natürlich genau hin, um die Prozesse im Detail zu verstehen.
Forschungsstation musste umziehen
Eine aktuelle Aufnahme des deutschen Radarsatelliten »TerraSAR-X« vom Sonntag zeigt den schwimmenden Block aus dem All, der unter dem Kürzel A74 in den Katalogen steht. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betreibt den Satelliten »TerraSAR-X«, dessen Blick auch von Wolken und schlechtem Wetter nicht gestört wird. An der Spitze der antarktischen Halbinsel gibt es dafür extra eine eigene Empfangsstation. Die Bilder des Satelliten werden dort unmittelbar nach der Aufnahme empfangen, verarbeitet und fast ohne Zeitverzögerung zur »Polarstern« übermittelt, wo sie unter anderem als Navigationshilfe dienen.
»Das Brunt-Eisschelf ist schon seit längerer Zeit unter Beobachtung«, sagt DLR-Experte Paul Wachter dem SPIEGEL. Grund seien Risse, die sich bereits vor Jahren südlich der aktuellen Abbruchstelle gezeigt hatten. Aufgrund dieser hatte sich Großbritannien bereits entschieden, seine vor allem auf die Untersuchung der Atmosphäre spezialisierte Forschungsstation »Halley« an eine sicherere Position zu verschieben.
»Nachdem sich in den letzten fünf Jahren drei lange Risse im Brunt-Schelfeissystem aktiv entwickelt haben, haben wir alle erwartet, dass etwas Spektakuläres passieren würde«, so der Glaziologe Adrian Luckman von der britischen Swansea University im Gespräch mit der BBC . Von der aktuellen Abbruchkante ist »Halley« etwa 20 Kilometer entfernt, die Station ist aber ohnehin aus Sicherheitsgründen aktuell nicht besetzt. Daher droht keine Gefahr für Menschenleben.
An Bord der »Polarstern« muss sich Kapitän Stefan Schwarze in den kommenden Tagen entscheiden, ob er sich der Region von A74 weiter nähern will und womöglich gar zwischen Eisberg und Eisschelf navigiert. Weitere Satellitenaufnahmen für die Planung sind auf jeden Fall schon einmal angefragt. Aktuell lässt Schwarze dem SPIEGEL aber mitteilen: »Der Eisberg steht bei uns erst mal nicht auf dem Plan.« Für die Biologen unter den Forschern wäre solch ein Ausflug allerdings durchaus interessant, bekämen sie doch »jungfräulichen« Meeresboden zu sehen. Die Ozeanografen an Bord haben dagegen schon abgewinkt. Sie interessieren sich zwar für das warme Tiefenwasser, das die Schelfe annagt – doch das hatten sie bei der aktuellen Expedition schon an der bisherigen Eiskante nicht nachweisen können. Näher am Land dürfte es also erst recht nicht zu finden sein.
In jedem Fall wäre die Zeit für einen Ausflug in die nautisch anspruchsvolle Region auch ziemlich begrenzt. Laut AWI wird der Eisbrecher spätestens in der zweiten Märzhälfte an der Atka-Bucht erwartet. Hier wird unter anderem das abgelöste Überwinterungsteam der deutschen Forschungsstation »Neumayer III« abgeholt.