Vorläufer der Riesensaurier Zehntonner auf krummen Beinen

Ingentia prima war ein Scheinriese aus der Trias: Seine Statur ähnelte der gigantischer Sauropoden späterer Zeiten. Von Nahem gesehen war er jedoch kleiner und kurzhalsiger - ein unfertiger Gigant.
Ingentia prima (künstlerische Rekonstruktion): relativ kurzer Hals, gebeugte Beine

Ingentia prima (künstlerische Rekonstruktion): relativ kurzer Hals, gebeugte Beine

Foto: Jorge A. Gonzalez

Eine aktuelle, im Fachjournal "Nature Ecology & Evolution" veröffentlichte Studie relativiert die bisherigen Vorstellungen darüber, wie aus relativ kleinen, zweibeinig laufenden Sauriern gigantische, langhalsige Sauropoden wurden. Bisher hatte man angenommen, dass sowohl die Ausprägung eines ständigen, ununterbrochenen Körperwachstums als auch die typischen kräftigen Beine eine Bedingung für den Gigantismus der Sauropoden gewesen seien. Neue Funde zeigen nun, dass dies offenbar nicht der Fall war.

Sauropoden werden die zahlreichen Arten gigantischer, langhalsiger Dinosaurier genannt, die auf säulenartigen Beinen liefen. Im Jura (201-145 Mio. Jahre) und der Kreidezeit (145-66 Mio. Jahre) wuchsen sie zu den größten Landlebewesen aller Zeiten heran - bis zu 30 Meter lang und 70 Tonnen schwer.

Solche Giganten kamen natürlich nicht aus dem Nichts. Tatsächlich fanden Paläontologen schon in Gesteinsschichten der Trias (252-201 Mio. Jahre) Vorfahren der Sauropoden. Die allerdings liefen noch zweibeinig und waren vergleichsweise klein und grazil. Jetzt haben Forscher in Argentinien fragmentarische Fossilien früher Sauropoden entdeckt, die andeuten, wie sich deren Entwicklung hin zu den bekannten Giganten vollzog.

Lücken in der Ahnenreihe

Denn darüber weiß man bisher vergleichsweise wenig. Wie Perm und Kreidezeit endete auch die Trias mit einem katastrophalen Aussterbe-Ereignis. Als Ursache vermutet man Vulkanismus, durch den sich Klima und Atmosphäre global so sehr veränderten, dass die Ökosysteme kollabierten. 80 Prozent aller damals lebenden Arten starben aus.

Standardbauplan eines Sauropoden (hier: Titanosaurus): Säulenbeine, Stempelfüße, extrem langer Hals und Schwanz

Standardbauplan eines Sauropoden (hier: Titanosaurus): Säulenbeine, Stempelfüße, extrem langer Hals und Schwanz

Foto: AFP

Als sich der Planet davon erholte, erlebte das Leben einen Neustart - schnell entwickelten sich zahlreiche neue Arten und besetzten neu entstehende ökologische Nischen. Die Zeit der Dinosaurier begann, und schnell traten auch langhalsige Giganten mit zehn Tonnen Körpergewicht und mehr auf den Plan. Nur wie aus den kleinen, zweibeinigen Läufern diese säulenbeinigen Riesen wurden, darüber wusste man bisher wenig, denn ausgerechnet in diesem Zeitfenster klaffen mächtige Lücken im fossil belegten Befund.

Der Erste der Riesen

Die aktuelle Studie  könnte einige davon schließen. Die Analyse der in der Studie beschriebenen Art Ingentia prima deutet darauf hin, dass der Trend zum Gigantismus weit früher einsetzte als bisher gedacht - und zwar ohne, dass Ingentia über die Eigenschaften verfügt hätte, die man als Voraussetzung für den Sauropoden-typischen Gigantenwuchs gesehen hatte.

Der Name der neuen Art leitet sich von den lateinischen Wörtern für "riesig" und "Erster" ab - Ingentia war demnach der "Erste der Riesen". Die Forscher um Cecilia Apaldetti von der Universidad Nacional de San Juan schätzen das Tier auf ein Gewicht von über zehn Tonnen und eine Länge von zehn Metern.

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Gefiederte Dinosaurier: Wie nasse Hühner

Foto: A9999 DB Nature/ dpa/dpaweb

Und die Wissenschaftler stellen es in einen Kontext mit dem früher gefundenen Lessemsaurus sauropoides , einem weiteren frühen Sauropoden. Auch der ist durch fragmentarische Funde belegt, die von mehreren Tieren stammen, und wurde bisher auf vergleichsweise knuddelige zwei Tonnen geschätzt. Der Vergleich mit der eng verwandten Ingentia legt nun nahe, dass Lessemsaurus ähnlich groß und schwer gewesen sein könnte. Das Forschungsteam sieht das als Beleg dafür, dass der Trend zum Gigantismus bei Sauropoden bereits 30 Millionen Jahre früher einsetzte als bisher gedacht.

Ingentia prima sah seinen gigantischen Nachfahren bereits recht ähnlich, unterschied sich allerdings auch noch in vielen Details von ihnen. Der Kopf erschien noch nicht so klein wie bei Diplodocus und Co., der Hals war deutlich kürzer. Anders als spätere Sauropoden, die schlicht nie aufhörten zu wachsen, kannte Ingentia noch akzentuierte Wachstumsphasen, die sich als unterschiedlich ausgeprägte Ringe an ihren Knochen ablesen lassen. Von anderer Art waren auch ihre gebeugten Beine: Die kerzengeraden, säulenhaften Treter und stempelartigen Füße der Sauropoden waren wohl eine Anpassung an deren enorme Gewichte, über die Ingentia noch nicht verfügte.

Atmung nach Vogelart: Wie Blasebälge sorgten Luftsäcke (grün) dafür, dass in einem endlosen Kreislauf Sauerstoff in die Lunge (orange) geleitet wurde.

Atmung nach Vogelart: Wie Blasebälge sorgten Luftsäcke (grün) dafür, dass in einem endlosen Kreislauf Sauerstoff in die Lunge (orange) geleitet wurde.

Foto: Jorge A. Gonzalez

Was sich allerdings schon fand, war ein wohl zunehmend effektives Atemsystem nach Vogelart: Wie Vögel atmeten Sauropoden nicht ein und aus, sondern sorgten mit einem Luftsacksystem für einen kontinuierlichen Luftstrom.

Der war wohl wirklich eine Grundbedingung für das spätere Gigantenwachstum der Sauropoden: Die schiere Körpermasse der Sauropoden dürfte im Verbund mit Stoffwechselprozessen dafür gesorgt haben, dass die Tiere gehörig aufheizten. Der Luftstrom dürfte zur dann nötigen Kühlung und Temperaturregulierung beigetragen haben.

Auch die extreme Länge der Hälse verlangte nach einer Rundum-Belüftung: Hätten Diplodocus, Brontosaurus und Co. Luft geholt, wie wir das tun, hätten sie sich womöglich selbst erstickt - das Gas hätte sich auf dem langen Weg durch den Hals nur hin- und herbewegt. Zu viel CO2 wäre nicht ausgeatmet, zu wenig Sauerstoff nachgetankt worden.

Man könnte also sagen: Hätten Ingentia und ihre Verwandten diese Art der Atmung nicht ausgeprägt, wäre es wohl kaum zum Giganten-Wachstum der Sauropoden gekommen.

Säulenbeine und ihre endlose Wachstumsphase stellten im Bauplan der Sauropoden hingegen wohl keine Voraussetzung dar, sondern Optimierungen im Verlauf des evolutionären Prozesses.

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