Altlasten Tausende Grundstücke der Bahn sind verseucht
Umrankt mit Efeu und Wein bis zum Dach, das Ufer des Bodensees nur 50 Meter entfernt - das Gebäude auf der Lindauer Insel ähnelte einem Dornröschenschloss. Und es war günstig: Nicht mal 1500 Euro Miete für 370 Quadratmeter in solch privilegierter Lage.
Vor sechs Jahren zog der Filmproduzent Mihály Baas, 43, mit seinen Mitarbeitern in das alte Werksgebäude hinter dem Lindauer Bahnhof. Es gab einiges zu renovieren. Das Gebäude, früher Werkstatt und Kesselhaus der Bundesbahn, war seit Jahrzehnten ungenutzt, die Holzbalken waren morsch, es roch streng. Das komme von der alten Heizungsanlage, wurde dem Mieter gesagt.
Nach ein paar Monaten fühlte sich Baas krank. Er hatte Atemnot, Hautausschlag, Herzrasen. Schließlich konnte er nicht mehr schlafen und kaum arbeiten. Heute glaubt er, den Grund für den Gestank zu kennen. Im Staub seines Firmensitzes befinden sich laut einem Gutachten, das Baas in Auftrag gegeben hatte, Pentachlorphenol (PCP) und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) in erhöhter Konzentration. Die Stoffe gelten als krebserregend.

Bahn-Grundstücke: Ärger mit Altlasten
Bis in die achtziger Jahre hantierte die Bahn auf ihren Werksgeländen recht sorglos mit Chemikalien. In Lindau wurden die Böden der Werkstatt mit Teerölen behandelt; auf dem Gelände wurden Pestizide umgefüllt und Lokomotiven von Schlacke befreit. An anderen Standorten verfügte die Bahn über Tanklager, Schrottplätze, Mischanlagen für Pflanzengifte oder Werke zum Tränken der Schwellen - überall kamen giftige Stoffe zum Einsatz.
Tausend Projekte auf der Liste der dringlichsten Maßnahmen
Tausende Flächen im Bundesgebiet sind deshalb verseucht. Mit der Beseitigung der Altlasten kommt die Bahn nur langsam vorwärts. Bohrungen und Laboruntersuchungen kosten viel Zeit und viel Geld. 850 Sanierungsmaßnahmen wurden nach Angaben der Bahn bereits abgeschlossen; einige Flächen wurden komplett ausgekoffert, andere nur mit Humus überdeckt. Rund tausend Projekte stehen auf der Liste der dringlichsten Maßnahmen. Dafür, teilt die Bahn mit, reiche der "Zeithorizont deutlich über das Jahr 2030 hinaus".
Seit 1994 arbeitet die Deutsche Bahn AG als Nachfolgerin des Staatskonzerns an der Sanierung. Für die Mammutaufgabe bildete der Konzern eine Task-Force aus "Risikomanagern für Immobilien". Die Bahn wollte Milliarden Euro einnehmen - die meisten stillgelegten Betriebsgelände befinden sich mitten in der Stadt oder in anderer guter Lage.
Die Spezialtruppe listete 88.000 Flächen auf. Bei einem Teil wurde die frühere Verwendung geklärt, dann mit Probebohrungen die Kontamination erforscht. Nur für zehn bis 15 Prozent aller Objekte habe sich der Verdacht auf Altlasten bestätigt, sagt DB-Sanierungschefin Sabine Henrici. Eine gute Nachricht auch für die Bilanzen: Rückstellungen, die für die Sanierungen gebildet waren, konnten nach Angaben Henricis teilweise aufgelöst werden: "Die Kostenschätzung war aus heutiger Sicht zu hoch."
Doch das Vorgehen der Bahn lässt den Verdacht aufkommen, dass der Task-Force wenig an Transparenz gelegen ist. Eigentlich soll das Sanierungsmanagement früh auf Risiken aufmerksam machen. Tatsächlich aber wurden zumindest im Lindauer Fall Ergebnisse geheim gehalten.
Gutachten blieb unter Verschluss
Dass das Lindauer Gelände viel wert ist, war allen klar: den Immobilienmanagern der Bahn ebenso wie den Vertretern der Stadt. Jahrelang verhandelten sie über einen Verkauf. Doch erst nachdem der Unternehmer Baas die Schadstoffbelastung des alten Werksgebäudes öffentlich machte, wurde ein Bodengutachten publik, das die Bahn bereits 2009 bei einem Ingenieurbüro bestellt hatte.
Es sei nur für den internen Gebrauch bestimmt, sagt Saniererin Henrici, die Bahn habe wissen wollen, wie der Baugrund exakt beschaffen sei, um Kaufinteressenten eine reale Kostenschätzung "für die Aufbereitung der Fläche" zu nennen. Mit Altlasten habe dies nichts zu tun, nur mit einer Nutzungsänderung. Drei Untersuchungen auf Altlasten im Boden seien selbstverständlich den Behörden übergeben worden. Die Untersuchung von Gebäuden gehöre jedoch nicht zu den Aufgaben der Task-Force.
Die Stadt Lindau erklärte, vom Ergebnis der Untersuchung habe man lange nichts erfahren. Monatelang hatte sich die Stadt um die geheime Expertise bemüht. Unterdessen warnt zwar ein Schild auf dem Gelände in Ufernähe vor Unfallgefahr: "Betreten verboten". Doch das Einfahrtstor steht ebenso offen wie ein Gartentor für Fußgänger. Ein Geschäft für Gartendekoration bietet auf dem Areal seine Ware an, Hunderte Spaziergänger tummeln sich an warmen Sommerwochenenden dort. Auch Klassen der Freien Schule Lindau nutzten die ehemalige Bahnkantine als Werkraum.
Dass Schadstoffe im Erdreich gefunden wurden, steht seit kurzem fest. Aber dabei handele es sich um "andere, als Herr Baas in seinem Gutachten stehen hat", sagt Bahn-Saniererin Henrici. Sie bezweifelt, dass die in Baas' Firma gemessenen Giftkonzentrationen Hinterlassenschaften der Bahn seien. "Es ist nicht gesichert, woher die Stabprobe stammt. Sämtliche Einbauten in dem Gebäude kamen aber von seiner Firma."
Aufklärung soll ein weiteres Gutachten bringen. Immerhin leitete die Bahn einen Teil der Bodenuntersuchung kurz vor Weihnachten den Behörden zu. Alle Schadstoffe, versicherte zudem ein Vertreter der Bahn, seien im Boden gebunden, sie könnten nicht aufgewirbelt und damit auch nicht eingeatmet werden. Es bestehe keine Gefahr für spielende Kinder. Allein: "Man sollte die Erde nicht essen."