CO2-Propaganda "Die nennen es Verschmutzung, wir nennen es Leben"

In Werbespots, die an Absurdität kaum zu überbieten sind, fragt die US-Energielobby die Amerikaner: "Was wäre die Welt ohne Kohlendioxid?" Die Spots zielen auf die Klimawandel-Dokumentation von Al Gore. Inhaltlich sind sie hart an der Grenze zur Volksverdummung.

Die Fernseh-Werbung als Kunst des eleganten Etikettenschwindels hält nun auch Einzug in die Klimadebatte. Was bei langen Pralinen und leichter Schokolade funktioniert, soll jetzt das Image von Klimagasen aufpolieren. "Kohlendioxid: Die nennen es Verschmutzung, wir nennen es Leben" - unter diesem Motto präsentierte gestern eine konservative Lobbygruppe zwei TV-Spots mit Imagepflege für das Klimagas.

Auf der Website des Competitive Enterprise Institute (CEI) kann man die Videos online ansehen . Ein kleines Mädchen mit Pusteblume, Ölförderung, der erleuchtete Times Square bei Nacht - im "Energie"-Clip wird das Hohelied fossiler Brennstoffe gesungen: "Die Kraftstoffe, die CO2 freisetzen, haben uns aus einer Welt der Knochenarbeit befreit, unser Leben erleuchtet, sie erlauben uns, Dinge herzustellen und zu transportieren, die wir brauchen, und die Menschen die wir lieben."

Der Bildschirm wird schwarz. "Jetzt wollen ein paar Politiker Kohlendioxid einen Schadstoff nennen. Stellen Sie sich vor, sie hätten damit Erfolg - wie würde unser Leben dann aussehen?" In fröhlicher Nichtbeachtung des Unterschieds zwischen natürlichen Kohlendioxid-Kreisläufen und dem menschgemachten Ungleichgewicht schlussfolgert der Sprecher des Spots: "Kohlendioxid: Die nennen es Verschmutzung, wir nennen es Leben."

Die und Wir - eine Verschwörung von "Alarmisten"

Die Dichotomie von Die und Wir wird auch im zweiten Werbeclip fortgeführt, der den Titel "Gletscher" trägt: "Sie haben diese Schlagzeilen über die globale Erwärmung gesehen", spricht eine Frauenstimme über die Bilder von Zeitungs- und Magazinseiten. Besonders das Magazin "Time", das dem abschmelzenden Polareis eine Titelgeschichte gewidmet hatte, wird prominent gezeigt. Es folgen abbrechende Gletscherkanten, und dann - nichts für Freunde des Subtilen - läuft das Bild rückwärts. Der Gletscher setzt sich wieder zusammen.

Die Wissenschaftler und die Journalisten - Umweltaktivisten werden als "Alarmisten" bezeichnet - unterdrücken nach Meinung der Lobbyisten solche Forschungsergebnisse, die das Gegenteil belegten. Zwei kurz eingeblendete "Science"-Artikel sollen diese These stärken. "Warum macht man uns Angst?", lautet hier die Suggestivfrage vor der Entwarnung: "Kohlendioxid ist kein Smog oder Rauch. Es ist, was wir aus- und Pflanzen einatmen." So einfach ist das.

Die Werbespots sind just eine Woche vor dem US-Start der Dokumentation "Eine unangenehme Warheit" ("An inconvenient truth") platziert. Auch von diesem Film steht ein Werbeclip im Internet . Der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore will darin die Zuschauer für die Folgen des globalen Klimawandels sensibilisieren. In den USA bedeutet das erstmal zu erklären, dass es den Wandel und seine Folgen überhaupt gibt.

Gegen Gore, gegen Gesetze, gegen den Stand der Dinge

Gegen die Konsequenzen dieser Einsicht lobbyiert das CEI nach Kräften. Wie der euphemistische Name des Instituts erkennen lässt, vertritt die Bush- und industrienahe Organisation Marktlösungen anstelle von gesetzlichen Vorschriften in der Umweltpolitik.

Die Werbefilmchen sollen bis Ende Mai im Fernsehprogramm von 15 Städten in den USA gesendet werden, darunter in Austin, Dallas, Denver, Sacramento, Santa Barbara und Washington.

Wissenschaftlich betrachtet scheint indes kein Anlass zur Entwarnung in der Klima-Debatte in Sicht zu sein. Der wissenschaftliche Berater der Weltbank, Robert Watson, sagte in Köln, die weltweiten Temperaturen könnten noch schneller ansteigen als bislang angenommen. Watson gilt als gut informiert, da er der ehemalige Vorsitzende des Intergovernemental Panel on Climate Change (IPCC) ist. Dieses Forschergremium war von der Uno beauftragt worden, die Hypothese eines menschgemachten Klimawandels zu untersuchten. Sie gilt mittlerweile als unstrittig.

Noch stärkerer Konsens im nächsten Uno-Klimareport

Im Jahr 2007 wird das IPCC seinen nächsten Bericht über den Stand der Forschung zu Mensch, Klima und Kohlendioxid veröffentlichen. Watson berichtete aus Gesprächen mit Mitgliedern einer Arbeitsgruppe, die diesen Bericht gerade vorbereitet: "Jeder, mit dem ich in der Arbeitsgruppe gesprochen habe, sagte, dass die Beweise stichhaltiger werden." Der Großteil der beobachtbaren Erwärmung sei auf menschliches Handeln zurückzuführen.

Im dritten IPCC-Bericht waren globale Temperaturanstiege zwischen 1,4 und 5,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 vorhergesagt worden. Neueste Forschungen deuteten darauf hin, dass sich die tatsächliche Entwicklung wohl im oberen Bereich dieser Schätzung abspielen werde, so Roberts.

stx/rtr

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