Bericht zu Öko-Energien Blogger werfen Weltklimarat Interessenkonflikt vor

Module eines Solarstrom-Kraftwerkes in Brandenburg: Streit um Report des Weltklimarats
Foto: Patrick Pleul/ dpaGeht es um die Gefahren des Klimawandels, gilt Mark Lynas nicht gerade als Beschwichtiger. Der britische Umweltschützer saß als Unterhändler der vom Untergang bedrohten Malediven auf der Kopenhagener Weltklimakonferenz. Für die Rettung des Klimas würde er am liebsten wieder mehr Kernkraftwerke bauen lassen.
Außerdem verteidigte der Publizist vor gut zwei Jahren Klimaforscher und auch den Uno-Weltklimarat - den Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) - vor der Kritik von Skeptikern, die das ganze Gerede von steigenden Temperaturen für ein Hirngespinst von Ökoaktivisten halten. Genüsslich hatten diese nämlich falsche Zahlen über das Abtauen der Himalaya-Gletscher im IPCC ausgebreitet.

Erneuerbare Energien: Die grüne Zukunft
Doch augerechnet auf seinem Blog geißelt Lynas selbst nun den Weltklimarat . Dieser habe "einen viel schlimmeren Fehler begangen als das sogenannte Himalaya-Gate". Lynas meint einen "ungeheurerlichen Interessenkonflikt" beim IPCC entdeckt zu haben, wie er "größer kaum vorstellbar ist". Die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Institution solle dringend "ihre Politik ändern", mit der sie Autoren für die Berichte aussucht. Zudem fordert der Blogger "schnelle Antworten" des IPCC in diesem Fall von "Missbrauch wissenschaftlicher Unabhängigkeit".
Der Fall, der Lynas so erzürnt, dreht sich um die Veröffentlichung eines Sonderberichtes des IPCC zur Zukunft erneuerbarer Energien. 1544 Seiten ist er dick. Entzündet hat sich die neue Kontroverse, die sich mittlerweile wie ein Lauffeuer durch die einschlägigen Blogs zieht, an der Pressemitteilung dazu: Dort heißt es, dass "fast 80 Prozent des Weltenergieverbrauchs bis Mitte des Jahrhunderts von erneuerbaren Enrgien gedeckt werden könnten". Das "zeigt" der neue Report, steht da geschrieben.
Entsprechend haben bei der Vorstellung der Ergebnisse vor einem Monat in Abu Dhabi auch die Medien die frohe Botschaft transportiert - suggerierend, dass es sich hier um die Meinung des weltgrößten Wissenschaftsgremiums handelt.
Wie kann ein Greenpeace-Mann Leitautor beim IPCC werden?
Doch in Wahrheit gibt diese "fast 80 Prozent" nur eine von über 160 Studien wieder, die vom IPCC untersucht wurden. Doch dazu muss man die ganze IPCC-Presseaussendung schon bis zum Ende lesen. Und wer sich dann den gesamten Report vornimmt, der erst vorige Woche im Internet publiziert wurde, der erfährt den Auftraggeber der besagten Studie: die Umweltschutzorganisation Greenpeace und den European Renewable Energy Council, eine Lobbygruppe für erneuerbare Energien. Bedeutender noch: einer der Leitautoren des betreffenden Kapitels 10 ist Sven Teske, Greenpeace-Experte in Fragen erneuerbarer Energien.
Und genau hier liegt der Kern der ganzen Aufregung: Wie kann ein Greenpeace-Mann Leitautor beim IPCC werden? Und kann es sein, so fragen sich auch Umwelt- und Klimaschützer, dass eine Interessengruppe die Aussagen des IPCC mit ihren politische Zielen beeinflussen kann?
Bisher hat sich die Debatte erst in den angelsächsischen Medien niedergeschlagen. Das mag daran liegen, dass der erste, der den möglichen Interessenkonflikt erkannt hat, Steve McIntyre ist. Der Kanadier gilt als einer der Hauptkritiker der etablierten Klimawissenschaften. Letzte Woche holzte der auf seinem Blog Climateaudit.org los, sprach von "Greenpeace-Karaoke", die sich in dem IPCC-Report befinde.
Dabei sind die Adressaten der Kritik vor allem Deutsche: Zum einen Sven Teske, der Greenpeace-Mann, der in der Hamburger Deutschland-Zentrale sitzt. Ausgewählt wurde er als Leitautor, so wie beim IPCC üblich, von der Regierung - konkret vom Bundesumweltministerium und Bundesforschungsministerium. Das war 2008, also während der Großen Koalition. Vor allem trifft die Kritik Ottmar Edenhofer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der als Co-Vorsitzender der 3. Arbeitsgruppe des IPCC einer der Hauptverantwortlichen des Werkes ist.
IPCC-Report "ohne jede Parteilichkeit"
Der Klimaökonom verteidigt gegenüber SPIEGEL ONLINE deshalb auch das Gesamtwerk. Es sei "ausgewogen" und referiere "ohne jede Parteilichkeit" den Stand des Wissens. Er verweist darauf, dass selbst die jetzt so kritisierte Studie "durch einen strengen wissenschaftliches Begutachtungsprozess" gegangen sei. Man habe die zugrunde liegenden Annahmen der betreffenden Studie deutlich genannt. Außerdem habe der IPCC-Report "keine spezielle Studie über die erneuerbaren Energien als überlegen" dargestellt.
Damit hat IPCC-Vize Edenhofer auch recht - zumindest was den Gesamtbericht angeht. Dort erfährt man nämlich, dass die Greenpeace-Studie, die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt maßgeblich erstellt worden ist, die für die erneuerbaren Energien denkbar besten Annahmen trifft: etwa dass der Weltenergieverbrauch im Jahre 2050 im Vergleich zu heute sinkt oder dass nach 2008 keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden würden. Das ungünstigste Szenario, erstellt von der Internationalen Energieagentur IEA in Paris, sieht nur 15 Prozent der Energie im Jahre 2050 aus nachhaltiger Quelle stammend.
Und der Durchschnitt aller 164 Szenarien, auch das wird deutlich, liegt in der Hälfte des Jahrhunderts bei rund 27 Prozent erneuerbarer Energien. Klimaökonom Edenhofer beklagt sogar, dass der Wissensstand über die Kosten erneuerbarer Energien sehr schlecht sei.
"Warum sollten wir bei einem solchen Bericht nicht mitmachen?"
Umso überraschender ist die IPCC-Pressemitteilung. Sie ist so formuliert, dass deutlich das Augenmerk auf jene fast 80 Prozent erneuerbare Energien gelegt wird, wie in der Greenpeace-Studie steht. Greenpeace-Mann Teske verteidigt sich gegenüber SPIEGEL ONLINE damit, nicht bei der Formulierung jener Pressemitteilung beteiligt gewesen zu sein. "Ich habe sie erst gesehen, als sie bei der Pressekonferenz in Abu Dhabi vorgestellt wurde", sagt er.
Außerdem könne er kein Problem darin erkennen, dass er als Greenpeace-Vertreter beim IPCC-Report mitgemacht habe. Es sei auch jemand von der US-Regierung dabei gewesen, der die Kernkraft leidenschaftlich verteidigt habe, sowie Vertreter der fossilen Energieindustrie. Greenpeace repräsentiere weltweit drei Millionen Menschen. "Warum sollten wir bei einem solchen Bericht nicht mitmachen?", fragt Teske.
Genau darin sehen Kritiker wie Mark Lynas das Hauptproblem. Denn gerade erst erholt sich der IPCC von einer großen Glaubwürdigkeits-Krise. In Abu Dhabi, wo der umstrittene Bericht vorgestellt wurde, verabschiedeten die IPCC-Delegierten auch einen neuen Kodex, der den Interessenkonflikt von Autoren und IPCC-Leitung neu regeln soll. Dies ist Folge einer Debatte, die um IPCC-Chef Rajendra Pachauri entbrannt war. Der Inder war bereits als Berater von Finanzunternehmen aufgetreten. Auch das Vorwort der Greenpeace-Studie stammt aus Pachauris Feder.
In Abu Dhabi allerdings sollten klare Regeln beschlossen werden, die für die Zukunft gelten sollen. So findet sich in dem Abschlussdokument auch folgender Satz, der sich wie ein ungewollter Kommentar zu der neuerlichen Affäre liest: "Das Individuum und der IPCC sollten nicht in eine Situation geraten, in der eine normal denkende Person die Arbeit des IPCC wegen der Existenz eines Interessenkonfliktes in Frage stellen könnte."