Expedition im Eis "Schneedrache" ist in Sichtweite der Antarktis-Fahrer
Die Stimmung ist gut auf der "Akademik Shokalskiy". Zumindest, wenn man Chris Turney Glauben schenkt. Dabei sitzt der Klimaforscher von der australischen University of New South Wales derzeit zusammen mit 73 anderen Menschen auf dem russischen Schiff fest, eingeschlossen vom Packeis der Antarktis. Die nächste menschliche Siedlung, die französische Forschungsstation Dumont D'Urville, ist rund 190 Kilometer entfernt.
Doch nun, so scheint es, naht Hilfe. Und aus der Commonwealth-Bucht inmitten des eisbedeckten Südozeans hält Turney die Welt per Twitter und Skype auf dem Laufenden über den Stand der Rettungsbemühungen. Ein kurzer Film vom Freitag zeigt den Wissenschaftler zusammen mit dem britischen Journalisten Alok Jha an Deck des Polarschiffs. Trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt und Windböen hat Turney nicht einmal den Reißverschluss seiner dicken blauen Daunenjacke hochgezogen.
Die 1982 in Finnland für die Sowjetmarine gebaute "Akademik Shokalskiy" ist eisverstärkt, ein regulärer Eisbrecher ist sie nicht. Um Touristen durch die Polargebiete zu fahren, ist das normalerweise auch nicht nötig. Doch nun ist das Schiff an seine Grenzen gekommen - und braucht Hilfe. Und so freuen sich Turney und Jha sichtlich darüber, dass mittlerweile am Horizont der chinesische Eisbrecher "Xue Long", also "Schneedrachen", zu sehen ist. "Es herrscht große Erleichterung im Team, hier gibt es jetzt jede Menge fröhliche Gesichter", erklärte Turney am späten Freitag in einem Videointerview. Eine Interview-Anfrage von SPIEGEL ONLINE ließ er zunächst unbeantwortet.

Der 167 Meter lange "Schneedrache" arbeitet sich nun in Richtung der Eingeschlossenen vor. Mit zwei Knoten, also gut dreieinhalb Kilometern pro Stunde, stampft das Schiff nach Turneys Angaben auf die "Akademik Shokalskiy" zu. Doch wie schnell eine Rettung tatsächlich möglich ist, hängt von der Eissituation ab. Nach Angaben der australischen Behörde für maritime Sicherheit (Amsa) herrschen derzeit starke Winde in dem Gebiet. Und die könnten die Eisschollen durchaus zu einem unüberwindlichen Hindernis auftürmen, auch wenn die Wetterbedingungen sich in den vergangenen Stunden gebessert haben.
Kalte Fallwinde in der Region
In der Commonwealth-Bucht gibt es häufig starke Stürme. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Luft über den antarktischen Gletschern abkühlt und als kalter Fallwind Richtung Meer strömt. Das Guinness-Buch der Rekorde listet die Gegend als windigsten Ort der Erde, was bei einer durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von 80 Kilometern in der Stunde kaum verwundert. Von Spitzenwerten bis zu 240 Kilometern in der Stunde ganz zu schweigen.
Die chinesische Ozeanbehörde gibt an, dass die "Xue Long" bis zu 1,1 Meter dickes Eis brechen kann. Ob das reicht, wird sich zeigen. Der Wind hatte die Breite der Eisbarriere zwischen der "Akademik Shokalskiy" und dem offenen Meer innerhalb von zwei Tagen von zwei auf zwanzig Kilometer vergrößert. Die Böen könnten die Schollen auch wieder zusammenschieben. In einem Videointerview hatte Turney am Freitag geschätzt, das Eis um das Schiff herum sei zwei bis zweieinhalb Meter dick.
Im Zweifelsfall kann die Rettungsoperation aber noch auf weitere Kräfte zurückgreifen. Der französische Eisbrecher "L'Astrolabe", der allerdings deutlich kleiner als die "Xue Long" ist, befindet sich rund zehn Kilometer hinter den chinesischen Kollegen. Und die australischen Seenotretter sind mit der "Aurora Australis" zumindest auf dem Weg. Wenn die Eisbrecher auch gemeinsam nichts ausrichten können, könnten die Menschen an Bord der "Akademik Shokalskiy" zum Beispiel per Helikopter ausgeflogen werden.
Das Schiff sitzt seit dem ersten Weihnachtstag im Eis fest. Eigentlich ist die Gruppe an Bord, die von Chris Turney geleitet wird, auf den Spuren des Polarforschers Sir Douglas Mawson unterwegs. Doch dann musste die Besatzung einen Notruf absetzen, weil sich die "Akademik Shokalskiy" mit ihren beiden 1147-kW-Dieselmotoren nicht mehr aus eigener Kraft aus dem Packeis befreien konnte. Die Seenotrettungsstation im britischen Falmouth hatte die Botschaft aufgefangen und an die australischen Behörden weitergeleitet. Sie koordinieren nun den Rettungseinsatz, an dem Chris Turney die ganze Welt teilhaben lässt. Und der noch längst nicht zu Ende ist.
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