
Ausgegraben: Die Toten aus der Kirschbaumhöhle
Ausgegraben-Blog Die Toten aus der Kirschbaumhöhle
Reste von mindestens sieben Menschen liegen in einer engen Karsthöhle in Franken - sie stammen aus unterschiedlichen Epochen. Wissenschaftler stehen vor einem Rätsel.
Schon bei ihrer Entdeckung stellte die Kirschbaumhöhle im Fränkischen Karst die Archäologen vor ein Rätsel. Die darin liegenden Kelten stammen aus einer Zeit, in der die Toten üblicherweise gar nicht in Höhlen bestattet wurden. Nun sind erste Untersuchungsergebnisse aus dem Labor zurück - und bescheren mehr Fragen als Antworten.
Denn die Kelten waren bei weitem nicht die ältesten Toten in dem Felsspalt, schon rund 2000 Jahre vorher diente er als Niederlegungsstätte für Menschen und Tiere. Was machte die Kirschbaumhöhle über so lange Zeit so attraktiv als Ort, an dem man Körper in die Tiefen des Erdreichs versenkte?
Reste von mindestens sieben Menschen liegen in der engen Karsthöhle, die ihren Namen von dem kleinen Bäumchen bekam, das einst den Eingang markierte. Fünf der Toten waren zum Zeitpunkt ihres Ablebens bereits erwachsen, zwei noch jugendlich. Dazu gesellen sich neun Haustiere, drei Wildtiere und Nager sowie 30 weitere unbestimmbare Knochenfragmente.
Doch sie stammen aus drei ganz unterschiedlichen Epochen. "Es gibt sehr wahrscheinlich keine Zusammenhänge zwischen den Toten der Eisenzeit, der Bronzezeit und der Jungsteinzeit", erklärt Ausgräber Timo Seregély von der Universität Bamberg. "Die prähistorischen Menschen haben diese Höhle jedesmal wieder neu entdeckt."
Zum ersten Mal am Ende der Jungsteinzeit zwischen 2910 und 2660 vor Christus - jedenfalls nach bisherigem Wissensstand. "Wir sind noch lange nicht am Grund der Höhle angekommen", bemerkt Seregély. "Viele Bereiche sind mit Geröll und Sediment verfüllt - wir wissen nicht, was noch in diesen tieferen Schichten auf uns wartet."
Bestattungsort für Mensch und Tier
Zwei Menschen, die im Endneolithikum in der Kirschbaumhöhle ihre letzte Ruhestätte fanden, gehörten zur schnurkeramischen Kultur. Und sie kamen nicht allein: Bei ihren Knochen liegen die Überreste von drei Hunden, drei Rindern und mindestens einem Schwein.
"Die Rinder starben aber nicht in der Höhle", konnten die Wissenschaftler aus den Knochen folgern. "Sie wurden vorher zerhackt." In der Höhle selber wird dafür auch kaum Platz gewesen sein: Es ist so eng, dass wahrscheinlich nicht einmal die Toten selber dort hineingetragen, sondern eher nur durch den Eingangsspalt geworfen wurden und dann die skelettierten Reste über die Zeit nach unten in tiefere Regionen der Höhle wanderten.
Mehr als ein halbes Jahrtausend zog ins Land, nachdem die Schnurkeramiker die Kirschbaumhöhle als Deponierungsort aufgaben. Dann, in der frühen Bronzezeit zwischen etwa 1980 und 1740 vor Christus, entschieden erneut Menschen, dass diese Karsthöhle ein idealer Ort sei, Mensch und Tier nach ihrem Ableben dort abzulegen. Skelettreste einer Frau und eines Rothirsches gehören in diese Zeit: "Ein Hirschknochen lag direkt neben ihrem Schädel", beschreibt Seregély, was er dort fand.
Wieder verging über ein Jahrtausend, bis schließlich in der Eisenzeit zwischen 760 und 400 vor Christus die Kelten kamen. Sie legten in der Höhle die beiden Jugendlichen und einen weiteren Erwachsenen nieder - und außerdem ein Schaf. Warum sie das taten, bleibt allerdings ein Rätsel. Denn normalerweise bestatteten die frühen Kelten in dieser Region ihre Verstorbenen unter künstlich aufgeschütteten Hügeln oder in einer Urne dazwischen - aber nicht in Felsspalten.
Nicht nur die ersten Datierungen, auch die Ergebnisse einer Isotopenanalyse sind mittlerweile aus dem Labor zurück. Seregély ließ die Knochen auf unterschiedliche Isotopen von Kohlenstoff und Stickstoff testen. So lässt sich zum Beispiel feststellen, wovon die Toten sich ernährten.
"Bei den Schnurkeramikern waren die 15N-Werte ziemlich hoch", erläutert er. "Das heißt, sie nahmen einen höheren Anteil an tierischen Proteinen, also Fleisch und Milch zu sich." Anders dagegen die Kelten: "Sie hatten gegenüber den Schnurkeramikern deutlich geringere 15N-Werte, ernährten sich wahrscheinlich eher von pflanzlichen Nahrungsmitteln."
Schritt für Schritt versucht Seregély so, das Rätsel der Kirschbaumhöhle zu lösen: "Die große Frage ist: Was ist da abgelaufen?" Wie gelangten die toten Menschen und Tiere in den engen Felsspalt? Waren die Toten der einzelnen Epochen möglicherweise miteinander verwandt? Spielte auch Feuer eine Rolle bei den Deponierungen?
Im Schutzanzug in die Höhle
Um diese Fragen zu klären, arbeiten Seregély und seine Mitarbeiter mit größter Sorgfalt. Die Höhle betreten sie nur mit Schutzkleidung, Handschuhen und Mundschutz - damit sie die Knochen nicht mit eigener DNA kontaminieren.
Bevor überhaupt irgendetwas geborgen wurde, erfassten die Archäologen die Höhlenstruktur und die oberste Knochenlage zunächst mit Hilfe eines hochpräzisen terrestrischen 3-D-Scanners. Auch einen Stereo-3-D-Scanner nutzen sie für die Funddokumentation.
Kleinste Veränderungen an den Knochen können so bis ins Detail im 3-D-Bild und mit originaler Farbe erfasst werden: Selbst Schnitt- oder Brandspuren werden sichtbar. "In der Dolomitregion, in der die Kirschbaumhöhle liegt, gibt es recht viele Höhlen, die für entsprechende Körperrituale genutzt wurden", rechtfertigt Seregély die Sorgfalt, "aber die sind alle nur schlecht untersucht."
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als die meisten von ihnen ausgegraben wurden, lagen 3-D-Scanner und Erbgutanalysen noch in weiter Zukunft. "Diesmal haben wir, auch aufgrund dieser guten technischen Möglichkeiten, die Chance, vieles besser zu machen."
Zunächst gilt es, mit Hilfe der Naturwissenschaften den alten Knochenresten und dem in der Höhle noch vorhandenen Sediment sämtliche Informationen zu entlocken: Was genau geschah dort unten zu welchem Zeitpunkt? Dann kommt das Umfeld: Gab es weitere Gräber in unmittelbarer Nähe? Und wo lebten die Menschen, bevor sie starben?
"Erst, wenn wir diese Erkenntnisse besitzen, kann man sich langsam an die zentrale Frage nach dem "Warum" wagen", schließt Seregély. "Bis dahin ist es allerdings noch ein langer und arbeitsreicher Weg."