Rodungen und Feuer "Der Regenwald braucht mindestens hundert Jahre, um sich zu erholen"

Die verheerenden Brände im Amazonas-Regenwald gefährden das gesamte Ökosystem, sagt Umweltforscher Rico Fischer. Dem durch Rodungen und Klimawandel geschwächten Ökosystem droht der Kollaps.
Satellitendaten der Nasa: Jeder rote Punkte steht für ein Feuer aus den vergangenen 24 Stunden

Satellitendaten der Nasa: Jeder rote Punkte steht für ein Feuer aus den vergangenen 24 Stunden

Foto: FIRMS / NASA

Der größte Regenwald der Welt steht in Flammen: Das brasilianische Weltraumforschungsinstitut INPE meldete in diesem Jahr mehr als 72.000 Brände - so viele wie seit 2013 nicht und 83 Prozent mehr als im Vorjahr. Daten der Nasa zeigen das verheerende Ausmaß der Feuer - jeder rote Punkt auf der Karte steht für einen aktiven Brandherd allein aus den vergangenen 24 Stunden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnt vor einer internationalen Krise und will die Brände ganz oben auf die Tagesordnung des anstehenden G7-Gipfels in Biarritz setzen. Irland droht Brasilien, das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten zu blockieren, falls Brasilien nichts gegen die Brände unternehme. Staatschef Jair Bolsonaro verbittet sich indes jede Einmischung und unterstellt Macron eine "kolonialistische Mentalität". (Mehr zu den politischen Folgen der Brände lesen Sie hier.)

Rico Fischer vom Helmholz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig untersucht seit Jahren, wie Brände und Rodungen die CO2-Bilanz von Wäldern weltweit beeinflussen. Im Interview erklärt er, wie außergewöhnlich die Brände im Amazonas sind.

SPIEGEL ONLINE: Herr Fischer, im Amazonas Regenwald kommt es immer wieder zu Waldbränden. Sind die aktuellen Feuer normal?

Rico Fischer: Dass es in der Trockenzeit im Amazonas-Regenwald brennt, ist nicht ungewöhnlich. Der geringere Niederschlag begünstigt das. In diesem Jahr ist die Zahl der Brände jedoch so hoch wie seit sechs Jahren nicht.

Zur Person
Foto: Rico Fischer

Rico Fischer, geboren 1984, studierte Angewandte Mathematik und arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig.

SPIEGEL ONLINE: Welche Folgen haben die Flammen?

Fischer: Kleinere Brände sind für das Ökosystem meist kein Problem, sie nützen ihm sogar. Einige Baumarten brauchen Feuer zur Vermehrung, weil nur durch die Hitze die Kapseln um die Samen platzen. Für langsam wachsende Pflanzen, kann Feuer ein Segen sein: Sind die Bäume um sie herum erst in die Höhe geschossen, bleibt ihnen kaum noch Licht. Kleinere Brände sorgen für Freiflächen und tragen so zur Verjüngung des Waldes bei.

SPIEGEL ONLINE: Also alles halb so schlimm?

Fischer: Nein. Das Problem ist die viel zu hohe Anzahl der Brände. Auf natürliche Weise würden nur wenige Feuer entstehen. Die allermeisten aktuellen Brände sind menschengemacht, und sie treffen ein bereits geschwächtes Ökosystem. Rodungen und der Klimawandel haben ihm schon stark zugesetzt.

SPIEGEL ONLINE: Was sind die globalen Folgen?

Fischer: Kurzfristig gelangen sehr große Mengen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Gleichzeitig wird ein wichtiger CO2-Speicher des Planeten angegriffen: Der Regenwald. Der Amazonas ist einer der größten Kohlenstoffsenken der Welt. Durch den Klimawandel wird es auch dort wärmer und trockener, die Zahl der Brände dürfte zunehmen, was perspektivisch noch mehr Treibhausgase freisetzt.

SPIEGEL ONLINE: Kann sich der Amazonas-Regenwald davon erholen?

Fischer: Das ist ein langwieriger Prozess. Gesunde Regenwald-Ökosysteme brauchen etwa hundert Jahre, um sich nach einem Brand zu regenerieren. Im Fall des Amazonas dürfte es deutlich länger dauern, weil er durch Rodungen und Klimawandel bereits geschwächt ist - wenn er sich überhaupt erholen wird. Ich fürchte, viele der entstandenen Freiflächen könnten künftig landwirtschaftlich genutzt werden und noch größere Lücken im Regenwald reißen - das ist problematisch.

Fotostrecke

Brände in Brasilien: Apokalypse am Amazonas

Foto: Andre Lucas/dpa

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern beeinträchtigen sie den übrigen Baumbestand?

Fischer: Ein fragmentierter Wald ist gestört. An den Rändern ist es deutlich trockener und heißer als in der Waldmitte. Die Brandgefahr steigt, und Bäume sterben ab. Hinzu kommt die zunehmende Abholzung. Ein Teufelskreis, den wir vielleicht irgendwann nicht mehr stoppen können.

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