Edward Wilson und Thomas Lovejoy gestorben Zwei, die sich um die Vielfalt des Lebens verdient machten
Zwei Vordenker der Biodiversität sind tot. Der Naturschutzbiologe Thomas E. Lovejoy starb am Samstag, wie die George Mason University, wo Lovejoy das Institute for a Sustainable Earth leitete, und das von ihm gegründete Amazon Biodiversity Center mitteilten. Lovejoy, dem die Verbreitung des Begriffs »Biodiversität« zugeschrieben wird, wurde 80 Jahre alt.

Edward Wilson, der »Ameisenmann«
Foto: Rick Friedman / Corbis / Getty ImagesAm Sonntag starb auch der bekannte US-Biologe und Evolutionsforscher Edward O. Wilson im Alter von 92 Jahren im US-Bundesstaat Massachusetts, wie seine Stiftung am Montag mitteilte. Der auch als »Darwins natürlicher Erbe« bezeichnete Wissenschaftler hatte sich zunächst als Ameisenforscher einen Namen gemacht, untersuchte dann aber auch das Sozialverhalten von Vögeln, Säugetieren und Menschen.
Der langjährige Professor an der Eliteuniversität Harvard gab 1975 mit seinem Werk »Sozialbiologie« einer wissenschaftlichen Disziplin ihren Namen. Umstritten war seine im letzten Kapitel aufgestellte These, es gebe eine enge Verbindung zwischen menschlichem Verhalten und Genetik. Kritiker sahen darin Rassismus, Sexismus und Faschismus – weil sich aus seiner Theorie schließen lasse, dass die Ungleichheit in der Natur liege.
Sozialbiologe Edward Wilson über den Einfluss der Gene auf menschliches Verhalten
Aufgrund von Daten über mehrere Tierarten argumentierte Wilson, es gebe eine genetische Basis für soziale Verhaltensweisen von Kriegsführung bis zu Selbstlosigkeit – eine Idee, die im Gegensatz zur vorherrschenden Sicht stand, dass kulturelle Faktoren und Umweltfaktoren das menschliche Verhalten bestimmen. 1978 übergossen ihn Mitglieder einer antirassistischen Studierendengruppe mit einem Kübel Eiswasser, als er einen Vortrag auf einer wissenschaftlichen Konferenz halten sollte.
Später erklärte Wilson, die Schärfe der Reaktion habe ihn geängstigt und dazu gebracht, eine Zeit lang auf öffentliche Vorträge zu verzichten. »Ich dachte, meine Karriere gehe in Flammen auf«, sagte er. Nach seiner Auffassung bestimmten die Gene gar nicht das gesamte menschliche Verhalten, sondern »grob gesagt vielleicht 10 Prozent«.
Die Erde als großteils unerforschter Planet
In späteren Jahren wandte sich Wilson wieder mehr dem Umweltschutz zu, saß im Beirat von Gruppen wie der Nature Conservancy und warnte vor der Zerstörung der Biodiversität durch den Menschen. Wilson trug auch den Beinamen »der Ameisenmann«. Schon in seiner Jugend in Alabama hatte er als erster Feuerameisen bestimmt, die auf Schiffen aus Südamerika in die USA gelangt waren. Nach der Scheidung seiner Eltern, als Wilson sieben Jahre alt war, und weiteren Schicksalsschlägen wie dem teilweisen Verlust seines Augenlichts bei einem Angelunfall und dann noch einem teilweisen Verlust seines Hörvermögens beschrieb der Wissenschaftler die Natur als »Begleiterin meiner Wahl«.
Seine detaillierte Beschreibung des Verhaltens von Ameisen mithilfe mikroskopischer Aufnahmen sah Wilson als Indikator für den Zustand der Umwelt – und als »Blick ins Auge der Schöpfung«: »Du siehst etwas, das Millionen von Jahren alt sein könnte, und niemand hat es vor dir gesehen.«
Der Biologe schrieb im Laufe seiner wissenschaftlichen Laufbahn Hunderte Fachartikel und mehr als 30 Bücher. Für zwei davon – »Biologie als Schicksal« und »Die Ameisen« – wurde er mit dem renommierten Pulitzerpreis ausgezeichnet. 1990 erhielt er den Crafoord-Preis, die höchste Auszeichnung in der nicht von den Nobelpreisen abgedeckten Disziplin, für seine Forschung »zu Artenvielfalt und Gemeinschaftsdynamik auf Inseln«. In den 2000er-Jahren warb Wilson für eine Zusammenarbeit von Wissenschaft und Religion, um die Schöpfung zu bewahren. In gemeinsamen Appellen mit ihm sprachen sich auch Führer der evangelikalen Kirchen für den Kampf gegen die Klimakrise aus.
»Die Vielfalt des Lebens auf der Erde ist weit größer, als selbst die meisten Biologen wahrnehmen«, sagte Wilson im Jahr 1993. Nicht einmal ein Zehntel der Arten sei wissenschaftlich bestimmt. Daher könne man die Erde noch immer als »größtenteils unerforschten Planeten« betrachten. Wilson habe »vielleicht besser als jeder andere ausgedrückt, was es bedeutet, ein Mensch zu sein«, würdigte ihn David Prend, Vorsitzender des Stiftungsrats der E.O. Wilson Biodiversity Foundation.
Thomas Lovejoy, Warner vor dem Artensterben

Thomas Lovejoy, auch als »Indy« gerühmt
Foto: The Sydney Morning Herald / Fairfax Media / Getty ImagesDie Biodiversität als Ausdruck des Reichtums an Lebensformen auf der Erde wurde in den späten Siebzigerjahren von dem Biologenkollegen Thomas Lovejoy verbreitet. Der Begriff wurde 1980 Titel eines Buchs des Forschers und später zu einem der wichtigsten biologischen Themen im Zeitalter des Klimawandels.
Als führender Erforscher des Aussterbens von Arten fand Lovejoy heraus, dass die Zerstörung von Lebensräumen, Umweltverschmutzung und die Erderwärmung rund um die Welt Tier- und Pflanzenarten auslöschen. Den ersten Warnruf über das Artensterben setzte Lovejoy 1980 in einem Bericht an US-Präsident James Carter ab: Bis zum Jahr 2020 würden 10 bis 20 Prozent der Arten verloren gehen. Wie genau diese Vorhersage zutraf, lässt sich kaum überprüfen, da nur ein Teil der Lebensformen wissenschaftlich erfasst ist. Von denen jedoch werden jährlich 0,01 bis 0,1 Prozent für ausgestorben erklärt. Die Grundaussage einer dramatischen Krise der Biodiversität ist wissenschaftlicher Konsens.
Lovejoy rief dazu auf, Wälder wieder aufzuforsten, um das erneute Wachstum heimischer Pflanzen und Tiere anzuregen. Außerdem warb er um den Schutz großer Wasser- und Landgebiete. Auch zum jüngsten Statusbericht über den Amazonas für die Klimakonferenz in Glasgow hatte Lovejoy maßgeblich beigetragen.
Seine Forschung brachte ihn in den Sechzigerjahren in das Amazonasgebiet, wo er zu einem leidenschaftlichen Verteidiger tropischer Regenwälder wurde. Er half in einem Projekt in Brasilien, bedrohte Waldgebiete zu beschützen und wiederherzustellen. Nördlich der Amazonas-Metropole Manaus baute er später seine Forschungsstation »Camp 41«. Etliche Politiker und Prominente besuchten Lovejoy dort.
Optimist in Hängematten und Flussbadestellen
Der Schauspieler Tom Cruise nannte ihn »Indy« nach Indiana Jones, weil er in Hängematten und natürlichen Flussbadestellen den ursprünglichen Dschungel zur zweiten Heimat neben einer historischen Waldhütte in Virginia machte. Der frühere US-Senator und Präsident der United Nations Foundation, Tim Wirth, berichtete von gemeinsamen Expeditionen durch die Arktis, zum Südpol, ins Amazonasgebiet oder mit dem Kajak durch den Grand Canyon. Nach eigenen Angaben machte Lovejoy seinen Traum von einem Forscherleben in der Wildnis wahr. Als Sohn eines New Yorker Versicherungsmanagers hatte er ein Internat mit eigenem Zoo besucht.
Die National Geographic Society gab Lovejoy 1971 ein Stipendium, um die Vögel des Amazonas-Regenwalds zu studieren. In den folgenden fünf Jahrzehnten übernahm der Biologe verschiedene Rollen in der US-Stiftung. National-Geographic-Chefin Jill Tiefenthaler schrieb in einem Blogeintrag über »Tom als außerordentlicher Wissenschaftler, Lehrer, Berater und niemals nachgebender Vorkämpfer für unseren Planeten«.
Lovejoy war auch daran beteiligt, im öffentlichen Fernsehen der USA das Programm »Nature« mit beeindruckenden Aufnahmen aus Ökosystemen rund um die Welt zu entwerfen. Als die Serie 1982 eingeführt wurde, arbeitete der Biologe für den World Wildlife Fund. Er machte auch Station in der Smithsonian Institution, der Weltbank und als wissenschaftlicher sowie Umweltberater unter verschiedenen US-Präsidenten. Die Idee, Staatsschulden in eine Verpflichtung zum Naturschutz umzuwandeln, geht auf ihn zurück.
Der »Washington Post« zufolge behielt Lovejoy trotz aller Warnungen vor Umweltkatastrophen einen unerschütterlichen Optimismus – auch, als er mit seinem brasilianischen Kollegen Carlos Nobre 2019 einen »Kipppunkt« ausmachte, an dem sich die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds unumkehrbar zu beschleunigen drohe. Die Lunge der Erde »wankt am Rand der funktionalen Zerstörung – und mit ihr auch wir selbst«, schrieben die beiden. »In diesem Fall wird es nicht plötzlich passieren, und das ist eine gute Nachricht«, sagte Lovejoy der Zeitung. »Das erlaubt uns, etwas dagegen zu unternehmen.«