Erderwärmung in der Antarktis Forscher errechnen dramatischen Eisschwund

Gigantische Eismassen ruhen auf dem siebten Kontinent. Doch der Panzer der Antarktis schrumpft. Allein zwischen 2006 und 2015 gingen laut Weltklimarat etwa 155 Gigatonnen pro Jahr verloren – das entspricht rund dem dreifachen Wasservolumen des Bodensees.
Geht die Erderwärmung ungebrochen weiter, könnte vor allem das antarktische Schelf-Eis schmelzen, das diesen Panzer umgibt. Mehr als ein Drittel könnte dauerhaft verschwinden, wenn die Durchschnittstemperaturen auf der Erde um vier Grad ansteigen, warnen britische Wissenschaftler. So könnten so »unvorstellbare Wassermengen« freigesetzt werden.
Die in der Zeitschrift »Geophysical Research Letters« veröffentlichte Studie geht davon aus, dass Schelf-Eis-Riesen wie Larsen C, Wilkins, Pine Island und Shackleton bei vier Grad irreversibel zusammenbrechen könnten.
Als Schelf-Eis werden auf dem Meer schwimmende Eisplatten bezeichnet, die beispielsweise von Gletschern gespeist werden und mit der antarktischen Landmasse verbunden sind. »Das Schelf-Eis ist ein wichtiger Puffer, um zu verhindern, dass Gletscher an Land frei in den Ozean fließen und zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen«, erklärt Ella Gilbert, Mitautorin und Forscherin am Institut für Meteorologie der Universität Reading. »Wenn sie zusammenbrechen, dann ist es, als würde ein riesiger Korken aus einer Flasche entfernt, sodass unvorstellbare Mengen Wasser von Gletschern ins Meer fließen.«
Eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter könnte diesen gefährlichen Kipppunkt zumindest eindämmen. In diesem Fall würde nur die Hälfte der angenommenen Schmelze stattfinden, schätzen die Forscher.
Bereits Anfang April erschien eine Studie über den riesigen Pine-Island-Gletscher, der rund zehn Prozent des Eises der Westantarktis ausmacht. Die Forscher der britischen Northumbria-Universität warnten, dass der Gletscher bereits an einem Punkt sein könnte, wo seine Schmelze nicht mehr zu verhindern ist.
Der langsame Kollaps von unten
Zur Instabilität des Eisschildes von Pine-Island trägt vor allem die Erwärmung des Meerwassers nahe dem Gletscher bei. Wenn diese sich dauerhaft um mehr als 1,2 Grad Celsius erwärme, könne das den Rückzug des gesamten Gletschers bedeuten, so die Studienautoren.
Warme Meeresströmungen setzen den Eisriesen in der Antarktis derzeit besonders zu. Das untersuchte auch ein internationales Forscherteam am Thwaites-Gletscher. Zusammen mit dem Pine-Island-Gletscher hindert er das noch viel größere westantarktische Eisschild daran, ins Meer zu fließen.

Antarktis: Eis für 58 Meter Meeresspiegelanstieg
Anhand von Messungen der Wassertemperatur, dem Salz- und Sauerstoffgehalt unterhalb des Thwaites-Gletschers konnten die Wissenschaftler nun erste Schlüsse zum Schmelzvorgang ziehen: Die warmen Wasserströmungen kommen von vielen Seiten, besonders aber aus Richtung des Pine Island Bay – dort, wo der Pine-Island-Gletscher liegt. Es gelangt in die Hohlräume unterhalb des Eisriesen und trägt dort zur Schmelze bei. Längerfristig können die warmen Meeresströmungen zum Kollaps des Thwaites-Gletschers führen, schreiben die Forscher in der Studie, die am Freitag im Wochenmagazin der »American Association for the Advancement of Sciences« (AAAS) veröffentlicht wurde.
Der Meeresspiegel steigt
Je mehr Eis an den Polkappen schmilzt, desto mehr steigt auch der Meeresspiegel – und gefährdet längerfristig Millionen Küstenbewohner weltweit. Allein das Eis des Südkontinents speichert mehr als die Hälfe des Süßwassers der Erde. Würde es komplett tauen, würde der weltweite Meeresspiegel um etwa 58 Meter steigen. Das ist erst mal nicht zu erwarten, doch genügen schon ein bis zwei Meter für katastrophale Zustände an bewohnten Küstenabschnitten.
Wie schnell das Wasser künftig steigen wird, hängt von vielen Faktoren ab – auch Forscher können den Schaden bislang nur ungefähr bestimmen. Bisher korrigierte der Weltklimarat jedoch seine Prognosen beim Meeresspiegelanstieg eher nach oben, als nach unten.
Die britische Forscherin Ella Gilbert meint: »Wenn die Temperaturen mit den aktuellen Raten weiter steigen, könnten wir in den kommenden Jahrzehnten immer mehr Schelf-Eis in der Antarktis verlieren«. Seine Erhaltung bedeutete in jedem Fall einen geringeren globalen Anstieg des Meeresspiegels. »Und das ist gut für uns alle.«