Neues Experiment am Desy Kann Licht durch eine Wand scheinen?
Woraus besteht Dunkle Materie? Ein Experiment in Hamburg sucht nach besonders leichten Partikeln - ihre Entdeckung wäre eine Revolution in der Physik. Außerdem speziell: die Verwendung von recycelter Technik.
Der Kosmos ist voll davon, rund ein Viertel des gesamten Universums besteht aus Dunkler Materie. Damit kommt sie fünfmal häufiger vor als alle uns bekannte Materie zusammen. Doch aus was die Dunkle Materie besteht, wissen Forscher bis heute nicht. Die Partikel verraten sich nur durch ihre Gravitationswirkung. Sie sorgen zum Beispiel dafür, dass Galaxien nicht auseinanderfliegen. Mit "normaler" Materie interagieren sie sonst nicht.
In zahlreichen Experimenten weltweit versuchen Wissenschaftler, der Dunklen Materie auf die Spur zu kommen. Gängige Theorien besagen, dass sie aus sehr schweren Partikeln, sogenannten WIMPs, besteht. Experimentelle Belege dafür gibt es noch nicht. (Lesen Sie hier eine Reportage aus dem Gran-Sasso-Untergrundlabor in Italien, wo daran gearbeitet wird.)
In einem neuen, besonders interessanten Experiment am Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg versuchen sich Wissenschaftler nun an einem anderen Weg: Sie suchen nicht nach schweren, sondern besonders leichten Partikeln. Mit der Installation des ersten von 24 supraleitenden Magneten für das Forschungsprojekt "Alps II" ("Any light particle search") ist der Versuch am Montag einen entscheidenden Schritt vorangekommen.
Das Experiment soll nach Partikeln suchen, die Licht durch eine Wand scheinen lassen können. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte Axion. Das vermutete Partikel gehört wie die WIMPs nicht zum Standardmodell der Teilchenphysik - es ist auch nicht klar, ob es tatsächlich existiert. Wenn es das Teilchen aber geben sollte, dann müsste ein starkes Magnetfeld es gelegentlich dazu bringen, sich in Lichtteilchen, Photonen genannt, umzuwandeln - und umgekehrt.
Gegen die Wand - und womöglich auch hindurch
Genau das hofft das Team mit dem Hamburger Experiment nachzuweisen. Ein erster Versuch war 2007 bis 2010 ohne Ergebnis geblieben, jetzt soll die Messtechnik tausendmal empfindlicher sein. Die 24 neun Meter langen Magnete werden jeweils zur Hälfte auf zwei verschiedenen Seiten einer dicken Stahlwand aufgestellt. Auf einer Seite steht außerdem ein Lasersystem, dessen Strahl noch durch einen sogenannten Resonator verstärkt wird.
Die Wissenschaftler hoffen, dass sich einige der vom Laser erzeugten Photonen im starken Feld der aufgestellten Magnete in Axionen oder ähnliche Teilchen umwandeln. Dann könnten diese Winzlinge - im Gegensatz zu den Photonen - auch die Wand ungehindert durchfliegen.
Auf der anderen Seite der Stahlbarriere, so hoffen die Forscher, würden die Partikel in einem zweiten Resonator wieder in Lichtteilchen umgewandelt. Deren winziges Signal könnte dann von speziellen Detektionssystemen erfasst werden. Würde man auf der anderen Seite der Wand Licht sehen, wäre der Beweis erbracht, dass es Axionen tatsächlich gibt. Das Rätsel der Dunklen Materie wäre gelöst.
Besonders an "Alps II" ist, dass die Technik in weiten Teilen recycelt wird. Dadurch ist das Experiment vergleichsweise billig, gerade wenn man es mit riesigen Beschleunigern wie dem Large Hadron Collider (LHC) am Cern in Genf vergleicht. Genutzt wird am Desy dafür nicht nur ein unterirdischer Tunnel, der ursprünglich einen anderen, inzwischen abgebauten Beschleuniger namens "Hera" beherbergte. Auch die Magnete stammen von dieser Anlage, wo sie bis 2007 im Einsatz waren.
Allerdings mussten sie etwas umgebaut werden: Für "Hera" brauchten die Magnete eine leichte Biegung, da sie Protonen auf einer Kreisbahn halten mussten. Für den Einsatz im neuen Experiment wurden sie nun mit großem Krafteinsatz gerade gebogen.
"Es ist wirklich aufregend zu sehen, wie das Projekt, an dem viele von uns seit so vielen Jahren arbeiten, endlich im Tunnel Gestalt annimmt", so "Alps II"-Sprecher Axel Lindner vom Desy. "Wenn die Installation und Inbetriebnahme wie geplant verläuft, können wir die Messungen in der ersten Hälfte des Jahres 2021 starten."
chs