Satellitenbild der Woche Gletscher in Not

Eisbergabbruch am Pine-Island-Gletscher im Jahr 2018
Foto: Earth Observatory / NASAEs sind keine guten Nachrichten, die das »Satellitenbild der Woche« diesmal bereithält. Die Aufnahme führt uns an diesem Ostermontag in den Westen der Antarktis, an den Pine-Island-Gletscher. Hier liegt eines der größten Gletschersysteme des Westantarktischen Eisschildes. Es ist mit einer Fläche von rund 162.000 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß wie Bayern und macht zehn Prozent des Eises der Westantarktis aus.
Der Pine-Island-Gletscher transportiert seine kalte Fracht über 250 Kilometer lang in einem gigantischen Schelf in die Amundsensee. Regelmäßig kommt es zu großen Abbrüchen. Das wäre so weit kein ungewöhnlicher Vorgang, denn dass Gletscher kalben, ist ein natürlicher Vorgang. Schließlich gewinnen sie etwa durch Schneefall auch wieder an Masse.
Was Forscher aber in den vergangenen Jahren beunruhigte, war die Tatsache, wie schnell der Gletscher sein Eis ins Meer verliert. Die Massebilanz rückte immer stärker ins Negative, die Kante des Schelfeises, das auf dem Meer schwimmt, die sogenannte Grounding Line, ist in den letzten Jahren stark zurückgewandert. Und auch die Fließgeschwindigkeit hat sich erhöht. Kein Gletscher auf der Welt verfrachtet derzeit mehr Eis ins Meer als Pine Island.
Die Befürchtung bei solchen Beobachtungen war ein Szenario, bei dem der Gletscher einen Punkt überschreitet, ab dem er nicht mehr zu retten ist. Dann setzt sich, wie bei einem Kartenhaus, bei dem man so viele Karten entnommen hat, dass das gesamte Haus zusammenbricht, ein Mechanismus in Gang, bei dem der ganze Gletscher verschwindet.
Für den Pine-Island-Gletscher könnte es tatsächlich schon zu spät sein, glauben Forscher der britischen Northumbria-Universität. In einer Studie, die im Fachmagazin »The Cryosphere« erschienen ist, haben sie modelliert, welche sogenannten Kipppunkte dort eine Rolle spielen.

Im Februar 2020 brach ein 300 Quadratkilometer großer Eisberg vom Pine-Island-Gletscher ab. Das Bild des Esa-Satelliten »Sentinel-2« zeigt den frischen Abbruch im Detail. Es zerbrach nur innerhalb eines Tages in kleinere Teile.
Foto: ESASie identifizierten mehrere dieser Frühwarnindikatoren, die zur Instabilität des Eisschildes beitragen. Der wichtigste ist erreicht, wenn sich das Meerwasser nahe dem Gletscher dauerhaft um mehr als 1,2 Grad Celsius erwärmt. »Das würde zu einem Rückzug des gesamten Gletschers führen, der einen Kollaps des westantarktischen Eisschildes einleiten könnte«, schreibt das Team um den Glaziologen Sebastian Rosier in der Studie.

Leider sei genau dieses Szenario sehr realistisch. Denn durch die langfristige Erwärmung im zirkumpolaren Tiefenwasser und veränderte Winde in der Amundsensee sei das Schelfeis über längere Zeiträume hinweg wärmeren Gewässern ausgesetzt. Das mache Temperaturänderungen dieser Größenordnung immer wahrscheinlicher.
»Das Potenzial, dass diese Region einen Kipppunkt erreicht hat, wurde bereits in der Vergangenheit beschrieben. Aber unsere Studie ist die erste, die bestätigt, dass der Pine Island Glacier tatsächlich diese kritische Schwelle überschreitet«, so Rosier.
Für die Studie haben die Forscher neueste Computermodelle entwickelt und verwendet. Solche Simulationen sind immer mit Unsicherheiten behaftet und eine Herausforderung, wie auch Rosier zugibt. Aber ihre Methodik mache es viel einfacher, potenzielle zukünftige Kipppunkte zu identifizieren, heißt es.
Schon jetzt verliert der Pine Island Glacier jährlich etwa einen Meter seines rund zwei Kilometer dicken Eises. Im Bereich des dünneren Schelfeises ist es sogar noch viel mehr. Das Abschmelzen des Pine Island Glacier und seines benachbarten Thwaites-Gletschers sind schon jetzt für etwa zehn Prozent des globalen Meeresspiegelanstiegs verantwortlich. Nach Schätzungen würde das Abschmelzen des Eises in der Westantarktis die Meeresspiegel um mehr als drei Meter steigen lassen.
Forscher hatten beobachtet, dass sich in der Region wärmeres Wasser aus dem Zirkumpolarstrom seit Jahrzehnten unter das Schelfeis schiebt und es von unten schmilzt. Die Antarktische Halbinsel gehört zu den sich am schnellsten erwärmenden Regionen der Erde. Im Durchschnitt ist es dort inzwischen fast drei Grad wärmer als noch vor 50 Jahren.
Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts hatten 2017 durch Kartierungen des Meeresbodens mit dem Forschungsschiff »Polarstern« entdeckt, dass am Pine-Island-Gletscher unterseeische Höhenzüge das Schelfeis stabilisiert hatten. Aber durch das Abschmelzen verlor das Eis den Kontakt zur Landmasse und wurde instabil. Es konnte dann ungehindert ins Meer fließen.