Dicht gepacktes Erbgut Wasserfloh hat mehr Gene als alle anderen Tiere
Washington - Er ist ein Überlebenskünstler im Mini-Format: Wird der nur wenige Millimeter große Wasserfloh von Räubern angegriffen, wachsen ihm in Windeseile eine Art Helm, ein langer Schwanz und Nackenzähne. Damit ist das durchsichtige Krebstier - sein wissenschaftlicher Name lautet Daphnia pulex - in vielen Fällen zu groß, um einfach gefressen zu werden. Auslöser für die Schutzreaktion sind chemische Signalstoffe, die Angreifer beim Fressen absondern.
Wissenschaftler um John Colbourne von der Indiana University in Bloomington haben nun das Erbgut des Wasserflohs analysiert - unter anderem in der Hoffnung, mehr über diesen Trick herauszufinden. Das verblüffende Ergebnis ist im Fachjournal "Science" nachzulesen: Der Winzling hat nämlich mehr Gene als der Mensch - und auch mehr als jedes andere bisher untersuchte Tier.
Das des Wasserflohs ist zwar sehr klein, die einzelnen Gene sind aber extrem dicht gepackt: Bei einer Größe von gerade einmal 200 Millionen Bausteinpaaren enthält das Wasserfloh-Erbgut über 31.000 Gene. Bei Menschen besteht das Erbgut aus etwa drei Milliarden Buchstabenpaaren, es umfasst aber nur 23.000 Gene.
Der Unterschied ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das Wasserfloh-Erbgut im Gegensatz zu dem des Menschen fast ausschließlich DNA-Regionen enthält, die einen Bauplan für ein Protein oder ein regulierendes RNA-Molekül tragen. Viele Erbgutabschnitte des Wasserflohs waren bisher völlig unbekannt. Mehr als ein Drittel der entzifferten Gene habe man bislang bei keiner anderen Spezies gefunden, berichten die Forscher. Die Funktion der meisten der Gene sei komplett unbekannt.
Gen-Kopien können schnell neue Aufgaben übernehmen
Viele der Gene seien durch Verdopplungen vorhandener Erbgutabschnitte entstanden, schreiben Colbourne und seine Kollegen. Das Krustentier besitze 30 Prozent mehr Gen-Duplikate als der Mensch. Vermutlich können diese Gen-Kopien sehr schnell neue Funktionen annehmen, spekulieren die Forscher. Sie glauben deswegen, dass die Gene maßgeblich für die Anpassungsfähigkeit des Tieres verantwortlich sind.
Wissenschaftler hatten bereits herausgefunden, dass Wasserflöhe zwischen verschiedenen Gefahren unterscheiden können. Auf dieser Basis können sie bei der Futtersuche abwägen, welche Stelle in der Wassersäule sie sich suchen. Nahe der Oberfläche gibt es die meisten Algen zu fressen. Gleichzeitig drohen die Krebstiere von UV-Strahlen verbrannt zu werden. Außerdem lauern dort hungrige Fische. Die Körpergröße der Tiere scheint zu bestimmen, wie risikofreudig ein Wasserfloh ist.
Sein einzigartiges Genom könnte den Wasserfloh nach Ansicht der Forscher in Zukunft zu einem Modellorganismus eines völlig neuen Wissenschaftsgebiets avancieren lassen: Es gehe darum, das Zusammenspiel von Umwelt und Genen besser zu verstehen. Außerdem wäre es denkbar, den Floh dafür einzusetzen, die Wirkung von Umweltgiften auf die Gesundheit und die Wasserqualität zu untersuchen. "Es passiert in der Wissenschaft nicht oft, dass ein neues Modellsystem auf den Plan tritt, das eine so wichtige Rolle bei der Entwicklung eines neuen Wissenschaftsgebiets spielt", sagt Forscher Colbourne.