Brasilien Die Gier nach Soja frisst den Regenwald
Die Dynamik der Globalisierung hat den Amazonas erreicht. Sie beschleunigt die Waldrodungen und lässt selbst den engagiertesten Umweltaktivisten kaum eine Chance. Mehrere hundert Menschen starben in den letzten drei Jahrzehnten bei den Kämpfen um das Land im Amazonasgebiet. Unzählige andere leben in Angst, denn ihr Leben wird von denen bedroht, die von Holz- und Landdiebstahl profitieren. In diesem von Gewehren, Kettensägen und Bulldozern beherrschten "Wilden Westen" Brasiliens sind Regierungsvertreter oft bestechlich oder machtlos. Außer Holzfällern und Viehbaronen beteiligen sich neuerdings auch Produzenten von Sojabohnen am Landraub. Die Zerstörung des brasilianischen Regenwalds wird somit auch durch sie noch beschleunigt.
Fast 20 Prozent des Amazonasregenwalds sind in den letzten 40 Jahren gefällt worden. Das ist mehr als in den gesamten 450 Jahren seit Beginn der Kolonialisierung durch die Europäer. Möglicherweise liegt der Prozentsatz noch weitaus höher, denn in dieser Zahl ist der selektive Holzeinschlag nicht mitgerechnet, der erhebliche Schäden verursacht, aber weniger leicht festzustellen ist als Rodungen. Forscher befürchten den Verlust weiterer 20 Prozent des Regenwalds in den nächsten zwei Jahrzehnten. Sollte es tatsächlich dazu kommen, wird die Ökologie der Region aus den Fugen geraten. Durch die Feuchtigkeit, die das Amazonasgebiet in die Atmosphäre abgibt, produziert es die Hälfte der dortigen Niederschläge. Verhindert die Abholzung ausreichende Regenfälle, werden die restlichen Bäume eingehen. Wo der globale Klimawandel die Austrocknung verschlimmert, kommt es zu extremen Dürren, durch die verheerende Waldbrände drohen. 2005 erlebte das Amazonasgebiet bereits eine solche Dürre. Flusspegel sanken um bis zu zwölf Meter. Mehrere hundert Gemeinden waren betroffen. Da in den Grenzstaaten Pará, Mato Grosso, Acre und Rondônia weiterhin brandgerodet wird, ist Brasilien mittlerweile zu einem der größten Verursacher von Treibhausgasen geworden. Die Gefahrenzeichen sind unübersehbar.
Alles beginnt mit den Straßen. Bis auf wenige Bundes- und Landstraßen - darunter die von Ost nach West verlaufende Transamazônica und die umstrittene, 1770 Kilometer lange "Sojastraße" BR-163, die von Nord nach Süd mitten durch das Herz des Amazonasgebiets schneidet - ist fast jede Straße in dieser Gegend illegal. Die meisten wurden von Holzfällern angelegt, um an Mahagoni und anderes Hartholz für den lukrativen Export zu kommen. Zusammmen ergeben all diese widerrechtlich gebauten Straßen eine Länge von 168.980 Kilometern.
Die Folgen der Abholzung sind meist schlimmer als die Abholzung selbst. Wenn die Bäume gefällt und die Holzarbeiter weitergezogen sind, zieht eine gefährliche Mischung aus illegalen Siedlern, bewaffneten Wachen und Landspekulanten nach. Die sogenannten "Landhaie" folgen den Straßen tief in den zuvor unzugänglichen Wald hinein. Sie zerstören ganze Gebiete, damit es den ursprünglichen Eigentümern schwerfällt, ihr Land wiederzuerkennen und ihr Besitzrecht nachzuweisen. Zum Landraub gehören auch Bestechung und gefälschte Papiere. Das Verfahren ist so weit verbreitet, dass die Brasilianer eine eigene Bezeichnung dafür haben: grilagem, abgeleitet von dem portugiesischen Wort grilo (Grille).Von den sogenannten grileiros ist bekannt, dass sie gefälschte Besitzurkunden schon mal in eine Schublade voller hungriger Heuschrecken legen, um sie künstlich älter erscheinen zu lassen. Als das Instituto Nacional de Colonização e Reforma Agrária, die Landreformbehörde, in den vergangenen drei Jahren solche Besitzurkunden überprüfte, erklärte es mehr als 62.000 Ansprüche wegen des Verdachts auf Fälschung für ungültig.
In der 32.000 Einwohner zählenden Stadt Guarantã do Norte am nördlichsten Ende des asphaltierten Abschnitts der BR-163 unterhält die Umweltschutzbehörde Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis (IBAMA) eine Niederlassung. Ihrem überlasteten Leiter Márcio da Costa stehen nur eine Hand voll Inspektoren zur Verfügung. Sie müssen ein Gebiet von mehreren tausend Quadratkilometern überwachen. Ich treffe da Costa in einem Behelfsbüro hinter den verkohlten Überresten der ehemaligen Zentrale. Sie wurde 2004 von einer aufgebrachten Menge niedergebrannt, nachdem Mitarbeiter der IBAMA und die Polizei einen Holzschmugglerring gesprengt hatten. Mehrere illegale Sägewerke waren geschlossen worden und gegen Holzarbeiter im nahe gelegenen Alta Floresta wurden Geldstrafen in Millionenhöhe verhängt. Kein einziger Tatverdächtiger konnte nach dem Brand überführt werden. Trotz der Klimaanlage scheint die feuchte Luft in da Costas Büro stillzustehen. Er zeigt mir eine Abholzungsgenehmigung aus dem Jahr 2004, zusammen mit einem Durchschlag. Die von einem 2414 Kilometer entfernten Exportinspektor in Südbrasilien unterzeichnete Kopie listet mehrere tausend Kubikmeter Holz auf, die nirgendwo auf dem Original zu finden sind - alles Schmuggelware.
Nachdem ein von grileiros angeheuerter Trupp im Jahr 2005 die amerikanische Nonne und Umweltaktivistin Dorothy Stang ermordet hatte, verschärfte die brasilianische Regierung ihre Politik. Im ganzen Amazonasgebiet wurden Abholzungsgenehmigungen ausgesetzt - die meisten waren für den Holzschmuggel gefälscht worden. Bundespolizei und IBAMA intensivierten ihre Ermittlungen, Soldaten wurden nach Mato Grosso und Pará entsandt und beschlagnahmten dort unzählige Lkw-Ladungen Schmuggelholz. Von den mehr als 300 verhafteten Umweltverbrechern entpuppten sich etwa 100 als IBAMA-Beamte, die in ein weitreichendes Komplott zum Verkauf von Millionen Kubikmeter gefährdeter Harthölzer in die USA, nach Europa und nach Asien verwickelt waren.
Brasilien wird demnächst elektronische Abholzungsgenehmigungen ausstellen, um dem Betrug vorzubeugen. Schon heute setzen Regierungsbeamte, die das riesige Amazonasgebiet überwachen, Satellitentechnik und Fernerkundung ein, um den grileiros auf die Spur zu kommen. Doch selbst wenn sie ein illegal gerodetes Areal entdecken, ist ihr Handlungsspielraum auf Grund des Personal und Ausrüstungsmangels gering.
Auch der Rancher José Rosa aus der 32 Kilometer südlich von Guarantã do Norte gelegenen Grenzstadt Matupá bekam das zu spüren. Ihm war aufgefallen, dass grileiros auf seinem Land Bäume fällten. Im Prinzip hatte er nichts gegen die Rodung - er wollte sowieso im nächsten Jahr 1000 Hektar neu bepflanzen. Ihn störte es aber gewaltig, dass jemand dreist sein Land stehlen wollte. Doch trotz Zusagen des Bundes, mehr Mittel zur Bekämpfung der Holzmafia zur Verfügung zu stellen, konnte Rosa nur einen winzigen Trupp aus zwei IBAMA-Beamten und einem Polizisten zusammenstellen. Sie verfügten über eine Pistole und eine Pumpgun - nicht besonders beeindruckend für schwerbewaffnete grileiros. Das Benzin für ihren Pickup mussten die IBAMA-Mitarbeiter auch noch aus eigener Tasche bezahlen.
Der 42-jährige Evanoir Tibaldi ist der Anführer dieses Stegreifkommandos. Seit 15 Jahren arbeitet er im nördlichen Mato Grosso für die IBAMA. Als ich ihn nach dem Satellitensystem frage, das Luftbildaufnahmen zur direkten Überführung der grileiros liefern soll, antwortet er: "Was für ein Witz, wir haben im Büro ja nicht mal einen Internetanschluss."
In seinem schmutzigen Sporthemd und mit dem zerknautschten Hut wirkt Rosa so gar nicht wie ein wohlhabender Plantagenbesitzer. Ihm gehören immerhin 7284 Hektar Land und 3500 Mastochsen. Um zu seinem Besitz zu gelangen, fährt man von der Stadt aus Richtung Osten. Der Weg führt eine Schotterstraße hinunter über flache Ebenen und gewellte Hügel. "Dieses Land eignet sich perfekt für den Sojaanbau", sagt Rosa.
Auf seiner Plantage fahren wir über eingezäunte Weiden bergauf und erreichen den Regenwald auf einem von grileiros geschlagenen Feldweg. Wir überqueren einen klaren Bach und halten, um Wasser zu trinken. Über mir erhebt sich eine grüne Kathedrale aus Bäumen, ein schillernder Blauer Morphofalter segelt vorbei. Wenn ich an die trüben Bäche im Süden denke, wo der Wald schon von der Landwirtschaft verdrängt ist, frage ich mich, wie viele Monate dieses Stück Regenwald wohl überleben wird.
Unter tief hängenden Zweigen holpern wir über ausgewaschene Reifenspuren und kommen plötzlich auf eine breitere, frisch planierte Straße. "Das riecht nach Geld, das waren Landdiebe", sagt Rosa. "Wenn sie mich hier draußen erwischen, werden sie mich einfach abknallen."
Die Eindringlinge waren so dreist, quer über die Straße eine Absperrung zu errichten. Wir gehen zu Fuß weiter. Tibaldi ermahnt uns, leise zu sein, und nimmt die Beretta 38 aus seiner Tasche. Kurz darauf erreichen wir eine Lichtung mit einer eilig zusammengezimmerten Behausung, in der etwa ein Dutzend Menschen Platz finden. Tibaldi greift unter einen Tisch und zieht eine Kiste mit Vorräten hervor: Zucker, Mehl, Kaffee, Küchenutensilien. "Sie sind abgehauen", sagt er. Bis auf die Schreie eines Tukanpaars in den Wipfeln ist es still.
Offenbar hat jemand den grileiros einen Tipp gegeben. Rosa ist wütend. Nächstes Mal will er versuchen, Bundespolizisten zu gewinnen - Männer von außerhalb. "Nur so wissen sie vorher nichts", zischt er und funkelt den Lokalpolizisten an. "Aber das darf man ja nicht sagen.Um in Brasilien zu überleben, muss man sich blöd stellen."
Der Ansturm auf das Land am Amazonas geht auf die siebziger Jahre zurück, als die brasilianische Militärdiktatur die Politik des "integrar para não entregar" verfolgte, was so viel heißt wie "Vereinnahmen, um nicht zu verlieren". Unzählige Familien zogen auf diese Parole hin in den Dschungel, um der Armut im übervölkerten Süden und Nordosten zu entkommen. Viele starben oder gaben auf. Doch andere überlebten, nahmen das harte Leben auf sich und betrieben Landwirtschaft per Brandrodung.
Die ärmsten Siedler erhielten selten Besitzurkunden für das Land, das sie bestellten. Nur wer Beziehungen hatte, bekam von der Regierung Konzessionen für bis zu 2 994 Hektar große Grundstücke, durch die Holzeinschlag, Viehzucht und andere Erschließungsprojekte gefördert werden sollten. Falls die Empfänger solcher Privilegien - zumeist abwesende Grundherren - das Land nicht innerhalb von fünf Jahren produktiv nutzten, verfiel das Anrecht auf dauernde Eigentümerschaft. Tatsächlich unternahmen die meisten Pächter nichts, betrachteten sich aber dennoch als rechtmäßige Eigentümer. Und während die Regierung versäumte, die Besitzverhältnisse dieser Grundstücke zu klären, hatten benachbarte Bauern längst begonnen, diese Ländereien illegal mitzubewirtschaften. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen. Bis heute kämpfen weit entfernt lebende Grundbesitzer, die den Wald für ihre Agrarwirtschaft kahlschlagen wollen, gegen Bauernfamilien, die zwar kleine Flächen für den Ackerbau roden, aber zum Überleben auf den umliegenden intakten Wald angewiesen sind.
"In Amazonien stoßen heute zwei Erschließungsmodelle aufeinander", sagt Felício Pontes. Er gehört zu einer neuen Generation von Regierungsanwälten, die es als ihre Pflicht ansehen, Bestechung, Landraub und Umweltverbrechen im Amazonasgebiet zu ahnden. Am ersten Jahrestag der Ermordung von Dorothy Stang stehen wir auf einem symbolischen Friedhofsgelände, auf dem 820 Kreuze für die 820 Toten stehen, die der Landkrieg in Pará bisher gekostet hat. "Das erste Modell wurde während der Militärdiktatur eingeführt und basiert auf Holzabbau und Viehwirtschaft. Es vernichtet den Wald unwiederbringlich." Das von Stang propagierte Alternativmodell bezeichnet Pontes als "sozialen Umweltschutz". Während das eine Modell den Reichtum akkumuliert, fordert das andere dessen Verteilung durch eine Bewirtschaftung in kleinen Waldfeldbaukollektiven.
Die in Ohio geborene und aufgewachsene Nonne Dorothy Stang gehörte dem Schwesternorden Notre Dame de Namur an. Ihr Engagement für das Ideal der Kleinbauern, die ihr Auskommen in Harmonie mit dem Wald finden, brachte ihr viel Zuspruch ein. Von ihrem Büro in der Grenzstadt Anapu aus arbeitete sie unermüdlich daran, aus den Siedlern im Amazonasgebiet umweltbewusste und solidarische Gemeinschaften zu machen, die sich den gewalttätigen Spekulantencliquen widersetzen können. Für Schwester Dorothy waren Menschenrechte und Naturschutz untrennbar miteinander verbunden. Obwohl auch die armen Siedler den Wald schädigen, war sie davon überzeugt, dass die Bauern die nachhaltige Nutzung ihres Landes zum Selbsterhalt lernen würden. "Das Ende des Waldes ist das Ende unseres Lebens", mahnte sie ihre Anhänger.
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Die letzte gute Tat von Dorothy Stang - die Rettung eines als Parzelle 55 bekannten Urwaldgebiets - endete am Morgen des 12. Februar 2005. Zwei bewaffnete Männer stellten sich der zierlichen 73-jährigen Nonne in den Weg. Das dann folgende Gespräch belauschte ein Zeuge, der später im Prozess gegen die beiden Männer aussagte. Stang rügte sie - das Land gehöre ihnen nicht, sie hätten kein Recht, Weiden für Viehhaltung anzulegen. "Magst du etwa kein Fleisch?", höhnte einer der Angreifer. "Nicht, wenn dafür der Wald zerstört wird", antwortete sie. "Wenn das Problem nicht heute gelöst wird, dann nie", knurrte der Mann. Stang sah, dass er zur Waffe griff. Sie nahm ihre Bibel und las aus dem fünften Kapitel des Matthäus-Evangeliums vor: "Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden." Als sie gehen wollte, richtete Rayfrán das Neves Sales seinen Revolver auf sie und drückte ab.
Blairo Maggi, der Gouverneur des Bundesstaats Mato Grosso, gilt bei Umweltschützern als der Landräuber schlechthin. Maggi ist "O Rei da Soja", der Sojakönig - und größter Einzelproduzent der Welt. 2005 erhielt er einen weniger schmeichelhaften Ehrentitel: Greenpeace verlieh ihm die "Goldene Kettensäge", weil Mato Grosso in den ersten drei Jahren seiner Regierung die massivste Regenwaldabholzung ganz Brasiliens aufzuweisen hatte.
Maggi baut auf einer Gesamtfläche von etwa 400.000 Hektar auf drei riesigen und mehreren kleineren Farmen Soja, Mais und Baumwolle an. Darüber hinaus gewährt er etwa 900 mittelgroßen Erzeugern Kredite und kauft ihre Sojabohnen. Seine Firma, die Maggi Group, hat im Westen von Mato Grosso eine komplette Stadt errichtet: Sapezal. Sie dient der Versorgung einer einzigen Plantage. Statt zu warten, bis die Bundesregierung die BR-163 bis zum Amazonas bei Santarém asphaltiert, wo Soja zum Überseetransport umgeladen wird, errichtete die Maggi Group eine Infrastruktur mit Silos und Frachtschiffen, so dass Soja gelagert und den Rio Madeira hinab zum eigenen Tiefwasserhafen Itacoatiara verschifft werden kann.
Mit Rotschopf und leichtem Bauchansatz hat sich der 50-jährige Maggi etwas Jungenhaftes bewahrt, das seinen Ruf als Waldzerstörer Lügen zu strafen scheint. Imageprobleme sind für ihn sowieso kein Thema - seine Macher-Attitüde hat ihn in Mato Grosso und auch landesweit so populär gemacht, dass er erwog, bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2006 zu kandidieren. Maggis Familie stammt aus Italien, seinen Grundbesitz und Geschäftssinn hat er vom Vater geerbt, der sich vom Saatgutverkäufer zum Agrarindustriellen emporgearbeitet hat. Dass Blairo den Erfolg seines Vaters André noch übertrifft, hängt mit Brasiliens Entwicklung zur globalen Agrarmacht zusammen. Das Land ist der weltweit größte Rindfleischexporteur und wird im Sojaexport nur von den USA übertroffen. "Brasilien ist der einzige Ort, an dem Soja noch in großem Rahmen expandieren kann", sagt der Biologe Oswaldo de Carvalho vom Amazonas-Umweltforschungsinstitut IPAM. In Pará und Mato Grosso werden künftig wohl noch mehr Bäume gefällt.
Maggi hält die Abholzung für ein überbewertetes Thema, eine "Phobie", unter der Menschen leiden, denen die enormen Ausmaße des Amazonasgebiets nicht klar sind. "Ganz Europa würde in Amazonien Platz finden", sagt er.
Was hält er von Dorothy Stangs Vision von Kleinbauern, die in Harmonie mit der Umwelt nachhaltig ihr Land bewirtschaften? "Völliger Unsinn", meint Maggi. Er erklärt, dass solche Vorhaben ohne umfangreiche Subventionen dem Lauf der Geschichte widersprechen und zum Scheitern verurteilt sind. "Geschäfte tendieren immer zur Konzentration. Die Stückpreise fallen, und dann braucht man zum Überleben eben riesige Mengen.
"Maggi erscheint nicht allen Umweltschützern als der große Gegenspieler. "Immerhin hat er seinen Betrieb zum Erfolg geführt und bemüht sich darum, Mato Grosso als globale Wirtschaftsmacht zu positionieren", sagt Dan Nepstad vom Forschungszentrum Woods Hole in Massachusetts. Gemeinsam mit seinem brasilianischen Pendant IPAM führt das Zentrum Forschungen auf Maggis 81746 Hektar großer Tanguro-Farm im Quellgebiet des Rio Xingu durch. Bei einem der Experimente geht es darum herauszufinden, wie Mulch aus mikrobenreichem Regenwaldlaub den durch Monokultur und Viehwirtschaft ausgelaugten Boden regenerieren kann. Dank des Drängens von Nepstad und anderen unterstützt Maggi das Vorhaben, Soja nach international anerkannten Umweltmaßstäben anzubauen. Diese sind zwar noch festzulegen, doch Maggi hat seinen Produzenten schon Bedingungen gestellt: kein illegal gerodetes Land, keine Sklavenarbeit, kein Spritzen von Agrotoxinen näher als 500 Meter von Fließgewässern. "In den Bereichen Umwelt und Soziales sind wir sehr verantwortungsbewusst", sagt Maggi zu Beginn unserer Besichtigung der Tanguro- Farm. "Alles, was wir tun, geschieht im Rahmen der Gesetze." Er zeigt auf ein Gebäude, in dem Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmittel lagern. "Unsere Agrotoxine werden bis zum Einsatz fachgerecht belüftet."
Auf einer schnurgeraden Betriebsstraße fahren wir am Rand eines kilometerlangen gelbgrünen Sojafelds entlang. Auf der einen Seite vermitteln endlose Reihen wadenhoher Büsche den Eindruck einer modernen, hoch technisierten Agrarwirtschaft. Ein zufälliger Beobachter würde die Pflanzen vielleicht bewundern, nicht ahnend, dass ihr glänzendes Grün einer giftigen Mischung zu verdanken ist. Sojabohnen benötigen große Mengen an säureneutralisierendem Kalk, dazu Dünger, Pestizide und Unkrautvernichtungsmittel. Alle außer Maggi äußerten mir gegenüber ihre Sorge wegen der ins Grundwasser gelangenden Giftstoffe. Indianer wie die Enawenê-Nawê in Mato Grosso beklagen sich über vergiftetes Wasser und sterbende Fische.
Maggi ignoriert die negativen Folgen des Sojaanbaus. "Soja nützt der Umwelt sogar", sagt er. "Die Erde hier ist sehr mager. Und Soja führt dem Boden etwas zu, statt ihn auszulaugen. Danach kann man anbauen, was man will."
Forscher bestätigen, dass die sachgerechte Handhabung von Sojafeldern die Ertragfähigkeit des Bodens steigern kann. Aber niemand weiß, wie lange die dünne, stark saure Erde im Amazonasgebiet auf diese Weise angereichert werden kann. Hören die positiven Effekte einmal auf, wird es zu einer Umweltkatastrophe mit furchtbaren wirtschaftlichen Folgen kommen.
Auf der anderen Seite der Betriebsstraße stehen eindrucksvolle, 30 Meter hohe Bäume - das Herzstück eines alten Urwalds im Querschnitt. Diese wie mit dem Lineal aufgeschnittenen Waldansichten werden umso alltäglicher, je tiefer die Landwirtschaft in den Wald vorstößt. Oft ist dies illegal, aber nicht immer. Bauern steht zu, bis zu 20 Prozent ihres Landes zu roden, solange sie die restlichen 80 Prozent als sogenannte "gesetzliche Rücklage" erhalten. Falls der Bewuchs ihres Landes als "Übergangsvegetation" - also etwas zwischen Regenwald und Savanne - eingestuft wird, dürfen sie bis zu 50 Prozent roden. Doch die Gesetze taugen nur so viel wie der Wille zu ihrer Umsetzung. "Die Leute müssen begreifen, dass ein Gesetzesbruch Folgen hat", sagt Stephan Schwartzman von der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Environmental Defense.
Es scheint, dass die Grundbesitzer das allmählich verstehen. Seit den verschärften Maßnahmen nach dem Mord an Dorothy Stang suchen Landwirte, die ihr gesetzliches Rodungslimit überschritten haben, nach Wegen zur Legitimierung ihres Besitzes. Gouverneur Maggi versteht ihre Lage und erlaubt ihnen den Ankauf entfernter liegender Waldgebiete, damit sie den Vorschriften zur "gesetzlichen Rücklage" entsprechen. Gesetzesbrechern droht er mit hohen Geldstrafen; seine Drohungen setzt er jedoch nur zögernd in die Tat um.
Von den Sojabohnen profitieren nicht nur Brasilianer. Entlang des 800 Kilometer langen asphaltierten Abschnitts der BR-163 zwischen Cuiabá und Guarantã do Norte gibt es nicht weniger als fünf Händler der Landmaschinenfirma John Deere. Zur Erntezeit rumpeln die gelbgrünen Mähdrescher über die Felder zu beiden Seiten der Straße. Sojaströme ergießen sich auf die Ladeflächen der Lastwagen, deren Ziel die glänzenden neuen Silos der amerikanischen Multis ADM, Bunge und Cargill sind.
Der Großteil der Sojaernte verlässt den Bundesstaat Mato Grosso noch immer mit Lkw-Kolonnen, die 1930 anstrengende Kilometer bis zu den Häfen in Südbrasilien zurücklegen müssen. Als die Regierung 2003 ankündigte, die letzten 1046 Kilometer der BR-163 von Guarantã do Norte nach Santarém zu asphaltieren, wurde plötzlich so viel Land gekauft, dass das Ausmaß der daraus resultierenden Zerstörungen die Behörden zur Aussetzung des Projekts zwang. Erst sollte ein Forstverwaltungsplan verabschiedet werden - im Februar 2006 wurde er bekannt gegeben. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verkündete den Schutz von fast sechseinhalb Millionen Hektar Regenwald. In den Schutzzonen erhalten umweltbewusste Firmen begrenzte Abholzungsrechte. Rodung und Besiedlung sind nicht erlaubt.
Dieser neue Distrikt ist Teil eines wachsenden Mosaiks aus Parks und Schutzzonen, die im Verbund mit den indigenen Gebieten das Vordringen der Rodungen am Zentralamazonas verhindern sollen. Offenbar zahlen sich die Maßnahmen aus. 2005 gingen die Abholzungsraten um mehr als 30 Prozent zurück. Vorläufige Zahlen für 2006 zeigen ein ähnliches Bild.
Doch es gilt, die Maßnahmen zum Schutz des Amazonasgebiets mit anderen Interessen im Land in Einklang zu bringen. Dazu gehören der geplante Bau von sieben Staudämmen an den ökologisch empfindlichen Flüssen Xingu und Madeira sowie Straßen, Stromleitungen, Öl- und Erdgas-Pipelines sowie Großprojekte in den Bereichen Bergbau und Industrie. Die Staudämme sollen Aluminiumhütten mit Strom versorgen - doch ihr Bau würde Millionen Hektar Wald über- fluten, Methan und andere Treibhausgase frei- setzen, die Artenvielfalt reduzieren und viele Ureinwohner von ihrem Land vertreiben.
Die Indianer wissen, dass sich der Nutzen des Regenwalds nicht berechnen lässt. Der Wald erzeugt nicht nur die Hälfte seines eigenen Niederschlags, sondern auch einen großen Teil des Regens südlich des Amazonas und östlich der Anden. Er absorbiert CO2, mildert dadurch die Erderwärmung und reinigt die Atmosphäre. Er sorgt für den Erhalt eines einmaligen Reichtums an Lebensformen. Doch die Wirtschaft misst dem Wald keinen Wert zu: Noch immer ist es weitaus profitabler, den Wald abzuholzen, als ihn stehen zu lassen. "Ein klassisches Beispiel für das Versagen des Marktes", meint Schwartzman. Komischerweise würde Maggi ihm da zustimmen: "Wir müssen dringend Wege finden, um die Waldvölker und ihre Regierungen für die ökologischen Dienstleistungen zu entschädigen, die ihre Wälder liefern", sagt er.
Der in Minnesota ansässige Lebensmittelkonzern Cargill will einfach nur möglichst billig Sojabohnen produzieren. In Erwartung des Ausbaus der BR-163 errichtete Cargill 2003 in Santarém ein Lagerhaus und einen Tiefwasserhafen. Doch bis das Soja auf der Straße dorthin transportiert werden kann, verschifft Cargill, so wie Maggi, einen Großteil per Frachtkahn auf dem Rio Madeira. "Wir haben fast zwei Millionen Tonnen exportiert", erklärt mir stolz der Betriebsleiter Douglas Odoni. Wir stehen auf einem Steg über dem Frachter "Evdoxos". Aus einem riesigen Rohr schießen 1,2 Millionen Kilo Sojabohnen pro Stunde in den Schiffsbauch. Zwei Wochen später wird die "Evdoxos" in Amsterdam anlegen und 47 Millionen Kilo brasilianische Sojabohnen löschen. Eine Ölmühle wird sie zu Öl und Tierfutter weiterverarbeiten. "Sie kaufen ausschließlich von uns", ruft Odoni durch den Maschinenlärm.
Cargills Aktivitäten im Amazonasgebiet waren immer umstritten. Bundesanwälte haben das Unternehmen verklagt, weil es angeblich versäumte, eine angemessene Umweltverträglichkeitsstudie über seinen Hafen einzureichen. Die Errichtung einer Sojawasch- und Trockenanlage führte zu Protesten von Waldschützern, die Anlage musste mehrmals geschlossen werden.
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Für die Bauern der Umgebung wurde Cargill als potenzieller Aufkäufer von Soja zum Anlass, die Pflanze anzubauen. Die Abholzung nahm stark zu. Aber, meint Odoni, "wenn sie uns ihre Bohnen nicht verkaufen könnten, gäbe es für die Gemeinde hier keine Steuern und Einkünfte."
Vergangenen Sommer stimmten Cargill und die anderen großen Sojahändler Brasiliens einem Zweijahresmoratorium zu. Sie verpflichteten sich, keine Sojabohnen von Anbauflächen auf neu gerodeten Amazonasböden anzukaufen. Die Einigung zeigt den Sojaproduzenten, dass der Umwelteinfluss ihrer Betriebe auf dem Weltmarkt stärker wahrgenommen wird.
Für viele Bewohner der Gemeinde Belterra, eine Fahrtstunde südlich von Santarém, kommt das Moratorium zu spät. Als Vorsitzende des Ortsverbands der Landarbeitergewerkschaft vertritt die 33-jährige Auricelia Núnes etwa 5000 Bauernfamilien. Diese, sagt sie, hatten auf ihren kleinen Parzellen ein relativ gutes Auskommen, bis Ende der neunziger Jahre Fremde aus Südbrasilien das Land für wenig Geld aufkauften. "Viele Kleinbauern kennen den Wert des Geldes einfach nicht", sagt Núnes. "Sie glaubten, es würde lange reichen, aber das stimmt nicht." Heute vegetieren sie in den ständig wachsenden Slums von Santarém dahin.
Wer sich dem Verkauf widersetzte, sah sich bald von immer näher rückendem Ödland umgeben. Brände und Kettensägentrupps vernichteten den Wald bis unmittelbar an die Grundstücksgrenze. Aufgescheucht durch die Zerstörung ihres Lebensraums, drangen Giftschlangen, Bienen und Nagetiere in die Gärten ein. Als dann die Traktoren auf den gerodeten Feldern Pestizide versprühten, trieben die giftigen Wolken auch in die Häuser. "Es war gesundheitsgefährdend ", sagt Núnes. "Viele wurden krank. Auch Tiere verendeten."
Núnes und ihr Ehemann Everaldo Pimentel sind noch traditionelle Kleinbauern. Auf ihren 28 Hektar Land pflanzen sie Mais, Kürbis und Bohnen und halten Vieh. Doch Pimentel will mir eine andere Stelle zeigen. Sie liegt 15 Autominuten entfernt. Wir fahren einen Feldweg entlang, der auf mehreren Kilometern an Sojafeldern entlangläuft. Dann biegen wir auf eine schmalere Piste ab - es ist die Zufahrt zu dem Bauernhaus, das sein Großvater im Schatten eines großen Mangobaums gebaut hatte. Hier ist Pimentel aufgewachsen. Vor vier Jahren verkaufte sein Vater die Farm an einen Fremden. Sofort haben Arbeiter jeden Baum gefällt. "Innerhalb von 30 Sekunden können die mehr Verwüstung anrichten als ein Kleinbauer, der 30 Jahre lang das Land bestellt hat.
"Pimentel ist es völlig gleichgültig, dass wir uns auf fremdem Besitz befinden - die bewaffneten Wachen sind nirgends zu sehen. Er deutet auf eine rissige, von Unkraut überwucherte Betonplatte am Boden: "Hier hat das Haus gestanden." Ein Dutzend riesige Mangobäume liegen auf der Erde. Mit Kettensägen gefällt, verrotten sie nun in der glühenden Sonne. "Wenn wir gewusst hätten, was dieser Mann vorhat, hätten wir nie verkauft", sagt Pimentel. Er setzt sich auf den Stumpf eines alten Mangobaums. "Den hat mein Großvater vor 100 Jahren gepflanzt", sagt er und blickt auf ein trostloses, leeres Feld. Pimentel vergräbt das Gesicht in den Händen und fängt an zu weinen. "Es war so schön hier", sagt er. "Sie hätten es sehen sollen."