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Suche nach unbekannten Arten: Was lebt denn da?

Foto: Carsten Rehder/ dpa

Biodiversität Vor der Tür leben Tausende unbekannte Arten

Knapp zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit kennen Forscher bisher. Doch es existieren wohl mindestens doppelt so viele. Unbekannte Spezies gibt es nicht nur in den Tropen - sondern auch in Deutschland.

Eigentlich könnten sich die Biologen Jérôme Morinière und Stefan Schmidt freuen. Sie haben in den vergangenen Jahren wahrscheinlich Tausende neue Tierarten entdeckt, vor allem Insekten. Nur weiß das leider niemand so genau, weil es an Experten für die Einordnung anhand besonderer Körpermerkmale mangelt. "Es fehlt an Leuten, die die Funde bestimmen können", sagt Morinière.

Die beiden Wissenschaftler arbeiten an der Zoologischen Staatssammlung München mit dem sogenannten DNA-Barcoding. Dabei wird ein Gen aus den Mitochondrien untersucht, das sind sozusagen die Kraftwerke der Zellen. Im Erbgut sehen sich die Forscher die Reihenfolge der vier Basen an, aus denen die DNA besteht. Damit das am Computer übersichtlicher aussieht, werden die Basen mit verschiedenen Farben angezeigt. Das sieht dann ähnlich aus wie ein Strichcode auf Etiketten - daher der Name der Methode.

Das Material für ihre Analysen bekommen die Forscher unter anderem aus Fallen im Wald. Von den etwa 50.000 in Deutschland bekannten Tierarten hätten sie bisher etwa die Hälfte in die weltweite Datenbank des DNA-Barcoding-Projekts gespeist - und zählen damit zu den weltweit größten Probenlieferanten. Ziel sei es, in den nächsten 25 Jahren alle Arten auf der Welt zu erfassen.

Immer wieder finden die Forscher dabei auch Gensequenzen, die zu keiner bekannten Art passen. So seien in Deutschland etwa 800 Gallmücken-Arten beschrieben. "Wir haben aber 930 genetisch nachgewiesen", erzählt Morinière. "Wer hätte gedacht, dass es hier vor der Haustür Tausende neue Arten gibt! Im Grunde braucht man nur im Garten keschern und hat schon was Neues drin."

Dass neue Arten am Amazonas gefunden werden oder in Südostasien - solche Meldungen ist die Öffentlichkeit gewohnt. Berichte über Neuentdeckungen in Deutschland - wie eine im vergangenen Jahr erstmals beschriebene Flohkrebsart aus der Nordsee - sind dagegen selten.

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Weltweit seien bisher knapp zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten beschrieben, so Birte Strobel von der Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz. "Und es wird angenommen, dass noch einmal so viele noch nicht beschrieben sind, geschweige denn, dass ihre Bedeutung für das Ökosystem bekannt ist." Andere Schätzungen gehen von bis zu zehn Millionen existierenden Arten weltweit aus.

Sind die Berichte über das Insektensterben also eine Mär? "Die Biomasse ist weniger geworden, das ist Fakt", sagt Morinière. Das genaue Ausmaß des Schadens kenne man aber noch nicht.

Artenlisten gegen Artenschwund

Die Referenzsequenzen der bereits erfassten Tierarten ließen die Analyse von Massenproben mit Tausenden Individuen zu, erklärt er. Somit könne man rasch, billig und effizient umfassende Artenlisten erstellen. Die Technik könne in den nächsten Jahren auch dafür genutzt werden, den Gründen des Insektensterbens auf die Schliche zu kommen.

Auch Lebensweise und ökologische Funktion der Arten ohne Namen, von Forschern auch Dark Taxa genannt, ließen sich mit DNA-Barcoding ermitteln, so Schmidt. Auf eine pflanzenfressende Art kämen im Schnitt fünf sogenannte parasitoide Arten. Das sind oft winzig kleine Insekten wie Schlupfwespen, die der Mensch mit bloßem Auge kaum sehen kann.

Doch um sie zu bestimmen, braucht es Fachleute, die sich mit Taxonomie - der Einordnung verwandtschaftlicher Beziehungen von Lebewesen in Hierarchien - auskennen. Und hier hapert es: Von den mehr als 30.000 in Deutschland bekannten Insektenarten seien ein Drittel Käfer und Schmetterlinge, sagt Morinière. "Damit befassen sich aber 90 Prozent der Taxonomen." Auch für Libellen gebe es vergleichsweise viele Experten: "Für die kleinsten Gruppen gibt es die größten Fans."

Nachwuchsmangel bei Insektenkundlern

Unscheinbarere Arten kommen da schlechter weg. "Wespen und Fliegen haben nicht so eine Lobby wie Käfer und Schmetterlinge." Zur Bestimmung mancher Funde seien schon Spezialisten aus Russland nach München geholt worden. Ein Grund sei der Nachwuchsmangel bei Insektenkundlern.

Immerhin: Die neue Methode kann die Spezialisten zumindest etwas entlasten. Das DNA-Barcoding sei ein riesiger Sprung, sagt Schmidt. Experten der morphologischen Bestimmung müssten nicht mehr jedes Tier unter die Lupe nehmen, sondern könnten sich gleich auf die Unbekannten konzentrieren.

Marco Krefting, dpa/chs
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