Fotostrecke

Artensterben: Europas Vielfalt in Gefahr

Foto: Stefan Dullinger

Biodiversität in Europa Artensterben vollzieht sich mit Zeitverzögerung

Das Artensterben ist bedrohlich genug, doch laut einer neuen Studie sieht es noch düsterer aus: Die Effekte von Zersiedlung und Umweltverschmutzung schlagen sich bei vielen Spezies erst Jahrzehnte später nieder. Die Zahl der bedrohten Arten müsste deutlich nach oben korrigiert werden.

In der Erdgeschichte gab es mehrere große Artensterben; sie wurden etwa durch Meteoriten oder Vulkanismus ausgelöst. Angesichts des derzeitigen rapiden Artenschwunds sprechen viele Experten vom sechsten Massenaussterben. Bedroht sind Tiere und Pflanzen derzeit allerdings durch menschliche Aktivitäten: in erster Linie Umweltverschmutzung, die Umwandlung natürlicher Lebensräume in landwirtschaftliche Flächen sowie das Verbreiten invasiver Spezies.

Um das Artensterben besser zu verstehen, haben Forscher die wirtschaftliche Entwicklung von 22 europäischen Staaten sowie der Artenvielfalt in diesen Ländern in Bezug gesetzt. Laut ihrer im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences"  veröffentlichten Studie könnte sich das Artensterben in den kommenden Jahrzehnten deutlich zuspitzen. Zwischen 20 und 40 Prozent der erfassten Spezies gelten in den untersuchten Staaten, zu denen auch Deutschland zählte, derzeit als bedroht

Die Forscher um Stefan Dullinger von der Universität Wien verglichen die aktuellen Nationalen Roten Listen der gefährdeten Arten mit der wirtschaftlichen Entwicklung am Anfang, in der Mitte und gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Dabei beachteten sie Bevölkerungsdichte, Intensität der Landnutzung und Bruttoinlandsprodukt pro Kopf.

Bei Pflanzen, Libellen und Heuschrecken erklärte der Entwicklungsstand des Landes um das Jahr 1900 den derzeitigen Bedrohungsstatus am besten. Bei Säugetieren und Reptilien waren die Daten von 1900 und 1950 ähnlich aussagekräftig. Nur der Status der Fischbestände ließ sich am besten von aktuellen Daten ableiten. Die Forscher vermuten, dass Eingriffe in Gewässer durch Verschmutzung oder Dämme direkt den gesamten Lebensraum von Fischen so deutlich verändern, dass ihre Bestände sich sofort verändern.

Gefährdete Wiesenpflanzen

Als Beispiel dafür, dass Bestände erst Jahrzehnte später deutlich zurückgehen können, nennt Dullinger etwa typische Wiesenpflanzen wie die Kuckucks-Lichtnelke (Lychnis flos-cuculi) oder den Teufelsabbiss (Succisa pratensis). "Diese früher sehr verbreiteten Arten gehen heute stark zurück, obwohl die dafür verantwortlichen Veränderungen wie starker Düngereinsatz oder Drainage schon vor Jahrzehnten einsetzten", sagt der Wissenschaftler.

Die Forscher betonen, dass sich die schädlichen Einflüsse anscheinend auch bei kurzlebigen Spezies wie Libellen und Grashüpfern erst Jahrzehnte später bemerkbar machen. Die Gefährdungssituationen, die wir jetzt wahrnehmen, tragen deutliche Spuren dessen, was sich in der Wirtschaftsentwicklung vor hundert Jahren getan hat", sagt Dullinger. "Die jetzigen, stärkeren Eingriffe in die Natur werden sich erst in einigen Jahrzehnten auswirken." Sein Fazit: "Die Zahl der gefährdeten Arten wird wohl deutlich unterschätzt."

wbr/dpa

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren