Forscher über Gentechnik-Urteil "Als würde man Schrotflinten erlauben, aber Skalpelle verbieten"

Der Europäische Gerichtshof hat Pflanzen als Genfood eingestuft, die Züchtungen gleichen. Hier erklärt der deutsche Biochemiker Holger Puchta, warum das ein Fehler war.
Siegel "ohne Gentechnik"

Siegel "ohne Gentechnik"

Foto: Gregor Fischer/ dpa
Zur Person
Foto: Karlsruher Institut für Technologie

Holger Puchta, 57, ist Geschäftsführender Direktor des Botanischen Instituts am Karlsruhe Institute of Technology (KIT).

SPIEGEL ONLINE: Am Mittwoch hat der EuGH entschieden: Pflanzen, deren Erbgut mit der neuen Crispr-Methode verändert worden sind, gelten fortan als Genfood. Hat Sie das überrascht?

Puchta: Ja, im Vorfeld gingen die Zeichen in die entgegengesetzte Richtung. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die neuen Crispr-Methoden ein Risiko darstellen könnten. Ich bin enttäuscht. Auch die Pflanzenzüchter machen lange Gesichter.

SPIEGEL ONLINE: Das Urteil ist ja kein Verbot. Es fordert bloß Transparenz im Supermarkt durch die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte, damit die Kunden entscheiden können.

Puchta: Das sagen Sie so einfach. Wie wollen Sie erkennen, ob eine Pflanze durch herkömmliche Züchtung oder mit Crispr entstanden ist? Es gibt keinerlei Möglichkeit, das zu überprüfen, denn schon die natürlichen Mutationen, die auf dem Acker auftreten, sind sehr viel zahlreicher als die hochpräzisen Eingriffe mit Crispr. Hier wird ohne empirische Belege operiert.

Das Wichtigste zum Crispr-Gentechnik-Urteil

SPIEGEL ONLINE: Aber in der Abschätzung der Risiken gilt ja das Vorsorgeprinzip, nach dem Schäden für den Menschen und die Umwelt im Voraus vermieden werden sollen. Wie soll man das empirisch bewerten können?

Puchta: In der herkömmlichen Züchtung werden seit Jahrzehnten viel tief greifendere Eingriffe in das Pflanzenerbgut vorgenommen, indem durch Chemie oder Strahlung eine Vielzahl zufälliger Mutationen ausgelöst wird. Jedes erwünschte Züchtungsziel wird dann meist begleitet von allerlei anderen Genveränderungen, die unerwünscht sind. Crispr dagegen löst ebenfalls Brüche im Erbgut aus, das aber sehr präzise. Das Urteil klingt so, als wenn die Richter eine Schrotflinte erlauben, aber ein Skalpell verbieten wollen.

SPIEGEL ONLINE: Viele begrüßen das Urteil, wie beispielsweise Bundesumweltministerin Svenja Schulze.

Puchta: Bei Umweltschützern wird bald auch ein Umdenken stattfinden, wenn deutlicher wird, dass man mit den neuen Crispr-Methoden die Umwelt schonen kann, etwa mit Mais, der hitzeresistent ist oder durch Weizen, der weniger Dünger und Pestizide braucht und damit die Umwelt schont.

SPIEGEL ONLINE: Aber stärken die neuen Methoden nicht bloß Saatgutkonzerne?

Puchta: Im Gegenteil, die neuen Methoden sind schnell, billig, innovativ und gut für kleine Saatgutfirmen und junge Start-ups geeignet. Durch die komplizierten Auflagen werden diesen Unternehmen jetzt die Chancen zur Forschung und Entwicklung genommen.

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