Schwerkraftlücke Forscher lösen Rätsel der Meeresdelle

Karte der Schwerkraft: In den blau markierten Regionen ist die Schwerkraft geringer als normal, in den rote Zonen größer.
Foto: ESAVon dem Tal im Meer bemerken Seefahrer nichts. Dabei liegt der Meeresspiegel vor der Küste Indiens mehr als hundert Meter tiefer als normal. Die Schwerkraft verursacht eine weiträumige Delle im Wasser (blaue Fläche auf der Karte oben).
Um die Delle herum ist die Anziehungskraft stärker, so dass das Wasser sich dort türmt. Die Unebenheiten im Meer erstrecken sich über ein solch großes Gebiet, dass Seefahrer das Tal im Meer mit bloßem Auge nicht erkennen können.
Satellitenmessungen haben die Schwerkraftlücke stets bestätigt - für die Geoforschung ist das Phänomen eines ihrer größten Rätsel. Jetzt meinen Forscher, eine Erklärung zu haben: Messungen zeigten im Untergrund eine Blase teils geschmolzenen Gesteins mit geringerer Masse als das übrige Gestein, die von Afrika hinüberdränge.
Satellitenkarten wie die hier dargestellte zeigen die Gestalt, die die Erde hätte, wenn sie formbar wäre wie Knetmasse und wenn alle Berge und Ozeanbecken eingeebnet würden. Dann wäre die Erde trotzdem nicht rund - sondern kartoffelförmig.
Meerwasser verformt sich
Denn je nachdem, wie stark die Schwerkraft in einer Region ist, würde sie die Erdoberfläche formen. Gebiete geringer Schwerkraft machten sich als Delle bemerkbar, unter Beulen hingegen ist die Erdanziehung besonders hoch - dort ballen sich die Massen.
Während die feste Gesteinsoberfläche der Erde die Beulen und Dellen nicht abbildet, verformt sich das Meerwasser aber entsprechend - wie vor Indien. An der Meeresoberfläche herrscht daher überall die gleiche Erdanziehung, es sei denn, Strömungen verschieben das Wasser.
Anders an Land: Die Kontinente bleiben starr. Deshalb unterscheidet sich dort die Schwerkraft von Ort zu Ort.
In Südindien ist die Anziehungskraft um 0,3 Promille geringer als im Durchschnitt auf der Erdoberfläche. Ein Mensch, der hierzulande 70 Kilogramm wiegt, ist im Süden Indiens 21 Gramm leichter (seine Gewichtskraft ist kleiner, obwohl er natürlich weiterhin die gleiche Masse hat).
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Beim Metzger schneiden Kunden in Südindien besser ab: Für ein Kilogramm erhält man dort 0,3 Gramm mehr Fleisch als in Europa.
Gesteinsumwälzungen im Erdinnern
In den blau markierten Regionen der Karte ist die Schwerkraft rund 100 Milligal geringer als normal. Ein Milligal entspricht einem Millionstel der durchschnittlichen Schwerkraft, die in Meereshöhe wirkt. Im Nordatlantik und nordwestlich von Australien herrscht die stärkste Anziehung; dort wirken rund 60 Milligal mehr als normal (rote Zonen).
Vor allem Gesteinsumwälzungen im Innern der Erde verursachen die Unterschiede, glauben Forscher: Je massiger das unterirdische Gestein, desto stärker die Anziehungskraft.
Im Untergrund vor Indien haben Forscher um Attreyee Ghosh vom Indian Institute of Science in Bangalore verräterische Strukturen entdeckt. Erdbebenwellen durchliefen das Tiefengestein dort auffällig langsam - ein Hinweis darauf, dass es teilweise geschmolzen sein müsste.
Der Befund verwirrt, schließlich gibt es in der Region keinen Vulkan; auch die neuen Messungen zeigen weder einen Magmaschlot, noch andere Hinweise auf örtlichen Vulkanismus.
Gigantischer Pilz aus heißem Gestein
Die Ursache für die Blase des teils geschmolzenen Gesteins meinen Ghosh und ihre Kollegen unter Afrika ausgemacht zu haben. Dort drängt ein gigantische Pilz heißen Gesteins aus Tausenden Kilometern Tiefe nach oben - er sorge unter anderem dafür, dass Afrika auseinanderbricht, berichten die Forscher im Fachmagazin "Geophysical Research Letters" .
Ausläufer des Pilzes strömten unter dem Indischen Ozean nach Osten, glaubt Ghosh. Dort, vor Indien, bildeten seine heißen und teils geschmolzenen Gesteinsmassen jene Zone geringerer Masse, die für die Schwerkraftlücke verantwortlich sei.
Um aus dem Meerestal vor Indien herauszufahren, benötigen Schiffe keine zusätzliche Energie. Sie fahren zwar bergauf, doch die Schwerkraft der Erde zieht sie nicht hinab - die Anziehungskraft ist am Gipfel der Delle ebenso groß wie im Tal. Aus dem gleichen Grund fließt das Wasser nicht bergab in die Delle hinein.