

Hamburg - Wissenschaftler haben erstmals ein Bakterium mit künstlichem Erbgut geschaffen. Ihnen sei es gelungen, ein lebensfähiges Bakterium mit einem vollständig künstlichen Genom herzustellen, berichten die Forscher vom Craig Venter Institute in Rockville aus den USA jetzt im Wissenschaftsblatt "Science".
Die Wissenschaftler bauten die Gene eines Bakteriums aus einzelnen Erbgut-Stückchen nach und setzten dieses Kunstgenom dann in eine andere Bakterienart ein. Die Folge: Das Original-Erbgut der Zelle wurde abgestoßen. Stattdessen produzierte die gekaperte Zelle nur noch Stoffe, die auf dem künstlichem Erbgut gespeichert waren.
Gentechnik-Pionier Craig Venter
Die Gruppe um den schuf damit eine Zelle, die von einem fremden Genom kontrolliert wurde. Sie sprechen von einer "synthetischen Zelle", haben aber nur das Erbgut künstlich geschaffen. Ein komplett neues Lebewesen haben die Genetik-Pioniere damit jedoch noch nicht geschaffen. Dazu benötigten sie zumindest das Original-Erbgut eines Bakteriums und die Hülle eine zweiten Bakteriums für ihre Versuche.
Künstliche Zellen würden künftig dabei helfen, Organismen dazu zu bringen, "das zu tun, was wir wollen", sagte Venter. Er habe eine große Spanne von Anwendungen im Kopf. Wie Programmierer ein Stück Software schreiben, will Venter künftig DNA von Mikroorganismen bauen, die industriell nach Bedarf eingesetzt werden können- beispielsweise, um Ölteppiche auf Ozeanen abzubauen oder Biodiesel zu erzeugen.
Der Nutzen bleibt ungewiss
Auch sei man auf dem Weg zur Entwicklung von Bakterien, die Biokraftstoffe herstellen oder das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid aufnehmen könnten. Bei der Produktion von Impfstoffen könnten die künstlich geschaffenen Bakterien ebenfalls eines Tages helfen, schreiben Venter und seine Kollegen in "Science".
Ob sich die veränderten Mikroben aber jemals nutzen lassen werden, ist ungewiss. Ethiker warnen zudem vor der künstlichen Schöpfung von Leben.
Bislang konnte sich der Fortschritt sehen lassen. Erst kürzlich war es den Forschern gelungen, künstlich das Erbgut eines Bakteriums nachzubauen. Vergangenes Jahr verpflanzten sie erfolgreich das komplette Genom eines Bakteriums in ein fremdes. Nun haben sie erstmals beide Methoden vereint und ein synthetisches Bakteriengenom in eine fremde Zelle verpflanzt.
Zunächst bauten die Wissenschaftler das Erbgut des Bakteriums Mycoplasma mycoides (M. mycoides) in mehreren Etappen nach. Bislang war es maschinell nur möglich, relativ kurze Erbgut-Moleküle aneinanderzureihen. Daher setzten die Forscher kurze Stücke in Hefezellen ein, deren Enzyme die Stücke aneinanderreihten. Die größeren DNA-Moleküle wurden dann im Reagenzglas in die Darmbakterien Escherichia coli und zurück in Hefe verpflanzt. So wuchsen größere Teilstücke heran. Diese Prozedur wurde den Angaben zufolge mehrfach wiederholt bis das komplette Erbgut von mehr als einer Million Basenpaaren - sie bilden die Grundbausteine des Erdbguts - vorlag.
"Neue Sicht auf das Leben"
Das künstliche Erbgut mit dem Namen "M. mycoides JCVIsyn1.0" wurde dann in die Bakterienart Mycoplasma capricolum eingesetzt. Laut Venter verdrängte es dort das natürliche Erbgut der gekaperten Bakterien und übernahm das Steuern der Zellen. Als Kontrolle, ob wirklich das künstliche Genom und nicht das natürliche vorlag, hatten die Forscher DNA-Sequenzen als eine Art unverkennbares "Wasserzeichen" eingesetzt.
Nicht alles lief glatt: In dem künstlichen Erbgut seien schließlich 14 Gene unterbrochen oder verschwunden. Dennoch sahen die synthetischen Zellen aus wie M. mycoides und hätten auch nur die Eiweiße dieser Bakterienart produziert, berichtet das Team um Venter und Daniel Gibson. Darüber hinaus konnten sich die Kunst-Zellen selbstständig vermehren.
Genetiker vom Craig Venter Institute hatten bereits zuvor aus chemisch hergestellten Erbgut-Bausteinen das Genom des Bakteriums Mycoplasma genitalium nachgebaut. Später fanden Wissenschaftler um Venter einen Weg, das natürliche Erbgut der Bakterien M. mycoides in die Zellen von M. capricolum einzuschleusen und dort dominant werden zu lassen. Nun kombinierte das Team um Venter und Daniel Gibson beide Verfahren.
"Das ist ein wichtiger Schritt, glauben wir, sowohl wissenschaftlich als auch philosophisch", sagt Venter. "Es hat sicherlich meine Sicht über die Definition des Lebens geändert und darüber, wie Leben funktioniert."
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Künstliches Leben: Dieser Zellhaufen namens "M. mycoides JCVIsyn1.0" wurde synthetisch gezüchtet. Er wurde dann in die Bakterienart Mycoplasma capricolum eingesetzt. Dort verdrängte er das natürliche Erbgut der gekaperten Bakterien und übernahm das Steuern der Zellen.
Mycoplasma-mycoides-Kultur: Der blaue Bakterienhaufen besteht aus Hunderten von einzelnen Zellen, deren Genom im Reagenzglas aus den DNA-Bausteinen geschaffen wurde.
Forscher Craig Venter (links) und Hamilton Smith (rechts): Das künstliche Bakterium ist nicht das Ursuppen-Experiment, von dem viele träumen: jener Versuch der Rekonstruktion der Ereignisse vor Abermillionen von Jahren, die zur Entstehung des Lebens führten. Aber es geht doch um einen Meilenstein in der Geschichte der sogenannten synthetischen Biologie.
DNA-Molekül: Verschiedene Genbausteine mit bestimmten Funktionen haben Biologen in einem Archiv katalogisiert. Sie wollen, dass das Programmieren von Lebewesen so simpel wird wie die Konstruktion von Maschinen.
E.Coli-Bakterien: Wie ein Chassis betrachten die synthetischen Biologen die Einzeller. Mit den Genbausteinen, den Biobricks, programmieren sie die Einzeller nach ihren Wünschen um.
Biobricks-Datenbank: In der Datenbank Registry of Standard Biological Parts sucht man sich wie in einem Baumarkt seine gewünschten Lebensbausteine zusammen.
Craig Venter: Dem Team des Gentechnik-Pioniers gelang die Erzeugung des künstlichen Lebens.
Getreide: Der Mensch formt durch Züchtung die Natur nach seinen Zwecken schon seit Tausenden von Jahren. Ein langwieriger Prozess. Die synthetische Biologie will die gewünschten Lebewesen direkt erzeugen.
Malaria: 2006 waren rund 250 Millionen Menschen mit Malaria infiziert, 880.000 Menschen starben an der Krankheit. In Hefepilzen wollen Forscher das Medikament Artemisinin nun billig und in großem Umfang produzieren.
Melinda und Bill Gates in Mosambik: Mit seiner Stiftung unterstützte Gates das Artemisinin-Projekt zur Erforschung von neuen Arzneien.
Biosprit aus Biomasse: Eine Anwendung der synthetischen Biologie sind maßgeschneiderte Hefepilze oder Bakterien, die schnell und billig Pflanzenabfälle in Biosprit umwandeln können.
Mars: Mit maßgeschneiderten Mikroben könnte man den Mars terraformen. Dazu müsste man auf dem Roten Planeten eine Atmosphäre und einen Treibhauseffekt schaffen. Man bräuchte also Mikroben, die die Kälte aushalten können und wirksame Klimagase produzieren.
Reprogrammierte Stammzellen: Um Medikamente auf Giftigkeit zu scannen, kann man menschliche Zellkulturen einsetzen, am besten solche aus Herz- und Leberzellen. Die Pharmaindustrie kann während der Entwicklung von Medikamenten auf diese Weise früh gefährliche Substanzen aussortieren.
Menschlicher Embryo: Ein Traum synthetischer Biologen ist es, komplexe Objekte biologisch herstellen zu lassen. Die Natur macht dies ständig - aus einer einfachen Eizelle entsteht nach und nach ein hochkomplizierter Organismus.
Baum: Doch warum dann nicht direkt komplexe Objekte nach Wunsch wachsen lassen? Könnte man dann nicht gleich Stühle pflanzen statt Bäume? In Zukunft könnten komplexe Objekte möglicherweise einmal biologisch programmiert werden.
Harvard-Forscher George Church: "Die ersten Anwendungen künstlichen Lebens werden Treibstoffe, Chemikalien und Medikamente sein." Doch noch sind das Visionen.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden