Naturschutz Vom Mauerblümchen zum Mainstream-Thema

Tote Biene (Symbolbild)
Foto: Getty Images/iStockphotoNaturschutz befördert keine Politikerkarrieren. Er hindert die Bauern am Trockenlegen von Feuchtgebieten, verzögert Autobahnen und Kohlegruben - und das "nur wegen ein paar Kröten und Fledermäusen", wie gerne gesagt wird. Im politischen Betrieb in Berlin und den Hauptstädten der Bundesländer gilt der Naturschutz bis heute als Randthema, von dem es abschätzig heißt, dass er nur einen kleinen, sehr speziellen Teil der Bevölkerung interessiert.
Der Erfolg des Volksbegehrens Artenvielfalt in Bayern könnte das nun aber ändern. Es ist auch ein Erfolg der Wissenschaft.
Die Warnungen vor Artensterben, etwa vom Helmholtz-Umweltforschungszentrum in Leipzig oder vom Max-Planck-Institut für Ornithologie, wurden lange ignoriert. Bund und Länder konnten im vergangenen Jahr freimütig zugeben, dass sie nur ein Drittel jenes Geldes ausgeben, das nötig wäre, um auch nur das EU-Naturschutzrecht umzusetzen. Konsequenzen oder Talkshow-Potenzial hatte so ein Eingeständnis nicht.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) engagierte sich auch in den vergangenen Monaten in Brüssel für ein Weiter-so bei umweltschädlichen Agrarsubventionen. Obwohl Deutschland sich - wiederum auf Rat von Experten aus der Wissenschaft - bei den Vereinten Nationen verpflichtet hat, diese bis 2020 zu beenden.
Investitionen in Monitoring zum Gegenwert eines Feuerwehrautos
Jahrzehntelang haben Bund und Länder es versäumt, ein funktionierendes wissenschaftliches Monitoring der Insektenpopulationen in Deutschland aufzubauen. Die staatlichen Ausgaben für das Monitoring von Brutvögeln liegen bei 300.000 Euro - dem Gegenwert eines Feuerwehrautos. Es kommt sogar vor, dass es nur engagierten Amateuren zu verdanken ist, dass die nötigen Daten über den Zustand der Natur überhaupt erhoben werden.
Naturschutz war bisher in politischer Hinsicht ein Orchideenfach. Die Folgen dieser Haltung erweisen sich als gravierend: Die Landschaften wurden leerer, immer mehr Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet oder dem Aussterben nahe. Früher häufige Vogelarten wie Kiebitz und Rebhuhn sind zu Raritäten geworden, ein Viertel der Farn- und Blütenpflanzen ist bestandsgefährdet, wie Wissenschaftler erst im Dezember vergangenen Jahres darlegten.
Die anderen "besorgten Bürger"
Doch nun zeigt sich, dass es auch beim Wahlvolk gravierende Folgen hat, den Naturschutz so zu vernachlässigen. Beim Stichwort "besorgte Bürger" haben Politiker in den letzten Jahren an Menschen gedacht, die Angst vor Flüchtlingen haben. Viele Menschen empfinden aber offenbar vor etwas ganz anderem Angst: vor einer leblosen Landschaft mit immer weniger Insekten, Vögeln und Wildpflanzen und vor den Folgen einer Agrarpolitik, die Landwirten Steuergelder dafür gibt, auf Kosten der Artenvielfalt zu wirtschaften.
Die langen Schlangen, die sich in den vergangenen zwei Wochen vor bayerischen Rathäusern für das Volksbegehren Artenvielfalt bildeten, sprechen eine Sprache, die Politiker verstehen. Rund eine Million Wahlberechtigte haben in Bayern ihre Unterschrift für einen Gesetzentwurf abgegeben, der die Landschaften des Freistaats wiederbeleben soll.
Den Boden für den politischen Erfolg bereitete die Wissenschaft
Damit ist das nötige Quorum erreicht, der Bayerische Landtag muss sich mit einer langen Liste von Forderungen befassen - vom landesweiten Biotopverbund auf zehn Prozent der Fläche bis zum Schutz von Gewässerrändern und Blumenwiesen. Der Schutz der Lebensgrundlagen soll den bayerischen Wählern zufolge nicht länger Randthema sein. Diese Botschaft dürfte auch in anderen Bundesländern, die ihren Bürgern das Recht zum Volksbegehren geben, gehört werden.
Der Anstoß dafür, dass sich so viele Menschen trotz Februarkälte anstellten, um für das Volksbegehren zu unterschreiben, gab die Wissenschaft. Es waren aber anfangs nicht große, renommierte Institute, die den Erfolg des Volksbegehrens ermöglichten, sondern ein Verein naturinteressierter Bürgerforscher in Nordrhein-Westfalen. Mehr als zwanzig Jahre lang sammelten die Mitglieder des Entomologischen Vereins Krefeld Daten darüber, welche Biomasse an Insekten jeden Sommer in ihren Spezialfallen landeten.
Bei einer Anhörung von Wissenschaftlern und einem Vertreter des Naturschutzbund Nabu im Januar 2016 vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestags kamen die Ergebnisse erstmals ans Licht. Es folgten erste Medienberichte und dann eine Art Insekten-Schock, der bis heute nachwirkt: Die diagnostizierten Rückgänge um bis zu 75 Prozent der Biomasse deckten sich mit dem Alltagserleben vieler Menschen: Wo sind all die Schmetterlinge hin?
Biene Maja als Maskottchen hilft auch den Schwebfliegen
Obwohl viele Menschen unter Insekten vor allem lästige Stechmücken und Hausfliegen verstehen, breitete sich nach der medialen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für die Krefelder Erhebung ein bemerkenswertes Interesse auch an anderen Vertretern dieser Tiergruppe aus. An den 500 Wildbienenarten etwa, die es in Deutschland gibt, an Schwebfliegen und Schmetterlingen. Ihre Rolle als Bestäuber ist auch Nicht-Biologen aus der Schule bekannt. Das Missverständnis, auch die Honigbiene sei gefährdet - was nicht zutrifft -, nutzten Naturschutzverbände in ihren Kampagnen aus. Auf Biene Maja als Maskottchen wollten sie nicht verzichten.
Dabei ist allein die wissenschaftliche Evidenz erdrückend: Nicht umsonst griff Martin Stratmann, Präsident der in München ansässigen Max-Planck-Gesellschaft in die Debatte ein und rief die Bayern zum Unterzeichnen auf. Auch die Chefs der Zoologischen und der Botanischen Staatssammlung des Freistaats unterstützten diesen Appell - ein sehr ungewöhnlicher Akt politischen Engagements, der den Ernst der Lage widerspiegelt.
Parallelen zur Diskussion um den Klimawandel
Ausgerechnet am vorletzten Tag der Eintragsfrist für das Volksbegehren wurde dann auch noch eine neue Analyse von Forschern bekannt, die - wenn auch mit einigen statistischen Einschränkungen -, den Insektenschwund als globales Phänomen beschreibt.
Die Debatte um Naturschutz und Biodiversität tritt nun mit erheblicher Verzögerung in eine ähnliche Phase ein wie die Klimaforschung schon vor Jahren: Wissenschaftliche Erkenntnisse beunruhigen die Bevölkerung, neue Bürgerbewegungen entstehen. Möglichkeiten für Politiker, die Signale zu hören, gibt es genug - von der EU-Agrarreform über Mittel für Monitoring und Schutzgebiete bis zur Diskussion um den Autobahnneubau.