CO2-Ausstoß Europas Emissionshandel floppt

Von wegen innovative Waffe gegen den Klimawandel: Der EU-Emissionshandel kollabiert. Auf dem Markt können sich Konzerne das Recht auf Luftverschmutzung kaufen, doch die Preise brechen ein - weil die Politik der Industrie zu lasche Vorgaben macht. Allen Versprechen zum Trotz.

Schnell noch ein paar Tonnen Klimakiller extra in die Atmosphäre pusten? EU-Unternehmen, die das vorhaben, können sich die dafür notwendigen Emissionsrechte derzeit besonders günstig beschaffen, denn die Preise sind eingebrochen. Für eine Tonne CO2 musste heute Mittag rund ein Euro bezahlt werden - 24 Prozent weniger als noch am Freitag. Seit dem 19. April 2006, als eine Tonne Kohlendioxid noch fast 30 Euro kostete, kannten die Zertifikatpreise praktisch nur eine Richtung: nach unten.

Auslöser des heutigen Preiseinbruchs sind neue Statistiken der Europäischen Union. Demnach waren Unternehmen in Europa 2006 wie auch schon im Jahr 2005 mehr als reichlich mit CO2-Zertifikaten versorgt. EU-weit waren Emissionsrechte für 1865 Millionen Tonnen ausgegeben worden, genutzt wurden davon jedoch nur 1835 Millionen Tonnen. Ein Faktor dabei könnten auch die extrem milden Herbst- und Wintermonate 2006 gewesen sein - die Energienachfrage insgesamt ging zurück. Der Preiseinbruch für Zertifikate macht Investitionen in Klimaschutz weniger attraktiv.

Energieversorger und Industrie dürfen in der EU nur so viel CO2 in die Umwelt abgeben, wie ihnen Zertifikate erlauben. Der weltweit einzigartige Emissionshandel soll dazu führen, dass sich klimafreundliches Wirtschaften lohnt: Wer zu viele Rechte hat, kann diese an andere verkaufen, etwa an der European Energy Exchange (EEX) . EU-Umweltkommissar Stavros Dimas pocht auf eine knappe Zuteilung, damit ein entsprechend hoher Zertifikatpreis diese Rechnung aufgehen lässt. Die Regierungen, die die Rechte jeweils für Unternehmen in ihrem Land zuteilen, folgen Dimas' Ansinnen jedoch offenbar kaum.

Kyoto auf der Wartebank

Ein Beispiel dafür ist Deutschland, dessen Gesamtemissionen 2006 wegen der boomenden Wirtschaft sogar angestiegen sind. Industrie und Energiewirtschaft hierzulande nutzten im vergangenen Jahr nur Emissionsrechte für rund 471 Millionen Tonnen CO2, obwohl ihnen Rechte für 496 Millionen Tonnen zur Verfügung standen. Die Zahlen stehen allerdings noch unter Vorbehalt, weil der Kommission noch nicht alle Meldungen vorlagen.

Weniger Kohlendioxid in die Atmosphäre als erlaubt gaben auch die Unternehmen aus den großen Staaten Frankreich, den Niederlanden, Tschechien und Polen ab. Dagegen überschritten Briten, Italiener und Spanier ihre Quoten (siehe Tabelle unten).

Der Emissionshandel soll der EU eigentlich dabei helfen, ihre Verpflichtungen des Kyoto-Abkommens einzuhalten. 2005 jedoch war die Union von ihren Zusagen noch weit entfernt. Umweltkommissar Dimas sagte am Rande einer Uno-Klimakonferenz, der Treibhausgasausstoß der alten 15 EU-Staaten habe in diesem Jahr 1,6 Prozent unter dem Niveau von 1990 gelegen. Nach dem Kyoto-Abkommen muss die EU bis 2012 ihren Ausstoß von Treibhausgasen um acht Prozent senken. Inzwischen hat sie sich bis 2020 auf eine Senkung um mindestens 20 Prozent verpflichtet.

Uno-Experten beraten in Brüssel bis Ende der Woche über die Folgen des Klimawandels auf die verschiedenen Erdteile. Am Freitag soll ein Abschlussbericht vorliegen. In einem Entwurf wird unter anderem vor Hungersnöten in Afrika, Hitzewellen in Amerika und Gletscherschmelzen in den Alpen gewarnt.

Emissionshandel in der EU im Jahr 2006

Land Emissionsrechte* Ausstoß*
Belgien 60 n.v.
Deutschland 496 471
Finnland 45 45
Frankreich 138 118
Griechenland 71 69
Irland 19 22
Italien 167 184
Luxemburg 3 3
Niederlande 76 70
Österreich 33 32
Portugal 37 n.v.
Slowenien 9 9
Spanien 160 175
Bulgarien n.v. n.v.
Dänemark 28 34
Estland 18 12
Großbritannien 205 245
Lettland 4 3
Litauen 10 6
Malta n.v. n.v.
Polen 224 197
Rumänien n.v. n.v.
Schweden 19 17
Slowakei 14 13
Tschechien 97 84
Ungarn 25 22
Zypern 6 5
Gesamt* 1865 1835
*in Millionen Tonnen CO2, Gesamtzahl ohne Belgien, Bulgarien, Malta, Portugal und Rumänien

Die EU nahm vor allem die USA und Australien in die Pflicht, mehr gegen die Erderwärmung zu tun. "Wir rufen die USA auf, enger zu kooperieren und die negative Haltung in internationalen Verhandlungen aufzugeben", sagte Dimas. Wenn die USA sich nicht bewegten, würden dies auch die Entwicklungsländer nicht tun.

Die Umweltorganisation Greenpeace rief die Politik auf, jetzt Konsequenzen aus dem Wissen um den Klimawandel zu ziehen. "Noch ist es nicht zu spät", erklärte die Organisation. "Wir wissen, was passiert, wir wissen warum und wir wissen, was sich dagegen tun lässt."

hda/rtr

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