Afar-Senke Neuer Ozean wird Afrika spalten
Der Geologe Dereje Ayalew und seine Kollegen von der Addis Ababa University erschraken. Gerade hatten sie ihren Helikopter in der Wüste in Zentraläthiopien verlassen, als der Sandboden plötzlich bebte. Der Pilot rief den Wissenschaftlern zu, sie sollten schleunigst zurückkommen - da passierte es: die Erde öffnete sich. Wie aufreißende Gletscherspalten rasten die Brüche auf die Forscher zu. Nach einigen Sekunden beruhigte sich der Boden. Ayalew und seinen Kollegen wurde klar, dass ihr Erlebnis von historischer Dimension war: Erstmals hatten Menschen dokumentiert, wie ein neuer Ozean geboren wird.
Normalerweise wandelt sich die Umwelt unmerklich. Ein Menschenleben ist zu kurz, um zu bemerken, dass sich Flussläufe verändern, Gebirge aufsteigen oder Schluchten entstehen. Doch in der Afar-Senke in Nordostafrika öffneten sich in den vergangenen Monaten Hunderte Spalten im Wüstenboden, die Erde sank um bis zu 100 Meter ab. Gleichzeitig beobachteten die Forscher, dass Magma aufstieg und basaltischen Ozeanboden bildete. Geologisch gesehen wird es nicht mehr lange dauern, bis das Rote Meer die Region überflutet und ein Ozean entsteht, der Afrika teilen wird.
Die Afar-Senke, die Äthiopien, Eritrea und Dschibuti überlappt, ist die größte Baustelle des Planeten. Drei gigantische Verwerfungen laufen dort aufeinander zu. Entlang zweier Brüche weichen die Afrikanische und die Arabische Erdplatte etwa einen Zentimeter pro Jahr auseinander. Die Bewegung der Arabischen Platte verlaufe damit langsamer als bisher angenommen, berichten Forscher um Christophe Vigny vom Laboratoire de Géologie in Paris im Fachblatt "Journal of Geophysical Research" (Bd. 111, B02402, 2006). Während die beiden Erdplatten auseinanderstreben, senkt sich der Boden - das Rote Meer und der Golf von Aden füllen den entstandenen Graben.
Ein dritter Bruch durchschneidet Afrika gen Süden, wobei er sich gabelt: ein Arm verläuft östlich, einer westlich des Victoriasees. Die Grabenflanken beider Risse entfernen sich knapp einen Millimeter im Jahr voneinander. Nun konnten äthiopische und britische Forscher diese Spreizung erstmals direkt beobachten.
Neue Brüche und 400 Grad heiße Dämpfe
Dem aufregenden Erlebnis der Wissenschaftler in der Wüste von Afar am 26. September 2005 folgte ein wochenlanges Erdbeben-Tremolo. Im Laufe der nächsten Monate öffneten sich auf einer Fläche, die anderthalbmal so groß ist wie Berlin, Hunderte Risse im Boden. "Bis heute ist die Erde nicht zur Ruhe gekommen", sagt Geophysiker Tim Wright von der University of Oxford im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Noch immer spalte und senke sich der Boden; ständig schüttelten schwache Erdbeben die Region.
Die Forscher sind in den vergangenen Monaten mehrfach in die Gegend geflogen. Einheimische hätten ihnen von sich öffnenden Erdspalten erzählt, sagt die Geologin Cynthia Ebinger von der University of London. Die Forscher entdeckten bei jedem Besuch neue Brüche im Boden; aus manchen stiegen 400 Grad heiße Dämpfe auf. In einigen der Dutzende Meter tiefen und zuweilen Hunderte Meter langen Spalten hörten die Wissenschaftler Flüssigkeiten brodeln; es roch nach Schwefel. Zudem fanden sie Ablagerungen von Vulkanausbrüchen.
Vielerorts trennten Erdspalten die dünnen Lagen frischer Vulkanasche. In den Brüchen lag indes keine Asche - ein Beweis dafür, dass die Spalten jüngeren Datums sind als die Vulkanausbrüche. Die Eruptionen ereigneten sich Ende September und im Oktober. Menschen, die vor der Asche aus ihren Dörfern geflohen waren, berichteten, schwarze Wolken hätten den Himmel drei Tage lang verdunkelt. Der Auswurf stammte aus dem Vulkan Dabbahu.
Erste Flecken des künftigen Meeresbodens
Auch in manche Erdspalten ist basaltisches Magma aufgestiegen. "Es blieb jedoch im Untergrund stecken", erklärt der Geologe Ayalew. Frühere Ausbrüche hingegen erreichten die Oberfläche: Die Forscher fanden erstarrte Lavaablagerungen älterer Eruptionen - es sind die ersten Flecken des künftigen Ozeanbodens.
Die Lava ist von der gleichen Sorte wie jene, die in allen Weltmeeren an den mittelozeanischen Rücken austritt. An diesen Unterwasser-Gebirgszügen entsteht kontinuierlich neuer Ozeanboden, wobei der Meeresgrund zu beiden Seiten weggeschoben wird - ein Prozess, der in Afrika erst begonnen hat.
Afrikas Magmaquelle ist vermutlich ein aus dem Erdmantel aufsteigender riesiger Schlot heißen Gesteinsbreis, der wie ein Schweißbrenner die afrikanische Kontinentalplatte perforiert - und auseinander schiebt. Vor etwa 30 Millionen Jahren zertrümmerte erstmals Lava den Kontinent und schickte Arabien und Afrika auf getrennte Wege. Zwischen ihnen schwappt heute das Rote Meer.
Afrika verliert sein Horn
Das Afar-Gebiet senkt sich ab, große Flächen liegen bereits mehr als 100 Meter unter dem Meeresspiegel. Noch blockiert das Danakil-Hochland an der Küste den Einstrom des Roten Meeres. Erosion und das Absinken des Bodens verringern jedoch stetig die Höhe der Barriere. Das Danakil-Tiefland östlich von Afar wird bereits regelmäßig überschwemmt; das Meer hinterlässt nach jedem Vorstoß Salzkrusten.
Auch die Vulkankette entlang des 6000 Kilometer langen Ostafrikanischen Grabens zeugt vom Auseinanderbrechen Afrikas. An manchen Stellen zwischen den bis zu drei Kilometer hohen Grabenflanken ist die Erdkruste bereits vollständig aufgerissen, dort ist der Weg frei für Magma aus dem Untergrund: Vom Roten Meer bis in den Süden nach Mosambik staffeln sich Dutzende Vulkane, darunter der Kilimandscharo und der Nyiragongo.
Doch selbst die gigantischen Feuerberge werden dereinst im Meer versinken. Nach Berechnungen von Geophysikern wird der ostafrikanische Graben in zehn Millionen Jahren auf die Ausmaße des Roten Meers angewachsen sein - und Afrika wird sein Horn verloren haben.