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Arktis: Eisiger Norden

Foto: LUCAS JACKSON/ REUTERS

Eisschwund in der Arktis Schuld ist nicht nur der Mensch

Das Eis der Arktis wird immer kleiner. Die Verantwortung dafür trägt die Menschheit - aber nicht allein, wie eine neue Studie zeigt.

Es war kein guter Winter für das Eis der Arktis. Wieder einmal. Die weiße Kappe rund um den Nordpol war im vergangenen Monat im Schnitt nur 14,14 Millionen Quadratkilometer groß. Das ist der geringste Februarwert  seit Start der Satellitenaufzeichnungen im Jahr 1979 - und damit noch ein kleines bisschen schlechter als in den bisherigen Negativ-Rekordjahren 2006, 2011 und 2012. Mitschuld sind auch Warmlufteinbrüche im Dezember und Februar.

Die Durchschnittstemperaturen rund um den Nordpol steigen deutlich schneller an als in anderen Teilen der Erde. Daran ist die vom Menschen verursachte Erderwärmung schuld - auch wenn Scott Pruitt, der neue Chef der US-Umweltbehörde EPA, da anscheinend noch gewisse Verständnisprobleme hat.

Etwas komplizierter wird die Sache allerdings dadurch, dass der Mensch ganz offenbar nicht allein verantwortlich ist für das Verschwinden des Eises.

"Seriöse Leute haben schon lange gesagt, dass natürliche Variabilität beim Meereisrückgang eine Rolle spielt", sagt etwa Rüdiger Gerdes vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Und auch Claire Parkinson vom Goddard Space Flight Center der Nasa in Greenbelt (US-Bundesstaat Maryland) bestätigt: "Polarforschern ist schon lange klar, dass Veränderungen beim Meereis verschiedene Ursachen haben."

Parkinson ist eine Veteranin des Forschungsgebiets, sie hat bereits 1979  im Computermodell den momentan zu beobachtenden Rückgang des Eises vorhergesagt. In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Nature Climate Change"  rechnet nun ein Forscherteam um Qinghua Ding von der University of California Santa Barbara (US-Bundesstaat Kalifornien) vor, wie groß dabei der natürliche, nicht vom Menschen verursachte Beitrag sein könnte.

Einflussreicher Wind

Konkret geht es um die Frage, wie stark Änderungen in der atmosphärischen Zirkulation, also beim Wind, das Schicksal des sommerlichen Meereises beeinflussen. Mit Computermodellierungen berechneten die Forscher dafür zunächst, welchen Anteil die atmosphärische Zirkulation im September am Verlust des Meereises insgesamt hatte. Dabei kamen sie auf einen stattlichen Beitrag von bis zu 60 Prozent.

Nun ist es allerdings so, dass die Emissionen der Menschen - und die daraus resultierenden Temperaturänderungen in der Atmosphäre - die großräumigen Windsysteme der Erde auch beeinflussen. Also nahmen Ding und seine Kollegen diesen menschengemachten Beitrag aus ihrer Rechnung wieder heraus. Übrig blieb ein natürlicher Anteil von 30 bis 50 Prozent am Verschwinden des sommerlichen Meereises.

Das Wetter in der Zeit zwischen Juni und August entscheidet also fast zur Hälfte darüber, wie es dem arktischen Meereis im September geht - und damit auch ein Stück weit der Zufall. "Es gibt zufällige Schwankungen von Jahr zu Jahr, die von einem langfristigen Trend überlagert sind", sagt der Meereisexperte Lars Kaleschke von der Universität Hamburg, der - ebenso wie seine Kollegen Gerdes und Parkinson -, nicht an der Studie beteiligt war.

An der Methodik der aktuellen Arbeit hat Kaleschke aber einiges auszusetzen. So werde der Einfluss des Ozeans auf den Eisverlust ebenso wenig berücksichtigt wie Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre. Das von Ding und seinen Kollegen verwendete Atmosphärenmodell sei außerdem "relativ alt" und entspreche "nicht mehr ganz dem Stand der Wissenschaft", sagt der Hamburger Forscher.

Sein Kollege Tor Eldevik von der Universität im norwegischen Bergen ist etwas freundlicher. Er lobt die Arbeit als "aufregenden Beitrag" in der Diskussion um den natürlichen Anteil am Eisverlust der Arktis.

Temperaturänderung im Pazifik beeinflusst Wind in Grönland

Klimaforscher kennen schon lange verschiedene natürliche Zyklen, die das Wetter in der Arktis beeinflussen. Da sind zum Beispiel die regelmäßigen Veränderungen der Wassertemperaturen im Pazifik, die - auf der anderen Seite der Welt - auch die Windverhältnisse über Grönland verschieben können.

Wichtig sind zudem die periodischen Verschiebungen der sogenannten Nordatlantischen Oszillation (NAO) . Dabei wird betrachtet, wie sehr sich das Luftdruckverhältnis zwischen Tiefdruckgebieten über Island im Norden und Hochdruckgebieten über den Azoren im Süden unterscheidet. Hier gibt es mehrere Arten von Zyklen. Einer ist zwei bis fünf Jahre lang, ein anderer 12 bis 15 Jahre, ein weiterer ungefähr 70 Jahre.

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Trotz der Ergebnisse kommt der Mensch nicht aus der Verantwortung für die große Schmelze. "Der langfristige Trend des Meereisverlustes wird auch in der neuen Studie nicht überwiegend durch natürliche Schwankungen erklärt", stellt der Hamburger Forscher Kaleschke klar.

In einem Begleitkommentar zum Artikel von Ding und Kollegen schreibt auch Neil Swart vom Canadian Centre for Climate Modelling and Analysis in Victoria, die vorgestellten Ergebnisse stellten "nicht infrage", dass menschengemachte Erderwärmung zum Rückgang des arktischen Meereises geführt habe - "eine große Menge an Beweisen" belege das klar.

James Screen und Daniel Williamson von der britischen University of Exeter haben vor wenigen Tagen - ebenfalls in "Nature Climate Change"  - noch einmal vorgerechnet, dass selbst eine Begrenzung des Anstiegs der weltweiten Durchschnittstemperaturen auf zwei Grad das sommerliche Meereis der Arktis unter Umständen nicht retten könnte. Und selbst für diese Zielvorgabe ist die Menschheit aktuell nicht auf Kurs.

Was also tun?

Ein Forscherteam um Steven Desch, Astrophysiker an der Arizona State University, hat dazu unlängst im Fachmagazin "Earth's Future"  einen kühnen Plan vorgestellt. Ihre Idee: Zahllose windgetriebene Pumpen sollen Meerwasser auf die noch vorhandenen Eisschollen fördern. Dort würde es anfrieren und die Polkappe nach und nach wieder dicker machen.

Zehn Millionen solcher Aggregate bräuchte es nach den Berechnungen der Forscher.

Das würde 50 Milliarden Dollar kosten.

Pro Jahr.

Zehn Jahre lang.

Selbst wenn die Menschheit also nur eine Teilverantwortung für den Eisverlust der Arktis trägt - angesichts solcher Perspektiven sollte sie sich zumindest dessen bewusst sein.

Zusammengefasst: Der Mensch mit seinem Treibhausgasausstoß ist nicht allein dafür verantwortlich, dass das Meereis in der Arktis mehr und mehr schwindet, vor allem im Sommer. Forscher haben mit Computersimulationen den Einfluss der natürlichen Variabilität zu beziffern versucht - und kommen zu dem Schluss, dass Änderungen beim Wind zu 30 bis 50 Prozent Mitschuld an den Veränderungen haben. Wissenschaftler stellen gleichzeitig klar, dass es keine Zweifel an der Mitverantwortung der Menschheit am Eisverlust im hohen Norden gibt.

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