Billigauto Tata Nano Klimakiller - Klimaretter

Für viele Asiaten ist es ein Traum, der Chef des Weltklimarats spricht von einem Alptraum: Das indische Billigauto Tata Nano wird, daran gibt es kaum Zweifel, den CO2-Ausstoß Indiens erhöhen. Dennoch könnte der Kleinstwagen dem globalen Klima mehr nützen als schaden.

Wenn bevölkerungsreiche Länder wie China oder Indien sich motorisieren, dann klingeln bei allen, die sich um den Klimawandel sorgen, die Alarmglocken. Der Verkehr ist für rund ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich - obwohl die Pkw-Dichte in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie etwa Indien noch relativ gering ist. Auf 1000 Einwohner kommen dort weniger als 30 Autos, in Westeuropa und Nordamerika gibt es 400 bis 600 Pkw pro 1000 Einwohner.

Manfred Treber von der Umweltschutzorganisation Germanwatch ist sich allein schon wegen dieser großen Unterschiede sicher, dass der von Autos verursachte Kohlendioxidausstoß in Indien zunehmen wird. "Daran gibt es keinen Zweifel, allein schon wegen des Wirtschaftwachstums von derzeit acht Prozent", sagt Treber im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Das Wachstum ist auch nötig für das Land."

Der World Business Council for Sustainable Development (WBCSD), der sich für die Nachhaltigkeit der Wirtschaft engagiert, geht von einer rasanten Steigerung der Autoquote in Indien aus. Bis 2050 werde es dort über 100 Pkw pro 1000 Einwohner geben, prognostiziert die Organisation in der Studie "Mobility 2030" . In China, wo es derzeit ähnlich wenige Autos pro Kopf gibt wie in Indien, rechnet der WBCSD bis 2050 mit fast 250 Pkw je 1000 Personen.

Und auch die mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln pro Kopf zurückgelegte Strecke wird in aufstrebenden Ländern künftig rasant wachsen. In China und Indien liegt diese Zahl derzeit bei rund 5000 Kilometern pro Person und Jahr, in den USA bei 20.000 und in Westeuropa bei etwa 13.000 Kilometern. Laut WBCSD-Prognose werden die Inder die jährlich abgefahrene oder abgeflogene Strecke bis 2050 auf 10.000 Kilometer verdoppeln. Die Chinesen sollen sogar auf 15.000 Kilometer pro Kopf und Jahr kommen, was einer Verdreifachung entspräche.

Miese Ökobilanz?

Angesichts dieser Zahlen ist es durchaus nachvollziehbar, wenn Rajendra Pachauri nicht eben gut auf den Tata Nano zu sprechen ist. Der indische Kleinwagen bereite ihm "Alpträume", sagte der Chef des Uno-Klimarats IPCC schon im Dezember. Die knifflige Frage ist jedoch, ob und in welchem Ausmaß solche Billig-Pkw für zusätzliche CO2-Emissionen sorgen und so den Klimawandel beschleunigen.

Auf jeden Fall entscheidet der Preis mit darüber, ob sich Menschen ein Auto leisten können oder nicht. Ländervergleiche belegen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Einkommenshöhe und Autobesitz-Quote. 1700 Euro - so viel kostet der Tata Nano - ist für viele Inder immer noch viel Geld. Doch die Einkommen in dem Land werden weiter steigen, und immer mehr Inder werden sich ein solches Auto kaufen können. Ist das automatisch schlecht für die Ökobilanz?

Nicht unbedingt, meint Moritz Lehmkuhl, Geschäftsführer der Münchner Firma Climatepartner, die CO2-Bilanzen verschiedenster Branchen untersucht und Klimaschutzkonzepte für Unternehmen erstellt. "Wenn ein Nano zwei Motorroller ersetzt, dann könnten die Emissionen sogar sinken", sagt Lehmkuhl zu SPIEGEL ONLINE. Der Nano verbraucht vier bis fünf Liter auf 100 Kilometer. Manche der in Indien weit verbreiteten Zweiräder schlucken mehr als zwei Liter auf der gleichen Strecke - und stoßen dabei weit mehr Schadstoffe aus als der relativ saubere Nano.

Positiv sei zudem, dass der Nano keine Klimaanlage besitze und somit keine Treibhausgas-Emissionen durch Kühlmittel aufträten, sagt Lehmkuhl. Und auch wenn alte Pkw durch einen Nano ersetzt würden, könne das der Umwelt nützen, da der Nano wenig verbrauche. "Die Emissionen dieses Autos sind mit rund 90 Gramm CO2 pro Kilometer erfreulich gering", sagt auch Germanwatch-Verkehrsreferent Treber. Mit diesem Wert liege der Nano sogar unterhalb dessen, was die EU für die europäische Autoindustrie anstrebt.

Trend zu mehr Straßen wird gefördert

Treber befürchtet jedoch, dass die zunehmende Motorisierung über kurz oder lang zu einem Verkehrskollaps in Indien führen wird. Heute würden dort meist Rikschas oder Zweiräder genutzt, sofern die Leute nicht ohnehin zu Fuß gingen. "Das Leben spielt sich viel mehr als bei uns auf der Straße ab."

Auch Climatepartner-Geschäftsführer Lehmkuhl sieht die Gefahr, dass wegen der steigenden Pkw-Zahl in Indien die Weichen in eine falsche Richtung gestellt werden. Genauer gesagt: Sie werden gar nicht gestellt, denn Alternativen zum Auto wie die Bahn könnten immer mehr ins Hintertreffen geraten. Mehr Autos auf der Straße verschlechterten die Verkehrssituation, was zu höheren Investitionen in den Straßenbau führe. Dieses Geld fehle dann für den öffentlichen Nahverkehr, so Lehmkuhl.

Hintergrund: Tata Nano

Und auch wenn Menschen von der in Indien viel genutzten Bahn auf einen Tata Nano umsteigen würden, verschlechtere sich die Ökobilanz. Pro Person könne sich dadurch der CO2-Ausstoß um rund 40 Gramm pro Kilometer erhöhen.

Wenn die Emissionen durch privaten Autoverkehr in den kommenden Jahrzehnten weiter steigen, und davon geht auch der Weltklimarat IPCC aus, dann können keinesfalls allein Billigautos in aufstrebenden Ländern dafür verantwortlich gemacht werden. Der IPCC prognostiziert in seinem 4. Sachstandsbericht  bis 2030 eine weltweite Zunahme des CO2-Ausstoßes durch den Verkehr um 80 Prozent im Vergleich zu heute. Die höchsten Steigerungsraten werde es im Personenverkehr geben.

Den Löwenanteil des Klimakillers Kohlendioxid werden aber auch weiterhin Autos aus Industriestaaten in die Luft blasen. Die Nicht-OECD-Länder werden im Jahr 2030 laut der IPCC-Prognose für nicht einmal die Hälfte der weltweiten Verkehrsemissionen verantwortlich sein: Ihr Anteil werde von derzeit 36 auf 46 Prozent steigen.

Der Tata Nano taugt deshalb kaum zum Klima-Sündenbock. Er könnte gar als Inkarnation dessen gelten, was insbesondere die Klimapolitiker der Industriestaaten anstreben: dass die Schwellenländer ihren ebenso verdienten wie unabwendbaren wirtschaftlichen Aufstieg mit Hilfe moderner Technologien so umweltfreundlich wie möglich gestalten. Auf Indiens Straßen dürften schadstoffarme neue Nanos dazu besser passen als Jahrzehnte alte, aus dem Westen importierte Altautos.

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