Costa Ricas Dschungel Jäger des grünen Schatzes

Costa Rica als Musterländle: Große Teile des Landes stehen unter Naturschutz, der Regenwald gedeiht. Artenschutz, der sich auszahlt, denn der Öko-Tourismus boomt. Biologen durchforsten Wälder und Flüsse nach Naturstoffen für neue Medikamente und Kosmetika.

Luis Diego Vargas schwingt die Gartenschere wie ein Cowboy den Colt. Klack! Der Blütenstand von Cuphea epilobifolia fällt in die kleine Plastiktüte, ein Kraut mit lila Blüten und lanzettförmigen Blättern.

Im Flussbett des Rio Danta geht es weiter, dann einen grün geflorten Hohlweg hinauf: Eine Tapirspur findet sich im Matsch. Kleine wackelnde Blattfetzen huschen wie von Geisterhand über den Waldboden, getragen von winzigen Blattschneiderameisen. Der Geruch von Erde und frischem Grün liegt in der Luft. Dann macht Vargas die lorbeerartige Monimiaceae siparuna im Unterholz aus. Blau behandschuht gegen Pflanzengift und Dornen inspiziert der Biologe die unscheinbare Pflanze mit den kleinen gelben Blüten. Klack! Auch diesen Strauch will Vargas testen.

"Diese Pflanze ist für uns sehr interessant", sagt der Biologe. Pilze leben in den Blättern des Tropengewächses. Viele davon seien noch nie untersucht worden, weil sie so schwer zu isolieren seien: "Möglicherweise produzieren sie Stoffe, die wir noch nicht kennen", sagt der Forscher.

Zwei Stunden ist der 35-Jährige an diesem Morgen mit dem Geländewagen in den Parque Nacional Braulio Carrillo an den Flanken des Barva-Vulkans gefahren. Zusammen mit seinen Kollegen fahndet er nach den Megasellern der Biodiversität.

Bergen die Schmetterlinge, Urwaldkräuter und Schleimpilze Costa Ricas neue Arzneien gegen Astma, Malaria und Krebs oder auch nur Wirksubstanzen für Feuchtigkeitscremes und Schuppenshampoos? Vargas will es herausfinden. Der Biologe arbeitet für das Instituto Nacional de Biodiversidad (Inbio). Schon 1989 gründete sich die Forschungsstätte. Bis heute gilt sie als Symbol dafür, wie sich Entwicklungsländer an den Segnungen der Biotechnologie beteiligen können.

Es geht um viel Geld

Wie kann die Weltgemeinschaft die Vielfalt der Natur gemeinsam nutzen, ohne die Herkunftsländer der biologischen Schätze über den Tisch zu ziehen? Schon 1992 erklärte die Staatengemeinschaft bei der Uno-Biodiversitätskonferenz in Rio de Janeiro, dass jedes Land die volle Hoheit über seine genetischen Ressourcen haben soll. Einerseits sei sicherzustellen, dass jeder die Schätze des Planeten nutzen dürfe. Andererseits sollten jene Menschen, aus deren Heimat die profitablen Arten stammen, am Gewinn teilhaben.

Dieser gerechte Vorteilsausgleich ist eines der strittigen Themen der Uno-Naturschutzkonferenz, die derzeit in Bonn stattfindet. Denn einvernehmliche Regeln für das sogenannte "Access and Benefit Sharing" gibt es auch im 16. Jahr nach Rio nicht. Kein Wunder: Es geht um sehr viel Geld. Die Wirkstoffe von 10 der 25 weltweit erfolgreichsten Medikamente stammen ursprünglich aus wildlebenden Pilzen, Bakterien, Pflanzen und Tieren. Der Weltmarktwert für pharmazeutische Produkte, die aus der Nutzung natürlicher genetischer Ressourcen stammen, wird mit 75 bis 150 Milliarden Dollar pro Jahr veranschlagt.

Die Entwicklungsländer klagen ihren Anteil daran inzwischen vehement ein. Sie sind misstrauisch, weil Biopiraten bereits Teile ihres biologischen Schatzes gekapert haben. Immerhin: Einige Kooperationen gibt es. So ist etwa das südafrikanische Buschmannvolk der San nach langem Streit mit sechs Prozent an den Einkünften aus Diätpillen beteiligt, die aus der Hoodia-Pflanze stammen. Angehörige des Stamms kauen traditionell auf der Pflanze, um den Hunger zu vergessen.

Suche nach wertvollen Enzymen

Derlei Abmachungen sind noch rar. Costa Ricas Inbio gilt vielen Entwicklungsländern als Vorbild, um künftig ihre Ansprüche besser durchzusetzen. Schon früh hat die Forschungsstätte vorgemacht, wie der faire Interessensausgleich aussehen kann. Vier Millionen Dollar investierte beispielsweise der Pharmakonzern Merck bereits in den neunziger Jahren in das Institut. Zehn Prozent der Gewinne aus möglichen Entdeckungen versprachen die Manager dem Land, ein Teil davon sollte in den Naturschutz fließen.

Bis heute fahnden bei Inbio Forscher von Weltruf nach nützlichen Naturstoffen. Costa Rica beherbergt vier Prozent der Artenvielfalt der Erde auf nur 0,01 Prozent der Landfläche des Planeten. Die Wissenschaftler hoffen, die einzigartige Natur dadurch zu schützen, dass sie die Vielfalt zum Geschäft machen.

An diesem Morgen etwa beugt sich die Forscherin Myriam Hernañdez im Inbio-Labor in San Josés Vorort Heredia über die Gedärme einer winzigen, costa-ricanischen Termite. Die Wissenschaftlerin ist Spezialisten darin, die kaum zwei Zentimeter langen Innereien des Tieres zu präparieren. Mit zwei Pinzetten zieht sie den Vorder- und den Hinterleib der Termite auseinander, so dass der winzige Darm erscheint. Ihn zerteilt sie dann mit einem Skalpell in mehrere Stücke, saugt mit einer Pipette den Darminhalt auf und träufelt ihn in eine spezielle Lösung.

Lukrative Forschung: Vom Termitendarm zum Biosprit

Später wird sie das sogenannte Metagenom der Darmbakterien bestimmen. Der Grund: Die Mikroben helfen den holzfressenden Termiten bei der Zerlegung von Zellulose. Hernañdez' Ziel ist es, die verantwortlichen Enzyme zu isolieren. Sie könnten für den Auftraggeber des Projekts, die US-Firma Verenium, von großer Bedeutung sein. Das Unternehmen hofft, dass die Stoffe aus den Termitendärmen künftig die Herstellung von Biotreibstoffen erleichtern könnten.

Oder das Inbio-Projekt, für das Diego Vargas die unscheinbare Monimiaceae siparuna aus dem Urwald barg. Pilzspezialist Jorge Blanco legt sich die Blätter der Pflanze im Inbio-Labor vorsichtig zurecht. Mit einem Skalpell zerteilt er die grünen Pretiosen, befördert sie in kleinen Stücken auf Nährplatten. Bald werden hier Pilze sprießen, die ihr Leben bislang im Inneren der Blätter fristeten.

In Reagenzkolben werden die blau, rosa und weiß schimmernden Pilze schließlich vermehrt und an Forscher der Harvard Medical School und der amerikanischen National Cooperative Drug Discovery Group versandt. Neue Medikamente gegen Krebs und Malaria erhoffen sich Experten von den schleimigen Tropenbewohnern.

Pilze statt Insekten

Werden die Pflanzen und Tiere der costa-ricanischen Berg- und Regenwälder die Hoffnungen der Forscher am Ende erfüllen können? Einige Erfolge hat Inbio bereits vorzuweisen. Ein Mittel gegen Übelkeit und Kater etwa geht auf die Forschung zurück, isoliert aus dem costa-ricanischen Baum Quassia amara. In marinen Organismen aus der karibischen See fanden die Spezialisten ein fluoreszierendes Protein, das als Marker in Laboratorien verwendet wird. Der warme Schlamm einer vulkanischen Region lieferte den Inbio-Forschern ein Enzym, das den Chemikalienverbrauch bei der Textilverarbeitung reduziert. Ein Teil der Lizenzgebühren, die Inbio erhält, fließen in den Schutz der costa-ricanischen Vielfalt.

Die große biotechnologische Sause indes blieb bislang aus. Inzwischen haben sich Merck und andere große Geldgeber zurückgezogen. "Die Pharmaunternehmen wollen nicht mehr den langen Prozess bezahlen, der notwendig ist, um vielversprechende Naturstoffe zu finden", sagt Giselle Tamayo, wissenschaftliche Leiterin der Inbio-Abteilung für Bioprospektion.

"Wir haben die Erwartung geweckt, dass das hier eine Goldmine ist", räumt Tamayo selbstkritisch ein, "das ist nicht der Fall". Doch die Forschungsstätte bleibe auch so "ein Erfolgsmodell". Die Naturstoff-Fahndung gehe - mit weniger Geld - weiter. Heute arbeitet Inbio vor allem mit Universitäten und öffentlichen Geldgebern zusammen. Auch der Schwerpunkt der Arbeit hat sich verlagert. Scannten die Experten früher vor allem Insekten nach neuen Stoffen, sind es heute Pilze, Mikroben und vor allem Pflanzen.

Wandelnde Enzyklopädie der Flora und Fauna

Die Regierung Südkoreas beispielsweise hat eine Million Dollar zur Verfügung gestellt, damit südkoreanische Forscher 300 verschiedene Pflanzenarten aus Costa Rica auf mögliche Wirkstoffe gegen Krebs und Asthma scannen dürfen. Inbio-Experten stellen dafür Pflanzenextrakte zur Verfügung. 489 Gramm konzentrierte Tropenpflanze gewinnen sie aus einem Kilogramm Blätter.

Für den Biologen Vargas heisst das, auch weiterhin jede Woche mehrfach in die Naturschutzgebiete des Landes zu fahren, um die Schätze Costa Ricas, der "reichen Küste", zu bergen. Seit 11 Jahren macht Vargas das schon. Längst ist er eine wandelnde Enzyklopädie der Flora und Fauna.

"Man kann nur schützen, was man auch kennt", sagt der Biologe. Auch die Katalogisierung und Bestimmung der costa-ricanischen Vielfalt ist ein Ziel von Inbio. Jetzt zwackt Vargas mit einer an einem langen Rohr befestigten Zange einen Zweig von Hedyosmum correanum ab. Die Pflanze wächst ausschließlich in Panama und Costa Rica. Die Zerstörung ihres Lebensraums macht ihr schwer zu schaffen.

Vorsichtig inspiziert Vargas die winzigen grünen Blüten der Seltenheit. "Wir wissen noch nicht, welchen Nutzen diese Pflanze für die Menschheit birgt", sagt der Biologe, "aber wir sind auf einem guten Weg, es herauszufinden."


"Marktplatz der Natur": Wie viel ist uns die Schöpfung wert? Lesen Sie in der Titelgeschichte des aktuellen SPIEGEL, wie bei der Konferenz in Bonn eine Revolution im Naturschutz angezettelt werden soll und wie die Erhaltung von Wäldern, Kräutern und Riffen zum neuen Milliardengeschäft werden soll.

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