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Welt-Klimareport Fünf große Sorgen, fünf große Fragen

Die Uno hat einen dramatischen Klimabericht veröffentlicht, doch was bedeuten die Ergebnisse? SPIEGEL ONLINE erklärt die fünf größten Umweltrisiken der Zukunft - und die fünf größten Unsicherheiten bei den Klimaprognosen.

In Stockholm hat der Uno-Klimarat heute die Zusammenfassung seines neuen Sachstandsberichts veröffentlicht. "Die globale Erwärmung ist die größte Herausforderung unserer Zeit", sagt der Klimatologe Thomas Stocker, der die Verhandlungen um den Uno-Report in Stockholm leitete.

Die einzigartige Wissenssammlung der Uno zeigt, wie sich das Klima verändern könnte. Doch die Prognosen unterliegen erheblichen Unsicherheiten. SPIEGEL ONLINE stellt die fünf größten Sorgen und die fünf größten Fragen zum Klima vor:

1. Sorge: Das Schwellen der Meere

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Meere im weltweiten Durchschnitt um 20 Zentimeter gestiegen, im Einklang mit pessimistischen Uno-Prognosen. Der Anstieg hat sich bislang nicht beschleunigt; die Rate entspricht jener zwischen 1920 und 1950. Ginge es so weiter, stünde das Wasser Ende des Jahrhunderts 26 Zentimeter höher.

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5. IPCC-Report: Die größten Risiken und Unsicherheiten des Klimareports

Foto: Corbis

Trete die prognostizierte Erwärmung ein, drohe bis zum Ende des Jahrhunderts aber ein beschleunigter Anstieg um 26 bis 82 Zentimeter - je nachdem, wie viel Treibhausgase freigesetzt werden, warnt der IPCC. Damit erhöht der Klimarat seine Prognose aus dem letzten Report, als er den Beitrag des Schmelzwassers der großen Eisschilde aufgrund unsicherer Daten niedrig ansetzte.

Auch diesmal verbannt der IPCC Extremszenarien aus seiner Zusammenfassung. Manche Forscher glauben, dass der Rat zu vorsichtig urteile. Das vielleicht größte Risiko zeige sich bei starker Erwärmung erst auf lange Sicht: Der Anstieg der Meere würde Jahrhunderte weitergehen.

Eine besonders ernste Warnung kommt von Geologen: Sie haben versteinerte Korallen gefunden, die zu zeigen scheinen, dass die Ozeane in der letzten Warmzeit vor rund 120.000 Jahren, als es wohl etwa zwei Grad wärmer war als heute, gut fünf Meter höher standen. Könnte es also sein, dass der mächtige Eispanzer Grönlands in naher Zukunft tatsächlich dramatisch schmelzen und das Wasser die Meere zwei Meter höher heben könnte?

2. Sorge: Verschobene Klimazonen mit Ernteausfällen

Die Wurzel allen Übels liege in den Tropen, glauben Klimaforscher. Die Intertropische Konvergenzzone ist die zentrale Klimamaschine: In der Äquatorregion, wo die Sonne am stärksten strahlt, verdunsten immense Wassermassen. Die Wolkenwalzen würden sich bei einer Klimaerwärmung vergrößern und andere Klimazonen in höhere Breiten drücken - so die Theorie.

In Europa wären Mittelmeerstaaten betroffen, die trockenes Subtropenklima bekommen könnten. Der Nachweis, dass der Wandel bereits in Gange ist, ist aber kompliziert - zu schwankend sind die Regenmengen. Zudem fehlt es an Wissen darüber, wie sich Getreide außerhalb der Dürrezonen im Gefolge des Klimawandels entwickeln wird. Bislang rechnen Forscher eher mit negativen Effekten auf die Ernte.

3. Sorge: Dürren und Hitzewellen

Je stärker Treibhausgase die Welt erwärmen, umso häufiger werden Hitzewellen; extremer Frost hingegen würde seltener. Die Wärme ließe manche Regionen austrocknen. Der meiste Regen stammt jedoch aus Ozeanwasser, das in einer wärmeren Welt verstärkt verdunsten und Niederschläge bringen würde. Wo also wird es wirklich trockener? Vor allem verschobene Klimazonen bereiten Sorgen, die in bislang feuchten Regionen vermehrt Dürren bringen könnten. Der Uno-Klimarat wagt aber keine robuste Prognose über künftige Dürren.

4. Sorge: Versauerung der Ozeane

Besonders problematisch erscheint dem Uno-Klimarat die Versauerung der Meere durch CO2: Im Wasser zunehmend entstehende Kohlensäure mache es Algen, Muscheln und Korallen schwerer, ihre Kalkskelette aufzubauen. Mit ihrem Verschwinden ginge auch die Lebensgrundlage vieler größerer Meeresbewohner verloren. Das Maß für den Säuregehalt - der pH-Wert - sei bereits gefallen, warnt der IPCC-Bericht.

Doch Zeugnisse der Erdgeschichte geben Forschern Rätsel auf. Ausgerechnet im Erdzeitalter, als die Erde ein "Super-Treibhaus" war - die Luft enthielt deutlich mehr CO2 als heute - , schienen sich Kalk-Organismen in den Meeren besonders wohlgefühlt zu haben. Mächtige Kreide-Ablagerungen wie die Klippen von Dover und die Rügener Kreidefelsen bezeugen die Blüte der Kalk-Formen während der Kreidezeit vor mehr als 65 Millionen Jahren.

Damals hätten Lebewesen eben genügend Zeit gehabt, sich an die extreme Umwelt anzupassen, glauben Forscher. Derzeit ginge die Versauerung zu schnell vonstatten. Vor allem aber hätten wärmere Ozeane der Kreidezeit es Organismen erleichtert, Kalk aufzubauen.

5. Sorge: Das Tauen der Gletscher

1,4 Milliarden Menschen in Asien hängen am Tropf des Himalajas: Sie nutzen das Fluss- und Grundwasser, das aus dem Gebirge strömt. Ähnliche Abhängigkeit besteht in den Anden in Südamerika. Bis Ende des Jahrhunderts drohten 15 bis 55 Prozent der Gletschermasse in außerpolaren Regionen zu schwinden, warnt der Uno-Report. Trinkwasserreservoire ganzer Regionen sind in Gefahr.

Die 160.000 Eiskappen der Erde wurden bislang allerdings nur stichprobenartig untersucht. Bei lediglich 120 Gletschern wird eine jährliche Bilanz errechnet, nur bei 37 reichen die Aufzeichnungen weiter als 30 Jahre zurück. Messungen der Erdanziehungskraft aber haben großflächig Eisverluste bestätigt, selbst in der Antarktis.

1. Frage: Wie stark wird der Treibhauseffekt?

Würde sich die Menge von CO2 in der Luft verdoppeln, stiege die Temperatur chemischen Experimenten zufolge um ein Grad. Erst Wasserdampf verstärkt der Theorie zufolge den Treibhauseffekt in gefährlicher Weise: Wärmere Luft lässt mehr Wasser verdampfen, das quasi als Dampfglocke die Luft weiter erwärmen würde.

Wie stark der Effekt ist, gilt als Kernfrage der Klimaforschung. Die sogenannte Klimasensitivität beziffert der Uno-Klimareport auf 1,5 bis 4,5 Grad - so stark stiege die Lufttemperatur aufgrund des Wasserdampfes, würde sich CO2 verdoppeln. Die Spanne wurde auch aufgrund der jüngsten Klimaentwicklung im Vergleich zum letzten IPCC-Bericht 2007 leicht nach unten korrigiert.

Die Klimasensitivität lässt sich nur indirekt bestimmen: Sie wird aus dem Vergleich eintreffender Sonnenstrahlung und der Temperatur von Luft und Ozeanen abgeleitet. Auch Daten von Klimaschwankungen der Vergangenheit zeigen den Zusammenhang. Oder es werden in Klimasimulationen möglichst viele Einflüsse variiert, so dass ihre Wirkungen bekannt werden. Dabei bleiben große Unsicherheiten, denn die Ergebnisse der drei Ableitungen unterscheiden sich.

2. Frage: Wie gut sind die Klimaprognosen?

Seit 15 Jahren pausiert die Erwärmung der Luft: Die bodennahe Temperatur ist im weltweiten Durchschnitt je nach Messreihe entweder gar nicht (laut britischem Met Office), oder um 0,05 Grad gestiegen (laut US-amerikanischem Wetterdienst). Klimamodelle haben die Pause nicht erwartet.

Bereits 2009 schrieben Klimatologen, dass sich eine 15-jährige Pause der Erwärmung nicht mehr mit den Modellszenarien in Einklang bringen ließe. "Ich sehe uns erheblich in Erklärungsnot", sagt Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum für Küstenforschung GKSS, der mehrere Standardwerke über Klimamodellierung verfasst hat.

Zahlreiche Studien vermuten, dass natürliche Effekte die Klimaerwärmung bremsen - vorübergehend. Vermutlich habe der Pazifik einen Großteil der Wärme aufgenommen, zeigen Simulationen. Diese Modelle aber zeigen nicht, dass sich die Luft über Eurasien im Winter in den letzten Jahren abgekühlt hat - irgendetwas stimmt also nicht mit den Simulationen.

Wolken sind eine weitere große Unbekannte, sie fallen durch das Raster der Klimamodelle. Niedrige Wolken kühlen, hohe Wolken wärmen die Luft. Vermutlich überwiege der Wärmeeffekt, resümiert der IPCC. Es bestehe allerdings "geringes Vertrauen", dass Wolken angemessen simuliert werden könnten, konstatiert der Klimabericht.

3. Frage: Welchen Einfluss hat die Sonne?

Seit 1986 Satelliten die Sonnenaktivität exakt messen, seien nur kleine Klimaeffekte ihrer kurzfristigen Aktivitätsschwankungen festgestellt worden, berichtet der Uno-Klimareport. Es bestehe aber Forschungsbedarf, ob die Strahlung nicht Wolken erzeugen könnte.

Ein unsichtbarer Teilchensturm aus dem All geht unentwegt auf die Erde nieder, die winzigen Partikel können Kondensationskeime für Wassertropfen und damit Wolken entstehen lassen - so eine bei Klimaskeptikern prominente Theorie. Die Wolkendecke wiederum verändert die Temperatur der Erde.

Die Sonne habe dabei großen Einfluss: Je schwächer ihr Magnetfeld, desto stärker der Partikelsturm aus dem All. Zwar zeigten Laborexperimente, dass auf diese Weise tatsächlich Wolken entstehen könnten, bestätigt der Uno-Klimabericht. Doch der Effekt sei vernachlässigbar - nach bisherigem Forschungsstand, konstatiert der IPCC.

4. Frage: Droht ein Artensterben?

Der IPCC hat das Artensterben aus der Zusammenfassung seines Klimareports herausgehalten, zu vage sind die Prognosen. Simulationen warnen zwar vor dem Schwund von 30 Prozent aller Arten. Manche Ökologen jedoch zweifeln an den Modellen, die scheiterten bereits daran, den Fischbestand nur eines einzelnen Meeresabschnitts für die nächsten drei Jahre vorherzusagen. Zudem ist Erhebungen zufolge nur ein Zehntel der Tierarten überhaupt bekannt. Und Erwärmungen hätten in der Vergangenheit Artenreichtum gefördert, so lautet ein häufiger Einwand.

Computersimulationen zeigen hingegen, dass sich im Zuge der künftigen Erwärmung Klimazonen zu schnell verschieben könnten, so dass Tiere nicht ausweichen könnten, etwa in der Arktis, in Regenwäldern oder im Gebirge. Bedrängte Arten hätten aber häufig in Rückzugsgebieten überdauert, kontern Ökologen: Änderung der Landschaften förderten die Ansiedlung neuer Arten, während eingesessene meist erhalten blieben. Die Klimaänderung wäre demnach vielleicht weniger problematisch als die direkte Ausrottung von Tieren durch Jagd, Fischerei, Rodung, Austrocknung, Vergiftung oder Zerschneidung der Landschaft.

5. Frage: Kommen stärkere Stürme?

Die Prognosen über Stürme sind so unzuverlässig, das der Uno-Klimarat sie nicht mit aufgenommen hat in seine Zusammenfassung. Auf der einen Seite könnte die Erwärmung der Polarregionen Luftdruck-Gegensätze mildern - und Stürme mithin schwächen. Größere Wärmeenergie aber könnte die Winde auch anfachen. Sturmfluten jedoch dürften allein schon deshalb gefährlicher werden, weil die Erwärmung den Meeresspiegel den Prognosen zufolge weiter steigen lassen wird.

Bei tropischen Wirbelstürmen glaubt der IPCC nicht mehr an eine Zunahme. Zwar treibt wärmeres Meerwasser die Zyklone an, Gegenwinde und Staubstürme jedoch bremsen sie. Die stärksten Hurrikane aber könnten im Zuge des Klimawandels noch stärker werden, warnt der Klimarat.

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