Bohrungen in Sibirien Forscher bergen Klimaarchiv der Arktis
Köln - Der Elgygytgynsee am äußersten Rand Nordostsibiriens fasziniert Wissenschaftler schon länger. Dieser See - rund 900 Kilometer westlich der Beringstraße und 100 Kilometer nördlich des arktischen Polarkreises gelegen - entstand vor 3,6 Millionen Jahren durch einen Meteoriteneinschlag. Er war nie vergletschert, seine Sedimente gelten deshalb als perfektes Klimaarchiv.
In einem sechsmonatigen Tiefenbohrprogramm hat ein 40-köpfiges Team aus Deutschen, Amerikanern, Russen und Österreichern mehrere Bohrkerne zutage gefördert - bestehend aus Seesedimenten und dauerhaft gefrorenem Boden. Trotz starker Schneestürme und tiefer Temperaturen erreichte das Team eine Bohrtiefe von 142 Metern. Die Bohrkerne sollen neue Einblicke in die Klimageschichte der Arktis erlauben.
Es handle sich um ein "unschätzbares Klimaarchiv der Arktis", teilte das Alfred-Wegner-Institut mit. Die Analyse der Bohrkerne werde zwei Jahre in Anspruch nehmen. Erste Ergebnisse deuteten an, dass in den Bohrkernen die Klima- und Umweltgeschichte der vergangenen 3,6 Millionen Jahre "weitestgehend dokumentiert ist".
"Man kann an den Bohrkernen auch Seespiegelschwankungen ablesen", sagte Georg Schwamborn von der Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts. In einem Bohrloch installierten die Forscher auch Temperatursensoren. Sie sollen die aktuell stattfindenden Veränderungen im Permafrostboden dokumentieren. Deren Verständnis sei von hohem Wert, weil eine Freisetzung der im Permafrost gebundenen Gase beim Auftauen den Treibhauseffekt weiter verstärken könnte.
Erste Messungen der magnetischen Eigenschaften im oberen Teil der Sedimentabfolge belegen zahlreiche Warm- und Kaltzeiten mit unterschiedlichen Intensitäten und Ausprägungen. "Aus detaillierten Untersuchungen der Übergänge von Kalt- zu Warmzeiten können wir lernen, wie die Arktis auf Klimaerwärmungen in der Vergangenheit reagiert hat, und damit prognostizieren, wie sie in Zukunft reagieren wird", sagte Catalina Gebhardt vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.
"Modellfall für die Arktis in einigen Jahrzehnten"
Auch Seebohrungen bis in 315 Meter Tiefe seien erfolgreich verlaufen. Dabei stießen die Forscher nach eigenen Worten bis in die Zeit des Pliozäns vor mehr als 2,6 Millionen Jahren vor: "Diese Sedimente sind von besonderer Bedeutung, weil das Klima zur damaligen Zeit deutlich wärmer war als heute", sagte Projektleiter Martin Melles. "Damit können die Erkenntnisse aus diesen Sedimenten als Modellfall für die Arktis in einigen Jahrzehnten dienen, wenn dort die besonders starke Klimaerwärmung, wie von Klimamodellen vorhergesagt, stattfinden wird."
Die nahezu 3,5 Tonnen Bohrkerne werden zunächst zum russischen Arktis- und Antarktisforschungsinstitut (AARI) nach St. Petersburg und von dort aus zu mehreren Instituten in Deutschland transportiert.